Alexander Albon war vor der Saison 2019 der Underdog unter den Formel-1-Rookies. Nicht wenige hielten den Thailänder für einen Lückenbüßer, der von Toro Rosso notgedrungen ins Cockpit gesetzt wurde. Ein Irrtum. In seinen ersten Rennen widerlegte Albon diesen Ruf derart beeindruckend, dass ihn manche schon als Ersatz für den schwächelnden Pierre Gasly ins Red-Bull-Cockpit schreiben wollen.

Nach einem verhaltenen Debüt in Australien fuhr er in Bahrain und China jeweils in die Punkte. Vor allem das Wochenende in Shanghai offenbarte die Qualitäten des Rookies. Nachdem Albon sein Auto im dritten Training bei einem Unfall zerstört hatte, musste er das Rennen aus der Boxengasse starten. Am Sonntag fuhr er mit einer beherzten Aufholjagd auf Platz zehn.

"Für mich ist Alexander die Überraschung der Saison, was Speed und Rennintelligenz angeht", lobt Dr. Helmut Marko seinen Schützling gegenüber dem brasilianischen TV-Sender Globo Esporte. "Albon ist ein junger Mann, der sich durch nichts einschüchtern lässt." Worte, die aus dem Mund des knallharten Red-Bull-Beraters fast schon wie ein Ritterschlag anmuten.

Mercedes-Youngster Russell: Red-Bull-Junioren unter Druck mit 120 Prozent

In den vergangenen Jahren blieben einige der Red-Bull-Junioren auf der Strecke. Zuletzt traf es Brendon Hartley, dem es nicht gelang sich in der Formel 1 zu bewähren. Das Leistungsprinzip scheint im Förderprogramm der Österreicher noch erbarmungsloser als es in der Königsklasse des Motorsports ohnehin schon ist.

"Alle wissen um den Druck, der auf den Red-Bull-Junioren liegt. Deshalb verstehst du, weshalb sie jedes Mal 120 Prozent geben, wenn sie ins Auto steigen", meint Mercedes-Junior George Russell. Der Brite setzte sich 2018 sowohl gegen McLaren-Juwel Lando Norris als auch gegen Alex Albon im Kampf um den Formel-2-Titel durch.

Mercedes-Chef Toto Wolff pflegeleichter als Red-Bull-Bosse?

Russell empfindet die Herangehensweise seiner Förderer als weniger bedrohlich. Nach schwachen Saisonstarts in GP3 und Formel 2 erfuhr er von Mercedes-Boss Toto Wolff überraschend viel Verständnis. "Toto sagte: "Mach dir keine Sorgen, es ist nur das erste Rennen. Die Saison ist noch lang", so der Williams-Pilot.

Er hatte mit einer anderen Reaktion gerechnet: "Ich hatte eine Abreibung erwartet, als ich in sein Büro kam. Ich kann zwar nicht für sie [Red Bull] sprechen, oder wie es bei ihnen ist, aber das ist natürlich die Annahme, die man hat, wenn man sich die Geschichte anschaut und wie sie die Dinge angehen."

Erklärt: So funktioniert ein Formel-1-Auto (17:29 Min.)

Albon flog bereits bei Red Bull raus: Bin Druck gewohnt

Wie konsequent Red Bull durchgreift, bekam Albon in seiner Karriere bereits selbst zu spüren. In der Saison 2012 war er als Nachwuchstalent im Kartsport kurzzeitig Teil von Red Bulls Förderprogramm, wurde dann aber vor die Tür gesetzt. "Ich war schon einmal in einem Juniorteam und selbst letztes Jahr bin ich jedes Wochenende um mein Cockpit gefahren", erklärt der Toro-Rosso-Pilot.

Durch die von Russell als "gnadenlos" bezeichnete Mentalität Red Bulls fühlt er sich aber nicht mehr unter Druck gesetzt, als er es ohnehin schon tun würde. "Ich bin irgendwie daran gewöhnt. Ich fühle mich immer noch gut mit mir selbst und habe Vertrauen in mich." Dass er sich von den vier Rookies im Grid bisher die meisten Fehler erlaubte, ist für ihn kein Grund an seinen Fähigkeiten zu zweifeln.

Anfängerfehler kein Problem: Albon überzeugt mit Speed

"Das ist unvermeidbar, denn ich versuche wirklich hart zu pushen", sagt der 23-Jährige über seine Fehltritte. Den ersten leistete er sich gleich bei den Wintertestfahrten in Barcelona, als er auf seiner ersten Runde nach nur vier Kurven im Kiesbett landete. Im Gegensatz zu Russell, Norris oder auch Alfa-Romeo-Mann Antonio Giovinazzi stand er dieses Jahr allerdings vor einer deutlich größeren Aufgabe.

Während die anderen Youngster bereits Testfahrten und Freitagstrainings in der Formel 1 bestritten, war Albon vor den Wintertestfahrten noch keinen Meter in einem F1-Boliden gefahren. Der Neuling überzeugte mit seiner steilen Lernkurve in einem Maße, das die Anfängerfehler auch für seine Förderer vertretbar macht. "Von dem Moment an, in dem er bei den Wintertestfahrten ins Auto gestiegen ist, ist er schneller und schneller geworden", sagt Marko.

Albon scherz vor Baku-Rennen: Wird Teamchef keinen Spaß machen

Nach dem starken Einstand darf von Albon noch einiges erwartet werden. In Baku wartet auf ihn aber erst einmal die nächste große Herausforderung. Zum ersten Mal in seiner Karriere wird er ein Formel-1-Auto auf einem Stadtkurs bewegen. Den Baku City Circuit kennt er aus der Formel 2, doch mit dem schmalen Grenzbereich der Formel-1-Boliden wird es für ihn trotzdem eine komplett neue Erfahrung.

"Nach China wird es Franz [Tost, Teamchef von Toro Rosso] wahrscheinlich nicht so viel Spaß machen, mich dort fahren zu sehen", nimmt Albon seinen Shanghai-Crash weiter mit Humor. "Der Kurs ist ein bisschen wie Monaco, im Sinne von, dass du es etwas mehr drauf ankommen lassen kannst."