Der Australien GP 2019 gab Rätsel auf. Wohl kaum jemand hatte beim Formel-1-Saisonauftakt mit einem überlegenen Sieg von Valtteri Bottas gerechnet - während Mercedes-Teamkollege und Weltmeister Lewis Hamilton abgeschlagen Zweiter wird. Dazu sicherte sich Max Verstappen im Red Bull noch den letzten Platz auf dem Podium, während Sebastian Vettel mit einer Minute Rückstand ins Ziel schlich.

Australien GP 2019: Wie stark war Bottas? Wie schwach Ferrari?: (08:02 Min.)

Natürlich: Testfahrten sind nur Testfahrten und der Albert Park ist eine gravierend andere Strecke als Barcelona. Das Kräfteverhältnis musste nicht aussehen wie beim Test. Aber diese gewaltige Abweichung? Und was war mit Lewis Hamilton los? Motorsport-Magazin.com geht den Melbourne-Mysterien in der ersten Rennanalyse der Saison 2019 auf den Grund.

Das Rennen gewann Bottas am Start. Der Finne überholte seinen Star-Teamkollegen und hatte damit seinen Job gemacht. Doch die Frage ist, warum Bottas zwischenzeitlich fast mit einer halben Minute führte. Im ersten Stint konnten die Verfolger dran bleiben. Bis zu seinem Boxenstopp in Runde 15 hatte Hamilton nicht einmal vier Sekunden Rückstand.

Vettel-Stopp setzt Hamilton unter Druck

Doch in Runde 14 nahm das Rennen eine Wendung. Ferrari holte Sebastian Vettel zum Boxenstopp herein. Was Ferrari damit bezwecken wollte, war klar. Der frühe Boxenstopp war sicherlich nicht die schnellste Rennstrategie. Dafür war der zweite Stint auf den Medium-Reifen viel zu lange. Aber man konnte mit dem Stopp Druck auf Hamilton ausüben.

Vettel hatte zu diesem Zeitpunkt knapp vier Sekunden Rückstand auf Hamilton, knapp acht Sekunden auf Bottas. Mit den frischen Reifen war Vettel eine Gefahr für Hamilton. Ferrari versuchte einen sehr aggressiven Undercut. Mercedes musste reagieren. Aufgrund des Abstands zuerst mit Hamilton. Bottas' Vorsprung würde reichen, ein paar Runden zu warten. Wird es knapper, könne man Bottas noch immer zum Reifenwechsel holen. Bleibt der Abstand stabil, braucht sich der Finne nicht auf die Strategiespiele der Konkurrenz einlassen.

So viel sei vorweggenommen: Eng wurde es für Bottas nicht. Mercedes musste nicht die Konkurrenz mit der Strategie covern, sondern konnte Bottas ein Strategie-optimiertes Rennen fahren lassen. Der Finne, der in der Vorsaison kein einziges Rennen gewinnen konnte, kam erst in Runde 23 zum Stopp.

Sebastian Vettel und Ferrari entglitt das Rennen im zweiten Stint. "Ich hatte auf den Medium-Reifen nicht mehr das Gefühl wie zu Rennbeginn auf den Soft-Pneus", sagte Vettel. Doch Moment: Konnte Vettel nicht zu Beginn des zweiten Stints Hamilton unter Druck setzen? Nach dem Stopp schloss Vettel auf Hamilton auf, setzte seinen Erzrivalen noch einige Runden unter Druck, ehe er selbst von Verstappen geschluckt wurde und schließlich komplett abfiel.

Vettel: Hamilton hatte keine Lust mehr

Motorsport-Magazin.com konfrontierte Vettel mit dem Rennverlauf direkt nach dem Stopp und seiner Aussage zum Gefühl auf den Medium-Reifen, die so nicht zusammenpassten. Vettels Antwort hatte es in sich: "Ich weiß nicht, was Lewis da gemacht hat, wahrscheinlich war er gelangweilt und nicht glücklich weil er den Start verloren hat."

"Ich denke, es ist nicht das erste Rennen, in dem er etwas macht, nur um da rum zu fahren", schoss Vettel weiter in Richtung Hamilton. "An diesem Punkt hat er nur gespielt. Mir wurde am Radio auch gesagt, dass er sich über die Reifen beschwert. Aber ich glaube, er hat es ziemlich locker bis zum Ende geschafft. Vielleicht war er ab diesem Zeitpunkt einfach nicht mehr so glücklich, zu fahren."

Nach einem verhältnismäßig ereignislosen Rennen eine klare Ansage. Hamilton gibt selbst zu, dass er den Sieg schon früh aufgegeben hatte: "Ich verlor meine Position am Start und mein Rennen war damit nach der ersten Kurve so gut wie gelaufen."

Ferraris Strategie tat dann noch ihr Übrigens. "Ich musste früh an die Box, um den Boxenstopp von Ferrari abzudecken", so Hamilton. "Dadurch war mein zweiter Stint sehr lang und ich fuhr super vorsichtig, um sicherzustellen, dass meine Reifen bis zum Ende des Rennens halten würden." Weil Bottas auf der optimalen Strategie bleiben konnte, war Hamiltons Rennen endgültig gelaufen.

Doch hinter Vettels Aussage und Hamiltons Schleichfahrt steckt möglicherweise noch mehr. Die Entwicklung des Rückstands von Hamilton auf Bottas ist interessant. In den ersten 14 Runden verlor er nicht einmal vier Sekunden. Macht rund zweieinhalb Zehntel pro Runde.

Bottas auf alten Reifen schneller als Hamilton auf neuen

Auf den frischen Medium-Reifen verlor Hamilton plötzlich deutlich mehr - obwohl Bottas vorne auf älteren Softs fuhr. In den Runden, in denen Hamilton auf frischen und Bottas auf abgefahrenen Reifen unterwegs waren, wuchs Hamiltons Rückstand von 3,84 auf 12,23 Sekunden an. Im Schnitt verlor er rund acht Zehntel pro Runde.

Nach dem Stopp war Vettel weniger als zwei Sekunden an Hamilton dran. Vettel gaste zu Beginn seines zweiten Stints richtig an, um den Briten unter Druck zu setzen. Doch ausrichten konnte Vettel nichts gegen Hamilton. Stattdessen wurde Vettel von Hamilton aufgehalten, ohne dass Hamilton in Bedrängnis kam. Überholen war zwischen den Top-Autos im Albert Park unmöglich. Vettels ursprünglich starke Rundenzeiten zu Beginn des zweiten Stints flachten hinter Hamilton ab.

Das hatte einen unerwünschten Nebeneffekt für Vettel: Von hinten kam Max Verstappen näher. Der Niederländer konnte sein eigenes Rennen fahren, weil Charles Leclerc keine Gefahr war. Red Bull holte ihn erst in Runde 25 zum Stopp rein.

Vettels Problem: Er konnte seine Runden auf den frischen Reifen nicht nutzen, weil Hamilton ihn aufhielt. Während sich Vettel seine Reifen kaputtfuhr, konnte Verstappen vorne in Ruhe seine Runden drehen und zehn Runden nach Vettel und Hamilton frische Pneus aufziehen. Mit den neuen Medium-Reifen konnte Verstappen dann schnell auf Vettel und Hamilton aufholen.

So wurde Vettel zu Verstappen Opfer. In Runde 31 war der Ferrari-Pilot fällig. Wäre dann nicht eigentlich auch Hamilton fällig gewesen? Eigentlich. Doch Just als Verstappen an Vettel vorbei war, zog Hamilton das Tempo an. Mit den frischeren Reifen war Verstappen eine größere Gefahr als Vettel.

Verstappen überholt Vettel - und Hamilton wird schneller

Auf Anhieb konnte Hamilton eine Sekunde schneller fahren, um Verstappen abzuwehren. Der Mercedes-Pilot konnte - und musste - das Tempo bis ins Ziel halten. Von Runde 31 an verlor Hamilton auch kaum mehr Zeit auf Bottas. Zwischen Runde 31 und 50 vergrößerte sich der Rückstand von 18,16 Sekunden auf das Maximum von 25,73 Sekunden. Im Schnitt verlor Hamilton - auf älteren Reifen - nur noch 0,4 Sekunden pro Runde auf seinen Teamkollegen.

Betrachtet man sogar den Abstand am Rennende, verlor Hamilton ab Runde 31 im Schnitt nur noch 0,1 Sekunden pro Runde auf Bottas. In den letzten Runden verlor Bottas allerdings wieder etwas, weil er für die schnellste Rennrunde Anlauf holen musste.

Blickt man hingegen auf Vettels restliches Rennen, ging es ab Runde 31 nur noch bergab. Der Grund dafür ist auch klar: Nach vorne konnte er nichts mehr ausrichten, von hinten drohte keine Gefahr.

Fazit: Hamiltons Rennen war nach dem Start und erst recht nach dem frühen Boxenstopp gelaufen. Gegen Bottas hatte er von diesem Zeitpunkt an keine Chance mehr. Das ließ der Brite dann Vettel spüren. So konnte Vettel seine frischen Reifen nicht nutzen und wurde direkt in die Gefahr namens Max Verstappen reingetrieben. Von der einen auf die andere Runde konnte Hamilton dann die Pace wieder anziehen.

Damit ist klar, warum sich Vettel nach dem Rennen so genervt über Hamilton äußerte. Damit ist aber auch klar: Der Abstand zwischen Bottas auf Hamilton war so groß, weil Hamilton keine Lust mehr hatte. Und damit ist ebenfalls klar: Der Rückstand von Ferrari auf Mercedes von einer Minute ist nicht realistisch. Die Strategie war nicht Rennzeit-optimiert und Vettel ließ sich am Ende gehen wie zuvor Hamilton.

Schnellste Runde: Was verändert der Bonus-Punkt?: (09:41 Min.)