Das Ergebnis des ersten Qualifyings der Formel-1-Saison 2019 liest sich ernüchternd: Lewis Hamilton startet beim Australien GP im Albert Park neben Mercedes-Teamkollege Valtteri Bottas aus der ersten Startreihe. Hinter den Silberpfeilen ist erst einmal sieben Zehntel lang nichts - dann kommen Sebastian Vettel und Max Verstappen.

Nachdem sich Ferrari bei den Testfahrten zum Favoriten gemausert hatte, erinnert die Mercedes-Dominanz an diesem Wochenende an beste Hamilton/Rosberg-Tage. Die Konkurrenz war chancenlos. Doch gilt das auch für das Rennen? Können Ferrari und Red Bull die Silberpfeile am Sonntag in Melbourne noch unter Druck setzen? Der erste Favoriten-Check des Formel-1-Jahres 2019.

Mut macht das vergangene Jahr. Auch 2018 startete Vettel von Rang drei, Hamilton von der Pole. Der Abstand zwischen den beiden Titelfavoriten war fast identisch - und am Sonntag siegte Vettel. Allerdings half ihm in der Vorsaison eine VSC-Phase. Weil an der Spitze nur Vettel den Vorteil des günstigeren Boxenstopps nutzen konnte, ging der Ferrari-Pilot in Führung.

Hamilton klebte danach in Vettels Getriebe, war deutlich schneller, aber konnte nicht überholen. Das Rennen führte letztendlich zu zwei Regeländerungen: Die neuen Aerodynamik-Regeln 2019, die Überholen ermöglichen sollten und neue VSC-Regeln.

Mercedes-Fehler als einzige Hoffnung für Ferrari und Red Bull?

Ob die Überholproblematik 2019 Vettel oder Verstappen helfen könnte? Die meisten Fahrer zweifeln daran. Vor allem im Albert Park. "Hier kannst du nicht einmal mit Karts überholen", meint Nico Hülkenberg. Damit die Mercedes-Konkurrenz eine ernsthafte Chance hätte, Hamilton und Bottas auf der Strecke zu überholen, müsste ihr Pace-Überschoss phänomenal sein. Einen plausiblen Grund findet man aber für dieses Szenario nicht.

"Wenn wir Fehler machen, werden es unsere Gegner eiskalt ausnutzen", mahnt Mercedes Technik-Chef James Allison aber. Fehler - die einzige realistische Chance der Konkurrenz. Dafür müssen Ferrari und Red Bull aber nah dran sein. Nur so können Fehler erzwungen werden, nur so kann man von Fehlern dann auch profitieren. Aber können Vettel und Verstappen Mercedes im Rennen überhaupt unter Druck setzen?

Formel 1 Australien GP 2019: Longruns auf Soft-Reifen

FahrerGefahren gegenStint-LämgeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
Verstappen*Ende10121:25,836*
HamiltonAnfang10191:28,238
BottasAnfang8181:28,433
VettelAnfang14221:29,090
RäikkönenAnfang11181:29,109
LeclercAnfang3121:29,114
HülkenbergAnfang20251:29,124
GaslyAnfang8151:29,268
GrosjeanAnfang13201:29,845

* Max Verstappen fuhr ein völlig anderes Programm, deshalb haben seine Longruns nur statistischen Wert

Der erste Eindruck ist nein. Sebastian Vettels Longrun am Freitag war nicht schneller als seine Performance auf eine Runde. Das gilt allerdings nur für den Longrun auf den Soft-Reifen. Auf dem Medium zeigte sich ein anderes Bild. Vettel fuhr fast identische Zeiten wie Bottas und Hamilton.

Formel 1 Australien GP 2019: Longruns auf Medium-Reifen

FahrerGefahren gegenStintReifenZeit
Verstappen*Anfang9201:25,910*
BottasEnde6141:27,575
VettelEnde5121:27,601
HamiltonEnde3131:27,616
RäikkönenEnde12211:28,723
GaslyEnde6151:28,796
GrosjeanEnde6161:28,964
RicciardoEnde9171:29,114

* Max Verstappen fuhr ein völlig anderes Programm, deshalb haben seine Longruns nur statistischen Wert

Medium-Reifen als Ferrari-Trumpf?

Auch das Q1 war diesbezüglich eine interessante Session. Ferrari ging mit geringfügig anderen Reifensets in das Qualifying. Man wollte deshalb auf den Medium-Reifen durch den ersten Qualifikationsabschnitt kommen. Während es Vettel gelang, sich auf den Medium zu qualifizieren, musste Teamkollege Charles Leclerc noch einen Soft-Run hinterherschieben.

Interessant dabei: Vettel fuhr zur gleichen Zeit wie Lewis Hamilton auf der Strecke. Der Mercedes-Pilot fuhr aber auf den Softs. Während Hamilton 1:22,043 Minuten fuhr, zitterte sich Vettel mit 1:22,885 Minuten weiter. Acht Zehntel Rückstand - aber auf den härteren Reifen. Am Ende war Vettel auf der gleichen Mischung sieben Zehntel langsamer.

Das Reifen-Delta zwischen Soft und Medium beträgt laut Pirelli zwischen 0,8 und 0,9 Sekunden. "Es ist aber schwierig, das Q1 zu lesen", mahnt Vettel gegenüber Motorsport-Magazin.com und erklärt: "Die Leute spielen herum: Wie stark sie pushen, wie sehr sie den Motor hochdrehen." Klar, Vettel musste auf den Medium-Reifen im Q1 schon mehr pushen, um weiterzukommen, aber acht Zehntelsekunden macht das nicht aus.

Es scheint, als würde Ferrari aus dem Soft nicht die gesamte Performance rausholen können. Der Sprung zwischen den Mischungen ist am SF90 zu gering. "Ich glaube aber nicht, dass wir ein Problem haben, den Grip der Reifen umzusetzen", meint Vettel. Doch Ferraris Schwachstelle deutet ebenfalls ein wenig daraufhin: Die langsamen und mittelschnellen Kurven sind es, in denen Ferrari die Zeit verlor. Dort ist mechanischer Grip gefragt.

Ferrari muss auf zweite Rennhälfte setzen

Im Rennen wird sich zeigen, ob Ferrari auf den härteren Reifen konkurrenzfähiger ist. In der Theorie soll laut Pirelli eine Zweistopp-Strategie die schnellste Möglichkeit sein. Doch ein Einstopp-Rennen ist den Berechnungen zufolge nur knapp langsamer. Aufgrund der Überholproblematik in Melbourne werden alle versuchen, mit einem Stopp durchzukommen.

Dabei ist die schnellste Variante ein Boxenstopp in Runde 27. Die Top-10 müssen ohnehin auf den Soft-Reifen starten, anschließend würden sie mit den Medium-Pneus zu Ende fahren. Mehr als die Hälfte der Renndistanz würde damit auf den härteren Reifen gefahren. Spätestens dann wird sich zeigen, ob Ferrari ein Soft-Problem hat.

Sollte Ferrari die Medium-Pace vom Freitag aber bestätigen können, kann man Mercedes wohl zumindest unter Druck setzen - vorausgesetzt, die Silberpfeile sind bis dahin noch nicht enteilt. Interessant könnte dann übrigens auch der Zusatzpunkt für die schnellste Rennrunde werden, der erstmals seit 1959 wieder vergeben wird.

Spritverbrauch im Rennen das große Fragezeichen

Bei Red Bull ist die Sache undurchsichtiger. Verstappen fuhr am Freitag ein völlig anderes Programm. Repräsentative Longrun-Daten vom Niederländer gibt es nicht. Teamkollege Pierre Gasly war nicht nur auf den Soft-Reifen deutlich hinter Mercedes, sondern auch auf den Medium. Eine realistische Einschätzung von Red Bull? Unmöglich.

Zwei Faktoren könnten den Saisonstart noch zusätzlich interessant machen: Der Albert Park Circuit zählt zu den Strecken mit dem höchsten Benzinverbrauch überhaupt. Selbst wenn das Benzinlimit auf 110 Kilogramm angehoben wurde, die Autos der 2019er Generation sind weniger effizient, weil sie einen höheren Luftwiderstand haben.

Benzinsparen könnte ein Thema werden oder demjenigen helfen, der möglicherweise nicht einmal mit der maximalen Benzinmenge starten muss. Beim Saisonstart gibt es hier natürlich besonders viele Fragezeichen. Niemand weiß, welcher Motorenhersteller hier die Nase vorne hat. Interessant jedenfalls: Im Qualifying gab es bei den Geschwindigkeitswerten keine Grüppchen-Bildung mehr. Die vier Hersteller sind bei den Topspeeds durcheinandergewürfelt.

Start und Safety Car als klassische Melbourne-Faktoren

Der andere Spannungs-Faktor ist der Start. Natürlich haben alle Teams bei den Testfahrten das Startprozedere zigmal geübt, doch die Bedingungen sind immer anders. Trotz genauer Vermessung der Asphaltbeschaffenheit bleibt ein Restrisiko. Dazu verspricht die zweite Startreihe mit Vettel und Verstappen Action.

Dazu kommt - wie 2018 - der Faktor Glück. Auf dem Stadtkurs im Albert Park ist die Chance auf ein Safety-Car oder VSC-Phasen verhältnismäßig groß. Hier kommt übrigens die zweite Regeländerung ins Spiel, die 2019 als Folge auf den Australien GP 2018 eingeführt wurde: Inzwischen müssen die Fahrer auch beim Überqueren der beiden SC-Linien positiv über der vorgegebenen Minimum-Zeit liegen.

Dadurch soll verhindert werden, dass es während VSC-Phasen Rennen am Boxenausgang gibt. Hamilton hätte nämlich im vergangenen Jahr noch die Möglichkeit gehabt, vor Vettel zu bleiben - hätte er frühzeitig realisiert, dass Vettel schnell aus der Box kommt. Dann hätte er nur bis zum nächsten Marshalling-Sektor langsam machen müssen, um dort wieder im positiven Bereich zu sein.

Vettel jedenfalls hat den Sieg trotz der herben Qualifikationsschlappe noch lange nicht abgeschrieben. "Natürlich denke ich, dass wir gewinnen können", gibt er sich kämpferisch. "Wir haben ein gutes Auto, wir haben ein gutes Rennauto und wir sind in guter Form. Mercedes sind natürlich nach dem Ergebnis die klaren Favoriten, aber wir sind hier, um Rennen zu fahren. Ich glaube noch immer, dass wir ein großartiges Auto haben - und wir sollten besser als das sein. Ich freue mich auf das Rennen."