Lewis Hamilton sprach von einem "echten Schock", Valtteri Bottas fühlte sich wie weggeblasen, Toto Wolff war überwältigt und die Konkurrenz - in Form von Ferrari-Pilot Charles Leclerc - nannte es einen "ziemlich großen Schock". Die Rede ist natürlich von der überraschenden Mercedes-Dominanz am bisherigen Rennwochenende in Australien.

Dem Formel-1-Saisonstart 2019 haben bis dato nämlich nicht die angeblich so haushohen Favoriten Ferrari und Sebastian Vettel ihren Stempel aufgedrückt, sondern ganz klar doch wieder und einmal mehr der Weltmeister: Nach starken Trainings präsentierten sich die Silberpfeile auch im Qualifying als geschlossen starke, völlig überlegene Bank. Sieben Zehntel fehlten Vettel auf Pole, noch immer stramme sechs zum etwas langsameren zweiten Mercedes.

Nach den Testfahrten hatte damit niemand gerechnet. Auch nach dem starken Freitag in Melbourne traute Mercedes dem Braten selbst noch nicht. Doch das Kräfteverhältnis erwies sich als korrekt, nicht als Zerrbild. Aber warum? Warum ist Mercedes jetzt doch wieder so stark?

Mercedes: Formel-1-Saisonvorschau 2019 (14:48 Min.)

Wolff: Mercedes hat keinen Stein unberührt gelassen

Toto Wolff sieht vor allem zwei Gründe. Der erste ist relativ simpel: harte Arbeit und Detailversessenheit, wie wir sie von Mercedes schon seit Jahren kennen. "Das Team hat in den vergangenen Wochen fantastisch gearbeitet. Nach einer schwierigen Zeit bei den Testfahrten, besonders in der ersten Woche in Spanien, haben wir keinen Stein unberührt gelassen, um Antworten zu finden und das Auto zu verbessern", sagt der Mercedes-Teamchef.

"Unser Team hat zwischen Barcelona und hier richtig gute Arbeit abgeliefert und das Auto stetig weiterentwickelt", erklärt auch Bottas den gewaltigen Satz nach vorne mit Fleißarbeit. Dabei sei das Setup nicht einmal großartig anders gewesen, ergänzt Hamilton. Den Grundstein für den Fortschritt legte Mercedes allerdings noch in Barcelona, berichtet Wolff.

Letzter Testtag bringt Mercedes Erleuchtung

Am Freitag - dem letzten Testtag also - habe er erstmals nach einem schwierigen Testwinter Licht am Ende des Tunnels gesehen. "Da dachte ich das, als wir mal wirklich mit dem Auto experimentiert haben, um zu verstehen, wann es performt. Am Freitag haben wir die ersten echten Runs mit wenig Benzin gemacht und da war das Auto plötzlich beisammen. Da waren wir so schnell wie Ferrari und auf einer Höhe", erinnert Wolff an die 0,003 Sekunden Unterschied im Endergebnis der Testfahrten.

Doch daraus wurde nun sogar noch wesentlich mehr - ein Vorteil wider Erwarten. "Wir hatten nicht damit gerechnet, so einen Vorsprung auf die anderen zu haben", sagt Bottas. "Vor dem Wochenende wussten wir nicht, wo wir stehen würden, genau genommen dachten wir sogar, dass wir ein wenig hinter Ferrari liegen würden."

Auch Wolff war nicht sicher, was Mercedes in Australien erwarten sollte, schildert er. "Ob wir die Schnellsten sein würden oder nicht, oder, ob es eng sein würde. Dann hatten wir diesen großartigen Freitag, dem wir auch noch nicht ganz geglaubt haben. Aber dann war das Auto heute genauso gut", freut sich der Österreicher. "Das hat einfach all die Arbeit bewirkt, die hineingeflossen ist, seit wir die Testfahrten begonnen haben - und all die Analyse. So konnten wir ein Auto auf die Strecke bringen, dass wirklich schnell ist."

Nur ein klassischer Australien-Ausreißer?

Das alles klingt was zu gut, um wahr zu sein. Und, um so einfach zu sein. Was uns zur zweiten möglichen Erklärung führt. Denn Wolff hält auch noch etwas anderes für möglich, eine Kombination aus zwei Dingen: Dem bekanntlich sehr speziellen Albert Park Circuit und der direkten Umkehr des Bilds beim Test: Versteht jetzt Mercedes das Auto, aber Ferrari nicht?

"Ein gutes Ergebnis ist noch kein Grund, um in Begeisterung zu verfallen: Denn diese Strecke ist mit Blick auf die Performance ein kleiner Sonderfall", mahnt Wolff. "Deshalb können wir noch nicht beurteilen, ob es vielleicht auch ein Ausreißer ist oder wir ein Auto haben, das generell so schnell ist wie es heute ausgesehen oder den Anschein erweckt hat."

Hat Ferrari nur daneben gegriffen? Wolff: Zu knapp vor Mittelfeld

Wolff weiter: "Vielleicht hat es Ferrari hier in Melbourne einfach auf eine ganz ähnliche Art nicht zusammenbekommen, wie wir in Barcelona." Dafür spricht, das sich Ferrari insbesondere auf dem weichsten Reifen - für da Qualifying entscheiden - besonders schwer tat. Was den Mercedes-Teamchef zusätzlich zu diesem Schluss führt, ist das extrem nah gerückte Mittelfeld. Vier Zehntel langsamer als Ferrari war deren eigener Kunde Haas im Qualifying immerhin. "Sie schienen hier viel näher an den anderen Teams als sie sollten", kommentiert Wolff.

"Wir dürfen sie nicht unterschätzen. Sie haben bei den Wintertests sehr stark ausgesehen und sie haben ein schnelles Auto, obwohl sie heute Schwierigkeiten hatten", warnt daher auch Bottas. Wolff wiederum sieht aber zumindest eine gute Nachricht jetzt als faktisch bestätigt: "Unser Auto kann schnell sein. Das ist heute die wichtige gute Nachricht."

Die Zutaten sind also vorhanden. Doch gewonnen sei deshalb noch lange nichts. "Um um die WM zu fahren, musst du dann auf den meisten der Strecken schnell sein, ein zuverlässiges Auto haben, darfst keine Fehler machen und musst Fahrer haben, die einen guten Job machen", erinnert Wolff.

"Ich denke, dass die WM genauso umkämpft sein wird, wie im vergangenen Jahr. Nur, weil wir jetzt einen guten Freitag und sehr guten ersten Samstag hatten, heißt das nicht, dass es ein Homerun für uns wird. Wir müssen uns wie im vergangenen Jahr bis zum Maximum strecken."