Nach dem ersten Trainingstag der Formel-1-Saison 2019 in Melbourne wissen wir weniger als nach den Testfahrten. Ferrari reiste als Favorit nach Australien und musste sich plötzlich von Mercedes demütigen lassen. Lewis Hamilton fuhr auf seiner schnellsten Runde 0,873 Sekunden schneller als Sebastian Vettel.

Selbst die beiden Red Bull waren schneller als Vettel im besten Ferrari. Doch auch die Bullen lagen viel zu weit hinter den Silberpfeilen zurück. Acht Zehntelsekunden fehlen Max Verstappen. Das wirft Fragen auf: Hat Mercedes im Winter nur geblufft? Sind Ferrari und Red Bull wirklich so schlecht? Und warum ist das Mittelfeld so nah dran? Vorab die Warnung: Die erste Trainingsanalyse der Saison 2019 liefert keine klaren Antworten - aber Hintergrundinfos und Erklärungsansätze.

Es war eines der merkwürdigsten Trainings, das man in der jüngeren Formel-1-Geschichte verfolgen durfte. Die acht Testtage schienen ein klareres Bild abzugeben als der Freitag in Melbourne. Mit Gewissheit lässt sich nur eine Sache sagen: Williams ist chancenlos. George Russell und Robert Kubica fuhren fast zwei Sekunden hinter allen anderen.

Ferrari und Red Bull rutschen ins Mittelfeld ab

Vorne an der Spitze und im Mittelfeld ist das Bild deutlich diffuser. Ferrari fehlte nicht nur fast eine Sekunde auf Mercedes, Ferrari war fast mittendrin im Mittelfeld. Eine Zehntel lag Vettel vor seinem ehemaligen Teamkollegen Kimi Räikkönen im Alfa, Nico Hülkenberg im Renault war ebenfalls direkt dahinter. "Bei den Longruns waren wir sogar schneller als Ferrari", verriet Renault Teamchef Cyril Abiteboul Motorsport-Magazin.com. "Aber das heißt nicht, dass wir schneller als Ferrari sind. Das heißt eher, dass sie Probleme hatten."

Das glaubt auch der Rest im Fahrerlager. Selbst wenn Ferrari auf Mercedes in Relation zu den Testfahrten verloren hat oder die Silberpfeile nicht alles zeigten, Ferrari wäre nicht plötzlich im Mittelfeld. Der Abstand von Mercedes zum Mittelfeld ist mit einer Sekunde in etwa da, wo man ihn erwartet hatte.

Bei Ferrari selbst herrschte ebenfalls noch keine Panik. "Es sind keine großen Probleme", meinte Charles Leclerc. "Ich bin mir sicher, dass wir uns verbessern werden. Wir haben schon ein paar Ideen." Auch Sebastian Vettel sah man schon deutlich schlechter gelaunt. "Sowas kommt auf einer Strecke wie hier schnell zusammen", beruhigte er ob des großen Rückstands. "Da mache ich mich jetzt nicht verrückt."

Vettels Aussagen erinnern stark an das Vorjahr: "Der Speed hat gefehlt und vielleicht auch ein bisschen das Vertrauen ins Auto. Wenn die zwei Sachen zusammen kommen, dann wird man sich wohler fühlen, gerade einer Strecke wie hier." 2018 war Ferrari - vor allem Sebastian Vettel - am Freitag oftmals weit weg von Spitze und holte über Nacht in großen Schritten auf. Die Simulatorarbeit funktionierte in Maranello.

Antonio Giovinazzi und Daniil Kvyat waren in der Vorsaison für Ferrari im Simulator unterwegs. Beide verließen die Scuderia aber über den Winter, haben jetzt Stammcockpits. Ferrari holte sich mit Pascal Wehrlein und Brendon Hartley erneut bekannte Namen in den Simulator.

Was wirft Ferrari so aus der Bahn?

Doch was kann Ferrari so aus der Bahn werfen, dass man plötzlich so weit weg ist? Oder ist der Rückstand doch realistisch? Melbourne ist eine komplett andere Strecke als Barcelona. Nicht nur der Streckenverlauf, auch die Begebenheiten. Der Albert Park Circuit ist eine der welligsten Strecken des Jahres, Barcelona ist seit der Neuasphaltierung topfeben. Dazu kam am Freitag recht starker Wind.

Da kann es schnell passieren, dass sich ein Auto, das vor zwei Wochen noch perfekt lag, plötzlich ganz anders verhält. Die Frage ist, ob sich das mit dem Setup korrigieren lässt oder ob es eine grundsätzliche Charakteristik des SF90 ist.

Doch warum funktioniert der Mercedes plötzlich so gut? Lewis Hamilton mahnte noch am Donnerstag in Melbourne, Mercedes hätte noch viel Arbeit vor sich. Trotz des gigantischen Upgrades in der zweiten Testwoche hatten die Silberpfeile schon wieder neue Teile im Köcher. "Die schienen gut zu funktionieren", bestätigte Technik-Chef James Allison.

Auch Lewis Hamilton fühlte sich plötzlich wohl. "Das Auto hat mir ein gutes Gefühl vermittelt - genau deshalb macht es mir so viel Spaß", sagte der Weltmeister. "Es fühlt sich ähnlich wie zuletzt in Barcelona an - auf einer anderen Strecke ist das ein positives Zeichen."

"Die Dominanz von Mercedes ist unglaublich", musste Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko im Motorsport-Magazin.com-Interview anmerken. "Eine Erklärung ist, dass sie in Barcelona mit den Benzinmengen geblufft haben. Oder, dass sie ihre Probleme - die sie hatten, das haben wir ja gesehen - optimal aussortiert haben."

Red Bull von Mercedes geschockt

Der Doktor hatte vor dem Saisonauftakt Red Bull als zweite Kraft gesehen - allerdings ein wenig anders, als es im Training dann kam. "Erstens nicht so weit hinten und zum anderen eher hinter Ferrari als hinter Mercedes", erklärt der Österreicher.

Der Rückstand bereitet Marko Sorgen: "Irgendwo ist das nicht unerwartet, da wir durch den Crash [von Pierre Gasly am vorletzten Tag der Testfahrten] nie unser komplettes Paket zum Einsatz bringen konnten. Wir sind immer noch an den Abstimmungsarbeiten dran und tüfteln, sind eigentlich nicht richtig weitergekommen. Aber trotzdem, das sind eigentlich nur ein paar Zehntel und nicht der Rückstand, den wir jetzt auf Mercedes haben."

Red Bull sieht in Melbourne Mercedes nur aus der Ferne, Foto: LAT Images
Red Bull sieht in Melbourne Mercedes nur aus der Ferne, Foto: LAT Images

Immerhin Verstappen hätte noch ein paar Zehntel holen können, lief auf seiner schnellen Runde aber auf Antonio Giovinazzi auf. Allerdings fuhr der Niederländer ein komplett anderes Programm und ging erst ganz am Ende der Session auf Zeitenjagd - als die Strecke schon deutlich besser war.

So richtig kann das Trainingsergebnis also niemand erklären. Doch wie sieht es bei den Longruns aus? Hat Mercedes vielleicht beim Test geblufft und Ferrari nun im Training? Verstappens Longruns sind wenig aussagekräftig, er fuhr auf dem erwähnt anderen Programm.

Seine Bestzeit fuhr er während eines kleinen Longruns. Dafür musste er aber ein Push-Charge-Push-Programm absolvieren, also die Batterie immer wieder aufladen. Dabei werden die Reifen bei jeder zweiten Runde geschont. Deshalb sind seine Zeiten nahezu irrelevant.

Verstappens eigenartiges Programm war noch eine Folge des Testcrashes von Pirre Gasly. "Wir verstehen das Auto noch nicht ganz", gesteht Marko und erklärt: "Wir haben gewisse Programme und wollten mit gleichen Reifen sehen, wie sich die Chassisveränderungen auswirken. Das wäre durch neue Reifen übertüncht worden und wir wollten da ein klareres Bild bekommen."

Ferrari beim Soft-Longrun abgeschlagen

Und wie sieht es beim Rest aus? Auf den C4-Reifen, den weichsten am Australien-Wochenende, bestätigte sich das Bild der Bestzeiten. Hamilton war vor Teamkollege Valtteri Bottas der Schnellste, Sebastian Vettel fehlten als Drittem schon wieder knapp neun Zehntelsekunden. Aber auch bei den Longruns war das Mittelfeld direkt dran am Ferrari-Piloten.

Formel 1 Australien GP 2019: Longruns auf Soft-Reifen

FahrerGefahren gegenStint-LämgeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
Verstappen*Ende10121:25,836*
HamiltonAnfang10191:28,238
BottasAnfang8181:28,433
VettelAnfang14221:29,090
RäikkönenAnfang11181:29,109
LeclercAnfang3121:29,114
HülkenbergAnfang20251:29,124
GaslyAnfang8151:29,268
GrosjeanAnfang13201:29,845

* Max Verstappen fuhr ein völlig anderes Programm, deshalb haben seine Longruns nur statistischen Wert

Das Problem war nicht der Reifenverschleiß - die Rundenzeiten entwickelten sich bei Ferrari und Mercedes recht ähnlich. Allerdings begann Ferrari einfach deutlich langsamer. Auf dem Soft-Reifen fehlte Ferrari schlichtweg die Pace.

Auf dem Medium-Pneu hingegen eine andere Welt. Mit dem C3-Reifen funktionierte der SF90 offenbar deutlich besser. Bottas, Vettel und Hamilton fuhren fast die gleichen Zeiten. Und hier zeigt sich sehr wohl der gewöhnlich große Abstand zum Mittelfeld. Kimi Räikkönen fehlte im Alfa schon mehr als eine Sekunde. Etwas besorgniserregend: Auch Pierre Gasly im Red Bull fehlten auf dem Medium Welten. Doch Gasly taugt - das haben schon die Testfahrten gezeigt - nur bedingt als Maßstab für Verstappen und Red Bull. Die Zeiten des Niederländers sind ob seines Programms obsolet.

Formel 1 Australien GP 2019: Longruns auf Medium-Reifen

FahrerGefahren gegenStintReifenZeit
Verstappen*Anfang9201:25,910*
BottasEnde6141:27,575
VettelEnde5121:27,601
HamiltonEnde3131:27,616
RäikkönenEnde12211:28,723
GaslyEnde6151:28,796
GrosjeanEnde6161:28,964
RicciardoEnde9171:29,114

* Max Verstappen fuhr ein völlig anderes Programm, deshalb haben seine Longruns nur statistischen Wert

Fazit: Das Ergebnis ist bedingt repräsentativ. Es ist offensichtlich, dass Ferrari Probleme auf den Soft-Reifen hatte. Das zeigt der Abstand zum Mittelfeld - wie der eigentlich aussehen müsste, offenbaren nur Vettels Longruns auf dem Medium. Die Frage ist, ob Ferrari die Soft-Probleme über Nacht aussortieren kann. In der Vergangenheit gelangen solche Schritte öfter. Die Bedingungen könnten helfen: Samstag und Sonntag soll es deutlich wärmer werden.

Red Bull ist etwas schwieriger einzuschätzen, weil Verstappen ein komplett anderes Programm fuhr und Gasly nur bedingt als Referenz dient. Auch wenn es das Ergebnis nicht zeigt - um Red Bull muss man sich wohl mehr Sorgen machen als um Ferrari. Mercedes ist nach diesem Auftakt aber Favorit für das Qualifying (Start um 07:00 Uhr deutscher Zeit, RTL und Sky übertragen live).