Neue Gegner für die Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton, Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen. Die etablierten F1-Stars teilen sich das Grid beim ersten Rennen 2019 in Australien mit vier neuen Gesichtern. Motorsport-Magazin.com stellt die vielversprechenden Rookies der Saison 2019 vor dem ersten Grand Prix des Jahres in Melbourne vor. Im letzten Teil der Serie geht es um den amtierenden Formel-2-Champion George Russell. Er startet 2019 für Williams und zählt nach wie vor zum Mercedes Junior-Team.

Motorsport-Magazin.com: Lass uns erstmal über die wichtigen Dinge sprechen: Wie steht es um deine Powerpoint-Skills? Es gibt diese Geschichte, dass du Paddy Lowe, den Williams Technik-Chef, mit einer Power-Point-Präsentation von dir überzeugt hast...
George Russell: Ja, es gab diese Präsentation. Ein Dokument sozusagen, und das funktionierte offenbar ziemlich gut. Ich hatte schon genau im Kopf, was ich sagen wollte. Ich hatte Notizen über alles gemacht, was ich in dem Meeting sagen wollte. Und dann dachte ich mir, anstatt nur von meinen Notizen abzulesen, bringe ich etwas Professionelleres zu Papier und lege es ihm vor. Damit er es auch mitlesen kann, während ich spreche. Und außerdem hatten sie am Ende des Tages nach dem Meeting alles, was besprochen wurde, vorliegen. Das hat gut geklappt.

Das klingt, als ob du jemandem etwas verkaufen wolltest.
George Russell: Ja, exakt. Genau das ist es. Wenn du von etwas begeistert bist und dieses Produkt verkaufen willst, wirst du alles Mögliche machen, wovon du glaubst, dass es das Beste ist, um dieses Produkt zu verkaufen. Und ich denke, wenn du in ein Meeting gehst und redest, redest, redest, vergessen die Leute hinterher vielleicht, was du erzählt hast. Es ist anders, wenn du eine Präsentation über dieses Produkt hast, und in diesem Fall war ich das Produkt und ich habe mich selbst verkauft.

Teamchefin Claire Williams hat erzählt, dass du dich in Hockenheim persönlich bei ihr vorgestellt hast und von da ab an jedes Rennwochenende kamst. Wie viel von dem Ganzen ist Legendenbildung, wie viel ist wirklich passiert?
George Russell: Das ist alles wahr. Ich war immer der Meinung, dass es besser ist, wenn es aus meinem Mund kommt anstatt aus dem eines Managers. So lernen sie letztendlich meinen wahren Charakter kennen und es sagt auch ein bisschen etwas über mich aus. Ich war selbstbewusst genug und ich musste das nutzen, denn ich denke, dass dies eine Fähigkeit ist, die mir helfen wird, ein Formel-1-Team voranzubringen. Deshalb wollte ich derjenige sein, der mich vorstellt und für mich wirbt.

Das ist interessant, denn andere Mercedes-Junioren sag(t)en immer, dass sie mit diesen Dingen nichts zu tun haben wollen und sich nur auf das Fahren fokussieren wollen, während Toto sich um den Rest kümmert. Hattest du nicht das Vertrauen, dass sie es am Ende für dich regeln würden?
George Russell: Ich habe das gemacht, weil ich gerade drei tolle Rennwochenenden beim Triple-Header in Frankreich, Österreich und England hatte. Ich führte die Formel 2 in meinem Rookiejahr an. Wenn ich nicht in Hockenheim gewesen wäre [die Formel 2 fuhr nicht in Hockenheim], wäre ich zuhause auf dem Sofa gesessen. Also, warum nicht nach Hockenheim kommen und für mich werben? Und vielleicht hat das für mich den Unterschied gemacht. Ich hatte alles Vertrauen der Welt, dass Mercedes es für mich regeln würde. Aber so habe ich sie unterstützt, den Deal über die Ziellinie zu bringen.

George Russell schaute 2018 bei Mercedes über die Schulter., Foto: Sutton
George Russell schaute 2018 bei Mercedes über die Schulter., Foto: Sutton

Du hast freiwillig auf Freitagseinsätze im Training verzichtet, weil du dich auf die Formel 2 konzentrieren wolltest. Du scheinst schon in jungen Jahren wirklich zu wissen, was du willst und brauchst, um erfolgreich zu sein.
George Russell: Ich denke schon, ja. Ich war in den vergangenen beiden Jahren in einer sehr glücklichen Situation, bei Mercedes, einem Weltmeister-Team, involviert zu sein, umgeben von Menschen wie Lewis und Valtteri, von denen ich unheimlich viel gelernt habe. Und ich habe wirklich das Gefühl, dass ich weiß, was ich brauche, um in die Formel 1 zu kommen. Wenn ich hier bin oder auch abseits der Strecke, weiß ich, welche Leute ich um mich herum brauche und welche Dinge ich machen muss, um in allen Bereichen vorwärts zu kommen. Wir wissen alle, dass es nicht nur um das geht, was du auf der Rennstrecke machst. Es geht um das Gesamtpaket.

Kannst du uns etwas über deinen familiären Hintergrund erzählen? Davon ist relativ wenig bekannt. Nur, dass du aus einer wohlhabenden Familie kommst und dein Vater sein Geld im Bohnen-Business gemacht hat.
George Russell: Nun, mein Vater stammt überhaupt nicht aus wohlhabenden Verhältnissen. Er hat sich wirklich von dort den Weg nach oben gearbeitet, um ein erfolgreiches Geschäft aufzubauen. Es war erfolgreich genug und er konnte mir, meinem Bruder und meiner Schwester - oder eher mir in meiner Kindheit, denn ich bin zwölf Jahre jünger als meine Geschwister - etwas ermöglichen. Aber sie hatten es auch nicht schwer. Meine Familie war aber nicht wohlhabend genug, um mich ohne Unterstützung bis in die Formel 1 zu bringen. Ich denke nicht, dass ich es weiter als bis in die Formel 3 gebracht hätte, denn ich hatte keine großen Sponsoren oder Unterstützung aus der Formel 1. Das wäre das Ende meiner Formelkarriere gewesen und dann wäre ich wahrscheinlich den DTM-Weg gegangen. Meine Familie hat sich im normalen Leben gut gemacht, aber ich hätte darauf nicht bauen können, um es bis in diese Position zu schaffen.

Dann hast du Mercedes also gebraucht, um diesen Schritt zu machen?
George Russell: Ja, exakt.

Du bist zwei Saisons in der Formel 3 gefahren und hast dort einige gute Ergebnisse eingefahren, bist aber nicht unbedingt herausgestochen. Warum bist du in der GP3 und zuletzt in der Formel 2 dann so durchgestartet?
George Russell: Ich glaube, im Motorsport geht es immer um das ganze Paket. Es geht nicht allein darum, wie schnell du bist oder wie du mit dem Team zurechtkommst und mit den Ingenieuren arbeitest. Das ist etwas, was ich bis zur zweiten Hälfte meines zweiten Jahres in der Formel 3 nicht wirklich erkannt habe. Und an diesem Punkt hatte ich wohl nicht die Erfahrung oder das Wissen, das Team in die richtige Richtung zu pushen. Was das Fahren angeht, hatte ich besonders 2016 das Gefühl, dass ich meinen Job auf jeden Fall gemacht habe. Ich habe meine Teamkollegen in fast jedem Qualifying und Rennen geschlagen. Das ist in der Formel 1 ähnlich. Wenn das Auto nicht zu mehr in der Lage ist, musst du alles herausholen. Zu meinem Glück erkannte Mercedes das trotzdem und entschied, mich als Young Driver zu verpflichten, obwohl ich die Meisterschaft nur als Dritter abgeschlossen hatte. Ich denke, im Motorsport kannst du häufig nicht einfach nur auf die Resultate schauen. Du kannst nicht sagen, dass Charles Leclerc dieses Jahr der 14-beste Fahrer ist, weil er 14. in der Meisterschaft ist. Du musst die Gegebenheiten berücksichtigen.

Für uns ist die Rivalität zwischen Lando und dir eine ziemlich schöne Sache. Zwei junge Briten, die die Formel 1 unsicher machen. Von außen betrachtet scheint es so, als wäre er der Shooting Star und der Sunny Boy, über den vor der Formel-2-Saison alle sprachen, und du bist der - verzeih mir den Ausdruck - Nerd, der Arbeiter. Würdest du sagen, dass das der Realität entspricht?
George Russell: Nun, ich denke, dass Lando eine sehr gute Nachwuchskarriere hatte, ohne jeden Zweifel. Er hat viel Arbeit investiert, um all die Erwartungen für dieses Jahr und seine Marke aufzubauen, was meiner Meinung nach völlig in Ordnung ist. Letztendlich war das gut für mich. Denn wenn es so viel Gerede und Hype um ihn gibt, wird mich das noch besser aussehen lassen, wenn ich ihn dann schlage. Und ich war sehr zuversichtlich, dass ich das schaffen konnte. Ich hatte viel Glauben in mich und in mein Team. Jedes Mal, wenn ich eine neue Geschichte gelesen habe, musste ich darüber lachen, denn ich wusste, wenn ich den Job erledige, wird das für mich nur noch besser aussehen.

Im Titelduell in der Formel 2 setzte sich Russell gegen Norris durch., Foto: LAT Images
Im Titelduell in der Formel 2 setzte sich Russell gegen Norris durch., Foto: LAT Images

Jeder junge Pilot, der in die Formel 1 aufsteigt, hat wohl dasselbe Problem. In den Nachwuchsrennserien waren sie daran gewöhnt, Rennen zu gewinnen. Du weißt, dass du in der Formel 1 zunächst nicht um Siege kämpfen wirst. Wie kommst du mit dieser Situation zurecht?
George Russell: Ich denke nicht, dass es schwierig ist, mit dieser Situation klarzukommen. Letztendlich ist es der Traum eines jeden jungen Fahrers, in der Formel 1 zu sein. Es geschafft zu haben, ist solch eine Errungenschaft, ich brauche definitiv keine extra Motivation, um zu fahren, denn ich bin in der Formel 1 und fahre gegen 19 der besten Rennfahrer auf der Welt. Das allein ist schon ein großer Erfolg. Aber in der Formel 1 hast du andere Ziele und Vorgaben. Ich bin hier, um zu versuchen, das Team nach vorne zu bringen. Du arbeitest mit 650 Menschen anstatt 25, wie in einem Nachwuchsteam. Es gibt unterschiedliche Dinge, auf die du dich fokussieren musst. Nicht nur das Fahren, das ganze Paket, das Team muss als eine Einheit arbeiten, dazu gibt es Sponsoren und die Medien. Da geht es um so viel mehr. Wir haben unterschiedliche Ziele für dieses Jahr und du wirst immer noch Erfolgserlebnisse haben, ob du jetzt auf das Podium fährst oder Siebter oder Zehnter wirst. Du musst nur erkennen, was möglich ist.

Hast du ein klares Ziel für 2019?
George Russell: Mein klares Ziel ist, immer wenn wir auf der Strecke sind, das zu maximieren, was wir haben - unabhängig von der Position. Gleichzeitig müssen wir besser und schneller als alle anderen entwickeln. Eine konkrete Zahl kann ich als Ziel nicht ausgeben, denn mit den neuen Regeln bin ich mir sicher, dass selbst Mercedes, Ferrari und Red Bull nicht sicher sind, in welcher Reihenfolge sie 2019 sein werden. Das Ziel ist es, das Team aufzubauen und sehr schnell zu entwickeln.

Zum Abschluss eine philosophische Frage: Was bedeutet Racing für dich? Mensch und Maschine? Der Kampf gegen andere Fahrer?
George Russell: Gegen andere Jungs Rennen zu fahren ist das, was mich jeden Tag dazu motiviert, aufzustehen. Die Rad-an-Rad-Kämpfe. Aus so einem Kampf als Sieger hervorzugehen. Es gibt kein anderes Gefühl, das an diesen Erfolg rankommt. Das bedeutet Racing für mich.

Steckbrief

Alter:
20 Jahre
Herkunft:
King's Lynn, England
Größe:
1,85 Meter
Junior-Programm:
Mercedes
F1-Debüt 2019 mit:
Williams
Erfolge:
6. Platz Formel 3 EM 2015
3. Platz Formel 3 EM 2016
Meister GP3-Serie 2017
Meister Formel 2 2018