Ferrari drückt den Formel-1-Testfahrten 2019 in Barcelona bisher klar seinen Stempel auf. Doch während Sebastian Vettel am Mittwoch einen heftigen Unfall wegstecken musste, war es einen Tag später Charles Leclerc, der im SF90 die mit Abstand schnellste Rundenzeit der Wintertests fuhr. Der Youngster zeigt trotz geringer F1-Erfahrung keinerlei Eingewöhnungsprobleme bei der Scuderia. Der Kampf gegen den Teamleader ist bereits eröffnet.

"Letztendlich arbeiten wir zusammen, um das Auto zu verbessern. Aber er will mich auf der Rennstrecke auch genauso sehr schlagen, wie ich es umgekehrt will", so Leclerc über das offenbar schon jetzt vom Ehrgeiz geprägte Verhältnis zum viermaligen Weltmeister. Dabei soll das erste Jahr bei Ferrari für ihn in erster Linie eigentlich ein Lehrjahr sein. Ein Lehrjahr, bei dem er vor allem von Vettel lernen soll.

Der Heppenheimer blickt auf über elf Jahre in der Königsklasse zurück und ist mit 219 Starts nach Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton der dienstälteste Pilot im Feld. Leclerc hingegen blickt lediglich auf ein Jahr Formel 1 bei Alfa Romeo Sauber zurück. Den Ambitionen des 21-Jährigen tut dieser Erfahrungsnachteil aber keinen Abbruch. Genauso entschlossen und fokussiert wie er sich gegenüber den Medien gibt, geht er auch bei Ferrari seinen Weg.

Er vertraut auf seine eigenen Fähigkeiten. "Es ist nicht so, dass ich zu ihm gehe und versuche, Tipps von ihm zu bekommen", stellt er klar, dass es zwischen ihm und Vettel keine Geschenke dieser Art gibt. Tatsächlich würden ihm diese wohl auch nicht unbedingt weiterhelfen.

Vettel und Leclerc: Kollegialer Austausch über den Ferrari SF90

Denn auch im Cockpit zieht Leclerc sein eigenes Ding durch, da sich sein Fahrstil nicht mit dem des Stallgefährten deckt. "Wir fahren bisher ziemlich unterschiedlich. Es ist schwierig ins Detail zu gehen, denn es sind sehr kleine Dinge, überall ein bisschen", beschreibt er die Nuancen, die seine Lenkradakrobatik von der Vettels unterscheiden.

Was auf den ersten Blick fast schon wie Eiszeit klingt, ist letztendlich aber nur der ganz normale Arbeitsalltag zwischen zwei ehrgeizigen Teamkollegen. Und ein persönlicher Austausch findet durchaus statt. "Ich habe ihn gefragt!", scherzt Vettel. Über die Eigenheiten des Boliden wird sehr wohl gesprochen, spätestens in den gemeinsamen Meetings.

"Ich erinnere mich nicht an seine Fragen. Aber wir sprechen über das Gefühl für die Front und das Heck des Autos. Aber da gab es von beiden Seiten viele Fragen", so der 31-Jährige weiter. "Wir sitzen uns in allen Meetings direkt gegenüber. Wir fahren ja dasselbe Auto, es ist halt nur nicht derselbe Sitz. Da hört jeder am Tisch genau zu. Es gibt so viel Austausch, wie man da eben haben kann."

Vettel als Vorbild: Leclerc lebt sich bei Ferrari ein

Auch Leclerc versucht im Zuge des Telemetrieaustauschs natürlich, für die eigene Performance das beste vom Teamkollegen mitzunehmen. "Ich kann definitiv von ihm lernen, wenn ich seine Daten anschaue", sagt er. Bisher decken sich die Aussagen der beiden zum SF90. "Wir haben dasselbe Feedback gegeben. Das ist auf jeden Fall gut für das Team."

Während er sich im Auto eher auf sich selbst verlässt, nimmt er sich bei der Arbeitsweise außerhalb des Cockpits schon eher ein Beispiel am Heppenheimer, der bereits seit 2015 bei der Scuderia an Bord ist: "Die Art wie er mit dem Team arbeitet, zu sehen, war für mich sehr hilfreich."

Leclerc spürt den Wechsel vom beschaulichen Sauber-Team in Hinwil nach Maranello nicht nur im Cockpit. "Ferrari ist ein großes Team mit vielen Leuten. Ich muss mich an so viele Leute erst noch gewöhnen", sagt er. Den Wechsel zum legendären italienischen Team hat er emotional mittlerweile aber verarbeitet.

Tests 2019: Wie wirkt sich Sebastian Vettels Test-Unfall aus?: (05:44 Min.)

Leclerc lässt Erfolgsdruck kalt: Emotionen oder Nervosität gibt es nicht

"Wenn ich ins Auto steige, habe ich keine Emotionen mehr. Ich denke, das ist extrem wichtig, um voll auf den Job fokussiert zu sein. Ich bin zu 100 Prozent darauf fokussiert, dieses Auto zu fahren, und nicht darauf, welches Auto ich fahre", erklärt er.

Dass er schon in seinem zweiten Jahr in einem siegfähigen Boliden sitzen wird, lässt Leclerc ebenfalls kalt: "Ich bin nicht nervös. Mein Ziel ist, den bestmöglichen Job zu machen. Ich werde für Australien noch hart trainieren und sicherstellen, dass ich auch mental in Bestform bin. Ich versuche, das bestmögliche Resultat einzufahren. Aber ich habe was das angeht keine bestimmte Zielvorgabe."