McLaren steht vor einem Neuanfang - wieder einmal. Woking erreichte diese Saison auch ohne Honda einen neuen Tiefpunkt. 2019 soll endlich die Wende bringen. Wie das Team auch ohne seinen großen Erfolgsgaranten aus der Krise finden will.

McLaren wollte alles, nur nicht wie Williams enden. 2018 jedoch geben sich die beiden einstigen Top-Teams in der letzten Startreihe der Formel 1 die Klinke in die Hand. McLaren ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Ohne die WM-Punkte von Fernando Alonso würde sich das Team auch in der Gesamtwertung neben Williams wiederfinden. Es ist der letzte Beweis dafür, dass Woking längst nicht mehr das Team ist, das es bis vor wenigen Monaten noch zu sein glaubte. McLaren hat erkennen müssen, dass man sich auf alten Lorbeeren nicht ausruhen kann. Etwas, das vor allem Zak Brown bei seinem Amtsantritt vor rund zwei Jahren in gewisser Weise praktizierte. Der US-Amerikaner übernahm im Dezember 2016 das Ruder bei McLaren und wurde nicht müde, in Erinnerungen an die glorreiche Ära des Rennstalls mit Ayrton Senna und Alain Prost zu schwelgen. Den richtigen Namen hatte er mit Fernando Alonso schließlich schon im Cockpit. Brown wollte dem einstigen Weltmeisterteam auf die amerikanische Art neues Leben einhauchen, ganz nach dem Motto: Make McLaren great again.

Seine erste Amtshandlung bestand darin, den Boliden wieder in Orange wie zu Gründerzeiten McLarens anzupinseln und für 2017 gleich einmal die in der Ära Ron Dennis angestammte Typenbezeichnung MP4 gegen MCL auszutauschen. "Wir wollen, dass die Fans sagen, dass unser Auto das coolste im gesamten Feld ist", kündigte er an, dass er McLaren nicht nur sportlich, sondern auch kommerziell wieder zu altem Glanz verhelfen wolle. Brown wollte die "McLaren Brand", wie er zu sagen pflegt, auf der ganzen Welt nach vorne bringen und neben einer neuen Fanbase auch neue Geschäftsbeziehungen zur Stärkung des Teams aufbauen. Doch wo Erfolg draufsteht, ist nicht zwangsläufig auch Erfolg drin. Zwei Jahre später hat McLaren abgesehen von dem neuen Anstrich des Autos keines seiner Ziele erreicht. Dabei sollte 2018 endlich alles besser werden, nachdem man sich dem vermeintlich schwersten Klotz am Bein entledigt hatte.

2017 wurde Motorenpartner Honda als Wurzel allen Übels identifiziert. Die Partnerschaft mit den Japanern wurde nach drei erfolglosen Jahren für gescheitert erklärt. Vor allem Alonso war es, der auf den Wechsel des Motorenlieferanten drängte. Die neue Partnerschaft mit Renault begann dementsprechend mit reichlich Euphorie. Red Bull war als Renault-Kunde der Gradmesser für das Team, das glaubte, über ein ähnlich konkurrenzfähiges Chassis wie die Ingenieure in Milton Keynes zu verfügen. Alonso prophezeite schon nach dem Rollout des MCL33 ein erfolgreiches Jahr für McLaren. In Melbourne funkte er nach dem Punkteresultat gleich zum Saisonauftakt überschwänglich: "Jetzt können wir kämpfen!" Doch die 180-Grad-Wende für 2018 brachte nicht den gewünschten Erfolg. Ganz im Gegenteil. Die von Alonso mitinitiierte Trennung von Honda und der Wechsel zu Renault führten McLaren erst vor Augen, wie schlecht es zu diesem Zeitpunkt wirklich um das Team stand.

Honda erlebte mit seinem neuen Partner Toro Rosso durch Pierre Gaslys vierten Platz in Bahrain wahre Höhenflüge, wodurch McLaren schon beim zweiten Saisonrennen mehr oder weniger bloßgestellt wurde. Alonso und Teamkollege Stoffel Vandoorne kämpften um dieselben Positionen wie zu Honda-Zeiten, gerade so außerhalb der Top-10. Große Updateoffensiven sollten McLaren an die Spitze des Mittelfeldes bringen. Statt des erhofften Aufwärtstrends ging es mit jedem Rennen steiler bergab. Fünf Monate nach dem vermeintlich vielversprechenden Saisonauftakt in Australien gab Alonso seinen Rücktritt aus der Formel 1 zum Jahresende bekannt. Vier Saisons des Hinterherfahrens waren für den zweimaligen Weltmeister und dessen Ansprüche zu viel, seine Geduld am Ende. Für McLaren ein herber Rückschlag, verliert das Team damit seinen einzigen Erfolgsgaranten und das große kommerzielle Zugpferd.

Zum Zeitpunkt von Alonsos Rücktrittserklärung hatte McLaren längst die große Wende eingeleitet. Dem August waren turbulente Monate vorausgegangen. Nach dem missglückten Saisonstart rollte schon im April der erste Kopf. Technikchef Tim Goss wurde in Woking vor die Tür gesetzt. McLarens in den Honda-Jahren stets beschworenes Wunder-Chassis hatte sich mit Renault im Heck als Illusion erwiesen. "Wir waren alle unter Druck. Wir haben nicht so abgeliefert, wie wir es in Anbetracht all der tollen Leute, die wir hier haben, der Infrastrukturen und Technologien und unserer Geschichte, sollten", erklärte Brown, der mit dieser Entlassung den nächsten Neuanfang in Woking einleitete. Anfang Juli hatte schlussendlich auch Racing Director Eric Boullier ausgedient. "Die Performance des MCL33 hat 2018 nicht die Erwartungen erfüllt - von niemandem bei McLaren, besonders von unseren loyalen Fans. Und das ist nicht der Fehler von den hunderten von ihrer Sache voll verschriebenen und hart arbeitenden Männern und Frauen bei McLaren", erklärte Brown die Maßnahme.

Der Abschied Boulliers erfolgte offiziell in gegenseitigem Einvernehmen und nicht auf Veranlassung der Konzernführung. "Eric war für fünf Jahre hier und hat dem Team viel gegeben. Er liebt McLaren. Unter dem Strich war er der Meinung, dass der beste Weg für das Team, nach vorne zu kommen, ist, wenn er zurücktritt", so Brown. Tatsächlich war der Entlassung Boulliers ein absurder Streit um Schokoriegel vorausgegangen, welche das Team als Boni an ihre Mitarbeiter verteilt haben soll. In den britischen Medien kursierten außerdem Gerüchte darüber, dass sich McLaren-Personal an den ehemaligen Teamchef Martin Whitmarsh gewendet habe, um eine Intervention herbeizuführen. Dieser Wirbel legte sich mit dem Abschied Boulliers.

"Der Grund, warum das Auto auf der Strecke nicht performt, ist, weil wir als Team nicht performen. Wie ich es sehe, reagieren wir zu langsam. Wir müssen die Dinge vereinfachen. Wir müssen auch wie ein Rennteam operieren. Wir sind etwas zu langsam, zu verkniffen. Und das ist nicht der Fehler eines einzelnen", relativierte Brown die Trennung von Goss und Boullier. Das Versagen wurde dem Kollektiv zugeschrieben, nicht allein dem gescheiterten Racing Director. Personell hat McLaren für 2019 alle Hebel in Bewegung gesetzt, um endlich die Kehrtwende zu schaffen. "Es wird Zeit brauchen, das zu beheben. Wir sind Jahre hinterher. Zwei? Zehn? Nein, irgendwo dazwischen. Ich will aber keine Prognosen mehr abgeben, wir müssen realistisch und ehrlich mit uns und den Fans sein", so Brown, der die Ursachen für den Abstieg McLarens nicht in seiner Amtszeit oder der Honda-Ära sieht.

Brown sprach von acht Jahren der Destabilisierung, die demzufolge noch unter der Führung von Ron Dennis ihren Anfang genommen haben. Dementsprechend stellt er das Team auf einen langen und schwierigen Weg zurück an die Spitze ein. "Die Probleme sind nicht über Nacht entstanden. Also kann man sie auch nicht über Nacht beheben." Die Shareholder bei Laune zu halten scheint zehn Jahre nach dem letzten WM-Titel und sechs nach dem letzten Sieg mit jeder weiteren erfolglosen Saison schwieriger zu werden. Dennoch hat McLaren für die Zukunft einen neuen potenten Geldgeber gewinnen können. Eigentlich ein positives Zeichen, würden sich hier nicht schon die nächsten Parallelen zu Williams auftun.

Der Investor ist wie in Grove ein kanadischer Milliardär, dessen Sohn Formel-1-Ambitionen hat. Michael Latifi, Vater von Force-India-Testfahrer Nicholas Latifi, will ähnlich wie Lawrence Stroll bei Williams im großen Stil in McLaren investieren. Insgesamt soll er mit seiner auf den britischen Jungferninseln registrierten Firma über 200 Millionen Euro in die McLaren Group pumpen, was einem Äquivalent von 888.135 Anteilen entspricht. Neben Mansour Ojjeh aus Saudi-Arabien, der bereits seit 1981 Shareholder ist, sowie der 2010 beigetretenen bahrainischen Mumtalakat Holding, ist Latifi damit der dritte Anteilseigner der McLaren Group. In der Konzernführung gab es für die Zukunft außerdem Umstrukturierungen im großen Stil. Ojeh gab sowohl seinen Vorstandsposten innerhalb des Formel-1-Teams als auch im McLaren Applied Technologies-Business Ende Juli auf.

Viel wichtiger sind jedoch die personellen Veränderungen auf operativer Ebene. Boullier wurde durch Browns Vertrauten Gil de Ferran in der neuen Position des Sporting Directors ersetzt. Er soll als Mentor an der Strecke vor allem die Piloten auf den richtigen Weg bringen. "Er wird der Sportdirektor und direkt mit dem Team und den Fahrern arbeiten. Er stellt sicher, dass wir die Performance dann auch abrufen", so Brown über die Funktion de Ferrans. "Der Schlüssel ist Kommunikation und Transparenz, gerade was gewisse Belange angeht. Ich denke, das wird uns helfen vorwärts zu kommen", so der Brasilianer, der nur ein Teil des neuen Führungstrios ist. Neben ihm wurde McLarens COO Simon Roberts zum neuen Leiter der Produktion ernannt. Alonsos Renningenieur Andrea Stella wird Performance-Chef an der Strecke.

Die Königsfigur in McLarens großem Umbruch heißt James Key. Im Juli gab McLaren die Verpflichtung von Toro Rossos Technischem Direktor bekannt. Die Abwerbung des talentierten Ingenieurs bei Red Bulls Tochterteam sollte der große Coup für die Technikabteilung McLarens werden. Tatsächlich steht der Brite noch bei Red Bull unter Vertrag, weshalb fraglich ist, ob er 2019 überhaupt schon in Woking arbeiten wird. In den vergangenen Monaten schien es zwischen den beiden Parteien keine wirkliche Annährung, geschweige denn eine Einigung gegeben zu haben. Somit wird er auf die Entwicklung des 2019er Boliden keinen Einfluss nehmen können, wie es sich Brown erhofft hatte. Fix ist dafür die Rückkehr von Pat Fry, der bereits zwischen 1993 und 2010 bei McLaren tätig war. Er wird als Engineering Director fungieren.

All die Personalrochaden im Werk und am Kommandostand ändern jedoch nichts daran, dass es am Ende die Piloten sein werden, welche auf der Rennstrecke die Resultate einfahren und den Beleg für ein wiedererstarktes McLaren liefern müssen. 2019 wird die Verantwortung dafür bei Carlos Sainz und Lando Norris liegen. Nachdem sämtliche Bemühungen, Alonso zur Vertragsverlängerung zu bewegen, gescheitert waren, wurde zunächst dessen Landsmann als Ersatz verpflichtet. Mit Norris schafft McLarens größtes Nachwuchstalent den Sprung in die Königsklasse. Der Rookie wird trotz all seiner Vorschusslorbeeren seine Zeit brauchen, um in der Königsklasse Fuß zu fassen. Dementsprechend wird der größte Druck auf Sainz lasten. Mit ihm hat das Team zwar einen erfahrenen Mann, doch das fahrerische Kaliber eines Alonsos fehlt 2019. Auf der anderen Seite muss McLaren im Gegensatz zu Williams immerhin nicht auf Paydriver setzen, in deren Händen ein gelungenes Auto zum Hinterherfahren verdammt wäre.

Während personell in Woking kein Stein auf dem anderen bleibt, ändert sich technisch auf Seiten der Power Unit nichts. Auch 2019 werden die orangenen Boliden mit Renault-Power an den Start gehen. Nach Red Bulls Wechsel zu Honda wird McLaren das einzige Kundenteam der Franzosen sein. Ein Umstand, der es angesichts des technischen Rückstandes von Renault auf die Konkurrenz von Mercedes und Ferrari nicht unbedingt einfacher macht. Andererseits schließt sich hier der Kreis, denn was mit Renault möglich ist, zeigte Red Bull. Für McLaren wird es also auch 2019 keine Ausreden geben. Vom Angriff auf die Top-3 spricht niemand mehr. Doch zumindest im Mittelfeld sollte McLaren mit den getroffenen Maßnahmen wieder eine feste Größe sein, auch ohne Alonso und mit Power Units von Renault. Ganz nach dem Motto: Make McLaren decent again.