Blicken wir zurück auf das vergangene Jahr. Wie ordnen Sie die Formel-1-Saison 2018 historisch ein?
Christian Danner: Historisch eingeordnet gibt es zwei Sachen zu sagen: Erstens hat die Saison einmal mehr das fundamentale Strukturproblem der Formel 1 aufgezeigt. Der Abstand von den drei Top-Teams zum Mittelfeld hat sich so dramatisch etabliert und zementiert, dass du sagen kannst: So hoffnungslos war es schon lange nicht mehr. Zweitens hattest du unter den dreien da vorne allerdings einen spannenden Wettbewerb, der letztendlich nicht nur Technik, sondern auch sehr viel Menschlichkeit beinhaltete. Und die Herangehensweise, wie sie die Grundproblematik analysiert und verbessert haben - wenn du da vergleichst, was Ferrari gemacht hat, und was Mercedes gemacht hat, dann musst du einfach sagen, 10:0 für Mercedes.

Was hat Mercedes auch im fünften Jahr der Hybrid-Ära so stark gemacht?
Christian Danner: Sie haben auch eine Streitkultur und eine Unternehmenskultur in der Kommunikation etabliert. Jeder kann jedem sagen, was seiner Meinung nach nicht stimmt, und das wird konstruktiv angegangen, anstatt dass die eine Abteilung dauernd sagt: Ja dann schau doch selbst, wo du bleibst. Genau so war es bei Ferrari. Wenn die Motoringenieure sagten, die Aerodynamik ist schlecht, sagten die Aerodynamiker, das Chassis tauge nichts, und die Chassis-Leute sagen, es sei doch die Aero. Das war bei Mercedes einfach nicht so. Das war sehr spannend zu beobachten. Wie bei allen Budgets und bei aller Technik dann doch menschliche Dinge entscheidend waren.

Blicken wir auf die Fahrer-WM, dort gab es auch viele menschliche Züge - vor allem von Sebastian Vettel. Provokant gefragt: Wäre Lewis Hamilton auch im Ferrari Weltmeister geworden?
Christian Danner: Ich glaube nein. Weil gerade Hamilton eine unglaubliche Diva ist. Das hat Mercedes längst erkannt, deswegen behandeln sie ihn genau so, wie er behandelt werden muss, um seine optimale Leistung abzurufen. Auch wenn sich manchmal der Strategiechef am Funk in den Staub wirft und seinen Fehler zugibt, Hauptsache Hamilton ist zufrieden. So weit denkt bei Ferrari kein Mensch. Gut, Vettel ist ein stabilerer Typ als Hamilton, was die Psyche angeht. Aber so ganz gefeit ist der auch nicht, und man hat ja gesehen, wie fertig er gegen Ende des Jahres war. Die Spuren waren sichtbar.

Also hat Vettel die WM nicht selbst verloren?
Christian Danner: Ich habe ja gelesen, was mein Expertenkollege Martin Brundle gesagt hat. Der hat ihn ja ziemlich abgewatscht. Ich sehe das wesentlich entspannter. Ja, okay, er hat ein paar Fehler gemacht, die vermeidbar gewesen wären. Aber man muss immer die Situation beachten, es geht immer ums Prinzip: Wenn ich jetzt nachgebe, sende ich das Signal, dass ich beim nächsten Mal wieder nachgebe. Nur die Situationen, in denen Vettel das gemacht hat - Hockenheim mal ausgenommen, das war eben einfach suboptimal -, waren alles Rennsituationen, bei denen man im Nachhinein immer klüger war. Deshalb sehe ich das nicht so wie einige Kollegen, die ihm da komplett die Schuld geben und meinen, er habe das alles selbst vergeigt. Das ist meiner Ansicht nach eine Kombination. Was er gebraucht hätte, wäre so ein Dr. Marko. Einer, der ihn bei Ferrari immer im richtigen Moment den Rücken freigehalten hätte. Das gab es aber bei Ferrari nicht und deswegen stand Sebastian oft sehr einsam da draußen auf der Strecke.

Welche Rolle hat der Tod von Sergio Marchionne gespielt?
Christian Danner: Ich glaube bei Ferrari selbst nur im Hinblick auf die Saison 2019, indem er ja alles, was er haben wollte, vor seinem Tod noch geregelt hat: Kimi raus, Leclerc rein, Giovinazzi zu Sauber. Für 2018 hatte es - glaube ich - keinen Einfluss.

Was war Ihr persönliches Highlight?
Christian Danner: Ich bin eigentlich nicht der Typ für emotionale Highlights. Keiner, der Tränen in den Augen hat, wenn etwas passiert oder nicht passiert. Es ist schwierig zu sagen. Mir hat es einfach gut gefallen, dass die Jungs wirklich hart gegeneinander gefahren sind. Es gab leider ein paar Rennen, in denen wieder diese Strategie im Vordergrund stand. Du darfst die Reifen nicht beanspruchen, weil du sonst noch einmal stoppen musst. Und noch einmal stoppen heißt, du bist langsamer. Das hat mir jetzt nicht so gefallen. Aber das war der Tatsache geschuldet, dass man versuchte, mit weichen Reifen das Thema da durcheinander zu wirbeln. In Wirklichkeit hat man bewirkt, dass alle einfach nur langsam gefahren sind.

Daniel Ricciardos Siegfahrt in den Straßen Monacos beeindruckte Christian Danner ganz besonders, Foto: Sutton
Daniel Ricciardos Siegfahrt in den Straßen Monacos beeindruckte Christian Danner ganz besonders, Foto: Sutton

Es gab Gott sei Dank in dieser Saison viele Highlights: Hamiltons Quali-Runde in Singapur, Verstappens Aufholjagd in Sotchi, Vettels Silverstone-Sieg trotz Nackenschmerzen, Kimis Sieg in den USA und vieles mehr. Was mich aber echt beeindruckt hat - und das ist mein Highlight - war Ricciardo in Monaco. Da gehört schon wahnsinnig viel Chuzpe dazu, Abgeklärtheit, Abgebrühtheit, Professionalität, Konzentration... alles! Dass du mit dem lahmen Auto, dem 163 Elektro-PS fehlten und dadurch noch eine komplett irrsinnige Bremsbalance hatte, nicht irgendeinen Fehler machst und das Ding trotzdem nach Hause fährst. Das war aus der Cockpit-Perspektive ein Highlight für mich. Das hat mich wahnsinnig beeindruckt.

Wer oder was war für Christian Danner die Überraschung des Jahres?
Christian Danner: Leclerc. Eine vorhersehbare Überraschung, aber dass Leclerc, beziehungsweise Sauber, das so hinbekommen haben, das hat mich doch verwundert. Leclercs Ingenieur hat mir gesagt: "Das ist ein echter Ausnahmefahrer." Das muss man einfach so in den Raum stellen. Es ist toll zu sehen, wie sich da einer in der Formel 1 in den Sonnenschein fährt.

Auf der anderen Seite: Wer war die Enttäuschung des Jahres?
Christian Danner: McLaren. Noch mehr als Williams. Bei Williams war klar, dass das nichts wird. Aber bei McLaren hatten sie den Mund so weit offen. Die sagten, das was Red Bull kann, können wir auch. Das war schon eine bittere Enttäuschung. Das war schon eine bittere Enttäuschung und wir dürfen nicht vergessen, dass diese Performance mit Fernando Alonso einen der besten Formel 1 Fahrer mit in den Ruhestand gerissen hat.