Wie sieht Ihre 2018er Bilanz aus? Eine weitere schwierige Saison mit vielen Höhen, aber auch vielen Tiefen?
Dr. Helmut Marko: Ja, das war der Fall. Aber die zweite Saisonhälfte stimmt uns äußerst positiv, was die Entwicklung vom Chassis angeht. Da haben wir ganz klar das Beste. Die Zuverlässigkeit auf Red-Bull-Seite ist besser geworden, auch von Renault. Vor allem der Max hat ab Paul Ricard keinen Blödsinn mehr gemacht.

Davor hat er aber Fehler am Fließband produziert. Wie haben Sie es geschafft, den Jungen wieder hinzubekommen?
Dr. Helmut Marko: Wir haben ein intensives Gespräch geführt. Das Problem war, dass er sich selbst zu sehr unter Druck gesetzt hat.

Marko und Verstappen hatten 2018 viel Gesprächsstoff, Foto: Sutton
Marko und Verstappen hatten 2018 viel Gesprächsstoff, Foto: Sutton

Ist das jetzt komplett vorbei, sehen wir einen anderen Max Verstappen?
Dr. Helmut Marko: Er ist immer noch ein sehr ehrgeiziger Max Verstappen. Aber er hat kapiert, dass er nicht in jedem Training vorne sein muss. Er sieht ein Rennen als Gesamtes, und er muss im nächsten Jahr auch die Meisterschaft im Auge haben. Da muss man nicht immer unbedingt vorne sein.

Hat er das tatsächlich verstanden? Natürlich war er in Brasilien nicht schuld am Zwischenfall, aber er sagte, er würde - selbst im WM-Kampf - nichts anders machen in dieser Situation.
Dr. Helmut Marko: Diese Ocon-Geschichte ist etwas Spezielles. Da spielt auch schon die Beziehung, oder [lacht] die Nicht-Beziehung in der Formel 3 mit hinein. Da hat es ja auch schon Kollisionen gegeben. Aber im Großen und Ganzen, vom Aufbau eines Rennwochenendes ist alles schon viel besser und ruhiger geworden.

Zu Beginn der Saison hat Max viele Punkte weggeworfen, am Ende war die Kombination aus Red Bull und Verstappen bei einigen Rennen aus eigener Kraft siegfähig. Was wäre ohne Fehler 2018 drinnen gewesen?
Dr. Helmut Marko: Wir haben intern so eine Was-Wäre-Rechnung gemacht. Also was wäre, wenn weder Verstappen, noch das Team - denn wir haben auch einige Fehler gemacht - Fehler gemacht hätten. Max wäre in der Fahrerwertung Zweiter und wir in der Konstrukteurswertung.

Ricciardo-Wechsel wie Vettel-Abgang

Daniel Ricciardo verlässt das Team im Winter, Sie hätten ihn gerne behalten. Wie groß ist der Verlust?
Dr. Helmut Marko: Wie Vettel... oder sagen wir so, nach dem Webber-Rücktritt haben das auch alle geglaubt. Dann ist auch der Vettel weggegangen, aber wir waren dann relativ schnell gut aufgestellt. Es ist nur schade, menschlich ist es schade, weil er sehr gut in das ganze Red-Bull-Gefüge hineingepasst hat. Und weil sich die beiden Fahrer auch abseits der Rennstrecke sehr gut verstanden haben.

Daniel Ricciardo funktionierte mit Red Bull und Max Verstappen, Foto: Red Bull Content Pool
Daniel Ricciardo funktionierte mit Red Bull und Max Verstappen, Foto: Red Bull Content Pool

Haben Sie Angst, dass das mit Max und seinem Ehrgeiz in Zukunft ein bisschen zum Problem werden kann mit einem anderen Teamkollegen?
Dr. Helmut Marko: Gasly kommt als Junger. Da ist es ganz klar, dass der sich einmal an die Hausordnungen von Red Bull Racing halten muss.

Also gibt es bei Red Bull 2019 einen Nummer-eins- und einen Nummer-zwei-Fahrer?
Dr. Helmut Marko: Es ist einfach: Max hat so viel mehr Routine. Gasly steht es frei, er braucht nur Leistung zeigen. Sie sind gleichgestellt.

Marko: Renault fehlen die Ressourcen

Mit dem Abschied von Renault endet eine Ära mit Höhen und Tiefen. Mit welchem Gefühl geht es für Sie zu Ende?
Dr. Helmut Marko: Für uns war irgendwann klar, dass Renault uns keinen siegfähigen Motor liefern kann. Mit ihrem Budget kommt man mit Ferrari und Mercedes nicht mit. Da war klar, dass wir etwas unternehmen müssen. Aber jetzt haben wir erstmals in unserer Geschichte, im 15. Jahr, einen Werksmotor. Das ist die richtige Entwicklung, und alles was bis jetzt passiert ist stimmt ganz Red Bull Racing und Toro Rosso richtig positiv für die nächste Saison.

Sie haben den Honda-Motor ja schon öfter gelobt. Bei Renault sagt man, das wären Lügen.
Dr. Helmut Marko: Wer lügt?

Abiteboul sagt, das sei Propaganda von Red-Bull-Seite. Der Renault sei stärker als der Honda.
Dr. Helmut Marko: Da brauchen wir überhaupt nicht zu diskutieren. Nächstes Jahr sehen wir ja, wo wir stehen.

Gibt es Simulationen, wie konkurrenzfähig der Red Bull in dieser Saison mit dem Honda-Motor gewesen wäre?
Dr. Helmut Marko: Der Honda-Motor ist ja in Stufen sukzessive verbessert worden. Viele der Grid-Strafen waren einkalkuliert, weil man einfach immer was Neues bringen wollte. Nach unserer Simulation würden wir mit dem jetzigen Honda-Motor schon deutlich besser ausschauen. Aber da brauchen wir nicht nachdenken. Der Herr Abiteboul soll seine Träumereien weiter tätigen, und dann nächstes Jahr ist das ganz klar am Tisch.

Wissen Sie, warum Red Bull am Anfang des Jahres noch nicht aus eigener Kraft um Siege fahren konnte, und am Ende schon?
Dr. Helmut Marko: Die Chassis-Entwicklung.

Wo lag das Problem zu Saisonbeginn?
Dr. Helmut Marko: Es gab kein Problem. Wir hatten ein sehr gutes Chassis, aber kein Überlegenes. Und wir hatten mindestens 50 PS Rückstand. Die sukzessive Weiterentwicklung hat uns da Chassis-mäßig dann auf den Standard gebracht, auf dem wir sind. Und dann muss man auch sagen: Wir haben ja den Spec-C-Motor von Renault bekommen, den Renault selbst nicht hatte. Aber nicht weil sie uns so lieben, sondern weil der mit ihrem BP-Benzin nicht funktionierte. Und diese Kombination, als der dann auch standfest war, das hat noch einmal eineinhalb Zehntel oder so gebracht. Mit dem Benzin zusammen vielleicht zwei Zehntel. Und sonst nicht nur, dass wir eine unglaubliche Traktion und mechanischen Grip haben - auch beim Anbremsen sind wir stark. Das konnte man sogar auf den TV-Bildern gut erkennen. Und dann waren wir noch reifenschonender als die anderen. Da sind ein paar Faktoren zusammengekommen.

Ist das Fahrwerk inzwischen das Paradestück von Red Bull?
Dr. Helmut Marko: [lacht] Ja, sonst könnten wir mit dem Motor und mit dem wenigen Flügel nicht solche Zeiten fahren. Da sind wir auch schon sehr gut.

Toro Rosso enttäuscht, 2019 Red Bulls B-Team

Bei Toro Rosso gab es gute Zeichen bezüglich Honda. Am Ende der Saison kamen aber die Motorenwechsel, und auch die Performance scheint ein bisschen in den Keller gegangen zu sein.
Dr. Helmut Marko: Das große Update, das am Red Bull Ring gebracht wurde, hatte nicht den Effekt, der von den Ingenieuren versprochen wurde. Ja, dann kamen diese Motorstrafen, aber noch einmal, die waren gewollt. Ja, sind wir nicht zufrieden. Darum gibt es nächstes Jahr auch eine andere Konstellation. Toro Rosso bekommt von Red Bull alles, was laut Reglement gestattet ist.

Die Fahrerfrage für 2019 ist jetzt geklärt, Daniil Kvyat kommt zurück, dazu bekommt Alex Albon die Chance. Was ist mit Dan Ticktum?
Dr. Helmut Marko: Ticktum hat jetzt 35 Superlizenz-Punkte und fährt noch in Neuseeland in der Toyota Racing Series. Wenn er dort Zweiter wird, hätte er die 40 Punkte.

Formel 1: Toro Rosso Teamchef Franz Tost im Exklusiv-Interview (18:12 Min.)

Ticktum stand im Rampenlicht, weil er sich etwas zweifelnd über Mick Schumachers Leistungen geäußert hat. Ihr Einschätzung dazu?
Dr. Helmut Marko: Es war erstaunlich. Aber ich bin ich da zu wenig drin, ich habe nur Macau näher verfolgt. Da war alles normal.

Was halten Sie von Mick?
Dr. Helmut Marko: Er war nie auf unserem Radar. Der ist in seinem eigenen Umfeld bestens betreut, darum haben wir uns da nie irgendwie eingemischt oder Interesse gezeigt.

Thema Personalien: Auch auf Ingenieurs-Seite gab es 2018 bei Toro Rosso Gesprächsstoff. McLaren hat James Key abgeworben, der eigentlich noch einen Vertrag bei Ihnen hat. Gibt es inzwischen eine Lösung, wann er seine Arbeit dort aufnehmen darf?
Dr. Helmut Marko: Wenn man etwas bespricht und es dann über Presseaussendungen hören muss... Deshalb bin ich eine Stufe höher gegangen. Noch gibt es keine Lösung, aber ich habe in Abu Dhabi Mansour Ojjeh getroffen, mit dem jetzt ein Termin vereinbart wurde. Beide Seiten wollen eine Lösung, vielleicht gelingt es.

Man wird das Problem mit ein paar Dollar lösen können?
Dr. Helmut Marko: Der Wille ist da.

Formel 1 2019: Red Bull will mit Honda um Titel kämpfen

Ein Blick auf 2019: Wie kann man sich die Übergangsphase zu Honda vorstellen, wie sieht es in Milton Keynes aus?
Dr. Helmut Marko: Milton Keynes hat schon alle technischen Daten, Motormaße, wie schwer, Getriebe, all das. Es laufen schon Honda-Motoren mit unserem Getriebe. Am Dienstag nach Abu Dhabi war das erste Meeting über die Konstellation und Zusammensetzung vom Steering Commitee. Das ist alles im Plan. Auch wer was macht und so weiter. Wir sind da glaube ich sehr gut aufgestellt.

Muss man schon im ersten Jahr um die WM kämpfen?
Dr. Helmut Marko: Aus meiner Sicht ja. Es ist schwierig, wenn man Motorhersteller wechselt, aber es ist so viel Potential da. Und wir sind ja als Team auch WM-erfahren. Wir wissen, wie das geht. Wir haben auch einige Änderungen in unserer Herangehensweise, damit die Defekte, die uns betroffen haben, nicht mehr vorkommen werden. Warum soll es dann nicht klappen? Wenn du dir die Resultate von Verstappen anschaust - wenn wir jetzt, sagen wir mal, einen Motor haben, der 40 kW mehr hat als das, was wir hatten, und einen Fahrer wie Verstappen, dann muss auch die WM gehen.

McLaren hat uns drei Jahre lang erzählt, wie gut ihr Chassis sei und die schlechte Performance ausschließlich an Honda läge. Nach dem Motorwechsel 2018 gab es das böse Erwachen. Gibt es da ein kleines bisschen Angst, dass manche Dinge bei Red Bull doch nicht so gut waren wie zuvor erwartet?
Dr. Helmut Marko: Wir überrunden McLaren in einem normalen Rennen zwei Mal - mit dem gleichen Motor. Also, woran glauben Sie liegt es? Wenn man natürlich nur auf Abtrieb schaut - man muss nur schauen, wie die voriges Jahr in Spa gefahren sind: Voller Flügel, volle Downforce. Klar waren sie in den Kurven die Schnellsten. Aber auf den Geraden... wenn wir so fahren würden, würden wir unsere Resultate nie und nimmer erzielen. Man muss einen Kompromiss machen. Die Rundenzeit entscheidet, nicht die Kurvengeschwindigkeit.

Sicher gibt es ein gewisses Risiko, Honda muss aufholen, muss aggressiv arbeiten. Aber das schreckt uns auch nicht ab. Ich glaube nicht, dass wir damit rechnen können, dass wir wie Mercedes und Ferrari mit drei Motoren auskommen. Aber Max und Daniel haben ein paar Mal gezeigt, was dann noch geht. Wir starteten von 18 oder 19 und in zwei, drei Runden waren wir schon wieder vorne dabei.

Marko schimpft über 2019er Regeln: Kosten 15 Millionen

Nächstes Jahr gibt es noch Änderungen an der Aerodynamik. Auf den ersten Blick sind die Änderungen nicht gravierend.
Dr. Helmut Marko [unterbricht]: Oh ja, das ist ein Kostenfaktor von 15 Millionen!

Wird es sich rentieren?
Dr. Helmut Marko: Nein.

Warum kommen die Änderungen dann? Die Teams haben ja zugestimmt.
Dr. Helmut Marko: Mercedes war hier federführend. Unsere Simulationen zeigen, dass wir mindestens mit dem gleichen Downforce-Level wie in Barcelona in diesem Jahr starten werden. Und dass das Überholen dadurch leichter werden soll, ist nicht absehbar.

Sie haben mal gesagt, Red Bull sei besonders stark, wenn es Regeländerungen gibt. Jetzt hat man öfter mal ein bisschen gebraucht, um richtig in Fahrt zu kommen.
Dr. Helmut Marko: Ja, vor allem mit der neuen Aerodynamik, das war ein Flop, so wie wir aufgetreten sind. Ein böses Erwachen in Australien. Wir haben bis Barcelona gebraucht und waren wieder vorbei.

Muss man 2019 deshalb fürchten?
Dr. Helmut Marko: Nein, weil wir jetzt schon die Vergleiche kennen. Wir sind sehr optimistisch, dass wir überhaupt nichts verlieren.

Wie sieht Ihre Liberty-Media-Bilanz nach zwei Jahren aus? Etwas enttäuscht? Schließlich wurde - vor allem auf Motoren-Seite - viel versprochen, was jetzt doch nicht kommt...
Dr. Helmut Marko: Klar. Man kann in einer demokratischen Weise nichts voranbringen, wenn jedes Team eine Stimme hat, weil es derart unterschiedliche Ansichten und Gesichtspunkte gibt. Beispiel MotoGP, Einheitselektronik: Alle haben gesagt, sie gehen, wenn sie kommt. Sie ist gekommen, keiner ist weggegangen und sie haben die spannendsten Rennen. Da muss Liberty umdenken. Diese ganzen Prozedere, Strategy Group...

Aber das bräuchte man für 2021 gar nicht, man könnte doch bei Null beginnen.
Dr. Helmut Marko: Könnte man. In Bahrain hat es geheißen, okay, wir haben alles, und jetzt sind wir nicht viel weiter als es in Bahrain war.

Red Bull wechselt Lager: Politik-Einheit mit Mercedes und Ferrari

Gefährdet das die Zukunft der Formel 1?
Dr. Helmut Marko: Ich glaube, wir hatten ein Riesenglück, dass durch außergewöhnliche Umstände spannende Rennen zusammengekommen sind. Und sie kriegen ja nicht alle auf das Niveau der Super-Teams. McLaren, Renault, Sauber, Haas, Force India und Co. fahren auch mit einem Cost Cap nicht da vorne mit. Es ist wie bei den Fußballklubs: Wenn die ein gleiches Budget haben, gibt es trotzdem Unterschiede im Management, welches Personal du hast. Nur eine Kostenobergrenze schafft da keine Angleiche. Vielleicht, dass es eine Spur näher beisammen ist, aber da war das Feld ja relativ gut beieinander.

Muss man Angst haben, Red Bull zu verlieren, wenn sich so wenig tut?
Dr. Helmut Marko: Wir alle wollten ein besseres Produkt mit reduzierten Kosten.

Es ist natürlich schwierig, die Zukunft vorherzusehen. Aber wenn es wieder so eine Hersteller-dominierte Serie wird?
Dr. Helmut Marko: Na ja, wir haben ja jetzt einen Hersteller als Motorenpartner. Also ist unser Ansatz ein anderer.

Red Bull ist also auf die dunkle Seite der Macht gewechselt?
Dr. Helmut Marko [nickt].