21 Rennwochenenden, 21 Trainingsanalysen. Wer in Abu Dhabi diese Zeilen noch liest, darf sich wirklich Hardcore-Fan nennen. Auch wenn es die letzten Rennen in der Weltmeisterschaft um nichts mehr ging, die Formel 1 lieferte zuletzt atemberaubende Rennen. Das Training in Abu Dhabi verspricht das nächste Spektakel - aber in Abu Dhabi?

Abu Dhabi ist für Formel-1-Fans seit jeher das Synonym für Überholverbot. Es ist der Ort, an dem Fernando Alonso die WM 2010 verlor, weil er nicht einmal an Vitaly Petrov im Renault vorbeikam. Ausgerechnet hier soll das letzte Spektakel stattfinden? Die Zeichen stehen gut dafür.

Die drei Topteams lagen in der Zeitenliste extrem nah beieinander. Valtteri Bottas fuhr im Mercedes Bestzeit. Max Verstappen fehlten im Red Bull nur 44 Tausendstel, Kimi Räikkönen im besseren der beiden Ferrari zwei Zehntelsekunden. Sebastian Vettel hatte als Sechster nur drei Zehntel Rückstand. So eng war es selten.

Teams experimentieren im Training für 2019er Regeln

"Das zweite Training war richtig gut", sagte Vorjahres-Sieger und -Polesetter Valtteri Bottas. "Das Auto vermittelte mir ein vertrauensvolles Gefühl und ich konnte es so fahren, wie ich es wollte." Der Zusatz des zweiten Trainings ist eigentlich überflüssig, denn die erste Sitzung ist aufgrund der Bedingungen irrelevant. Qualifying und Rennen finden in der Abenddämmerung statt, die Temperaturen sind da schon deutlich gefallen.

Deshalb experimentierten die Teams im 1. Training viel in Hinblick auf 2019 herum. Ferrari testete einen Prototyp-Frontflügel, Mercedes probierte viele kleinere Teile aus. "Entsprechend viel war zu tun, obwohl wir dennoch einen vernünftigen Teil unserer normalen Rennvorbereitung absolvieren konnten", verrät Mercedes' Andrew Shovlin.

Hamiltons Mercedes-Motor überarbeitet

Bei Mercedes wurde auch der Hamilton-Motor untersucht, der in Brasilien noch Probleme bereitete und kaputtzugehen drohte. Inzwischen ist klar, warum es die Probleme vor zwei Wochen gab. Der variable Ansaugtrakt, der seit 2015 erlaubt ist, streikte. Hier wird das Luftvolumen in der Airbox Drehzahlabhängig vergrößert oder verkleinert. Stimmt das Volumen nicht, gibt es Probleme bei der Verbrennung.

Den Ansaugtrakt konnte Mercedes überarbeiten, er gehört nicht zur versiegelten Power Unit. Dennoch müssen über Nacht noch Daten ausgewertet werden, ob der Motor in Brasilien beschädigt wurde. Aktuell sieht es aber eher nicht nach einer Startplatzstrafe für Hamilton aus.

Red Bull und Mercedes zufrieden, Ferrari nicht

Aber auch bei Red Bull war man zufrieden mit dem Freitag. "Das Auto scheint wie schon in Brasilien besser als erwartet zu funktionieren", freut sich Verstappen. "Es hat sich von Anfang an positiv angefühlt."

Verstappen hatte aber auch einen kleinen Schreckmoment, als er den neuen Kerb am Ausgang von Kurve 20 heftig erwischte. Das Auto nahm aber verhältnismäßig wenig Schaden, weshalb er recht zügig wieder mit seinem Programm weitermachen konnte.

Nur bei Ferrari war man nach dem Freitag nicht wirklich zufrieden. "Wir müssen noch etwas mehr Pace finden", mahnt Vettel. Doch der Ferrari-Star weiß auch: "Auf eine Runde haben wir noch etwas in der Hinterhand. Morgen sollten wir schon klarkommen."

Heißt im Klartext: Wird der Motor aufgedreht, ist Red Bull im Qualifying kein Thema. Der Rückstand war dafür klein genug. Die beiden langen Geraden sind Gift für die Bullen, auch wenn ihnen die langsamen Kurven davor entgegenkommen. Denn dann geht es zumindest im ersten Teil der Geraden mehr um Traktion als um Power.

Wie gut ist Red Bull im Rennen?

Trotzdem gehen eigentlich alle davon aus, dass Red Bull im Qualifying nicht mit Mercedes und Ferrari mithalten kann. Doch das war schon in Brasilien der Fall - und am Sonntag überholte Verstappen alle(!) Ferrari- und Mercedes-Piloten auf der Strecke.

"Red Bull hat heute schnell ausgesehen. Sie sind normalerweise im Training und Rennen schnell, deshalb bin ich mir sicher, dass es dieses Wochenende genauso sein wird", glaubt Hamilton. Mit dieser Meinung ist der Mercedes-Pilot nicht alleine.

Auch bei Red Bull selbst ist man nun durchaus optimistisch. "Die Reifen bauen in der Hitze definitiv ab, das hilft uns. Wir sind normalerweise mindestens so gut wie die anderen beim Reifenmanagement, eher besser, deshalb wird es wichtig, das zu behalten und im Rennen daraus Kapital zu schlagen", meint Daniel Ricciardo.

Das meint auch Verstappen: "Wir haben in dieser Saison schon gesehen, dass wir die Reifen gut managen können. Und ich glaube, dass das eine Strecke ist, auf der Reifenmanagement wieder ein Schlüsselfaktor ist."

Delta-Zeiten enorm: Q2 mit Hypersoft

Das liegt auch daran, dass Pirelli sich für die drei weichsten Reifenmischungen entschieden hat. Hypersoft, Ultrasoft und Supersoft kommen zum Einsatz. Der Schritt von Hyper- auf Ultrasoft ist gewaltig. Viele langsame Kurven, in denen der mechanische Grip besonders wichtig ist und die verhältnismäßig lange Rundenzeit sorgen für ein Delta von 1,3 bis 1,4 Sekunden zwischen den beiden weichsten Mischungen.

Das Delta ist so groß, dass es nicht einmal die Topteams riskieren können, sich im Q2 auf den Ultrasofts zu qualifizieren. Bedeutet im Umkehrschluss: Die Top-10 müssen definitiv auf Hypersoft starten. Deshalb wird der Reifenverschleiß vor allem zu Rennbeginn entscheidend.

Abu Dhabi GP: Einstopp-Rennen trotz Hypersoft

Der Plan ist klar: Den ersten Stint mit Hypersoft überstehen und dann auf Supersoft bis zum Rennende durchkommen. Während der Hypersoft Graining an allen Ecken und Enden zeigte, gab es am Ultrasoft nur vorne rechts Probleme, am Supersoft quasi gar keine. Und dabei ist der Supersoft nur 0,2 Sekunden langsamer als der Ultrasoft.

Ein großes Thema an den letzten Wochenenden war die Wunder-Felge bei Mercedes. Genauer gesagt ging es seit jeher um die gelochte Distanzscheibe, deren Legalität nicht einwandfrei geklärt war. Deshalb verzichtete Mercedes sicherheitshalber auf den Einsatz, um die Gefahr eines Ferrari-Protests auszuschließen.

Im Abu-Dhabi-Training fuhr Mercedes wieder mit dem - nur von Ferrari - angezweifelten Teil. Durch die Löcher wird die Felge besser gekühlt, die heiße Luft der Bremsen kann besser entweichen. Dadurch wird auch der Reifen weniger erhitzt, in der Theorie sollte das im Longrun helfen.

Ferrari, Mercedes & Red Bull mit Hypersoft-Longruns

Doch wie sah es im Longrun aus? Alle Teams konzentrierten sich zunächst auf die Hypersofts. Bei Ferrari gingen die weichsten Pneus extrem ein. Doch Vorsicht: Bis auf Valtteri Bottas fuhren alle Top-Piloten mehr als nur eine schnelle Runde auf den Hypersofts. Hamilton und die beiden Red Bulls fuhren zwei Quali-Simulationen darauf, die Ferrari-Piloten sogar drei.

Ungewöhnlich: Die Reifen gaben tatsächlich drei schnelle Versuche her. Deshalb nahmen Vettel und Räikkönen die sensiblen Pneus aber noch deutlich mehr ran als die anderen Top-Piloten. Man sollte deshalb nicht zu viel in die Hypersoft-Longruns reininterpretieren.

Longrun-Zeiten 2. Training Abu Dhabi Hypersoft

FahrerGefahren gegenStint-LängeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
BottasAnfang4111:43,890
HamiltonAnfang6131:43,988
VerstappenAnfang7151:44,022
RicciardoAnfang6141:44,673
RäikkönenAnfang3131:44,705
VettelAnfang4141:45,203

Valtteri Bottas fuhr den schnellsten Run. Der Finne benötigte im Schnitt 1:43,9 Minuten, Lewis Hamilton war eine Zehntelsekunde langsamer. Max Verstappen war fast zeitgleich mit Hamilton, fuhr aber eine Runde mehr als der Brite und gleich drei mehr als Bottas. Auf den Hypersofts nicht unwesentlich.

Daniel Ricciardo musste schon deutlich abreißen lassen, die beiden Ferrari-Piloten - aus womöglich genannten Gründen - noch mehr.

Longrun-Zeiten 2. Training Abu Dhabi Ultrasoft

FahrerGefahren gegenStint-LängeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
VerstappenEnde9171:43,183
RicciardoEnde7171:43,308
BottasEnde12231:43,756

Während sich Mercedes und Ferrari anschließend eher auf den Supersoft konzentrieren, ging Red Bull als einziges Team mit beiden Piloten auf die Ultrasofts. Nur Valtteri Bottas liefert hier Referenzzeiten für die Bullen. Der Mercedes-Pilot fuhr zwar deutlich länger auf Ultrasoft, doch der violette Pneu zeigte keinen Abbau.

Max Verstappens Run war gut eine Zehntel schneller als der seines Teamkollegen, Bottas fehlten schon sechs Zehntel. Allerdings dürfte der Mercedes-Pilot auch mit mehr Benzin unterwegs gewesen sein.

Longrun-Zeiten 2. Training Abu Dhabi Supersoft

FahrerGefahren gegenStint-LängeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
HamiltonEnde10231:43,052
VettelEnde13251:43,612
RäikkönenEnde15271:44,001

Lewis Hamilton fuhr für Mercedes den Supersoft-Run, Ferrari konzentrierte sich ausschließlich auf die roten Reifen. Hamilton kam während seines Stints zwar einmal an die Box, kumuliert kommt er aber auf eine durchschnittliche Zeit von 1:43,0 Minuten. Vettel fehlten darauf schon sechs Zehntel, Räikkönen sogar eine Sekunde.

Motorsport-Magazin.com-Prognose: Im Qualifying wird es zwischen Mercedes und Ferrari eng - Red Bull wird auf den Geraden zu viel verlieren. Im Rennen hingegen dürfte wieder die Stunde von Red Bull schlagen. Weil die Supersofts aber wenig Abbau zeigen, ist fraglich, ob Red Bull auf der überholfeindlichen Strecke genügend Pace-Überschuss hat. Auf den Hypersofts dürften die Bullen klar im Vorteil sein. Ferrari sieht im Renntrimm noch schlecht aus - doch die Scuderia ist derzeit eine Wundertüte.

Wie hat euch diese Rubrik in der Saison 2018 gefallen? Lagen wir mit unseren Prognosen öfter richtig oder doch eher daneben? Habt ihr Anregungen oder Wünsche für das nächste Jahr? Soll die Analyse kompakter ausfallen? Wir freuen uns auf euer Feedback!