Sensation, Wunder, Märchen: Für das Formel-1-Comeback von Robert Kubica muss die Schreibmaschinentastatur Superlative hergeben. Wer hätte nach dem schweren Rallye-Unfall 2011 gedacht, dass der Pole jemals wieder in einem Formel-1-Auto sitzen würde?

Doch das 'Sitzen' war nur Teil eins. Testfahrten absolvierte er in den vergangenen 17 Monaten nun schon genügend. Nun ist dem 33-Jährigen der ganz große Coup gelungen: Er fährt 2019 für Williams Rennen in der Formel 1. Motorsport-Magazin.com kennt die Hintergründe des Comeback, weiß, wie es dazu kommen konnte und warum es gelingen soll.

Ginge es nach Kubica selbst, kommt das Comeback zu spät. "Ich war schon vergangenes Jahr so nah dran", gestand er. Doch bei Renault bekam Carlos Sainz das zweite Cockpit neben Nico Hülkenberg, bei Williams erhielt Sergey Sirotkin den Vorzug.

Kubica wartet sechs Jahre auf ersten Formel-1-Test

2017 fuhr Kubica erstmals nach seinem Unfall wieder einen Formel-1-Boliden. Zunächst einen alten Lotus-Renault bei einem Privattest, anschließend durfte er vor den Augen der Weltöffentlichkeit beim Young-Driver-Test in Budapest im aktuellen Renault ran.

Beim Reifentest in Abu Dhabi nach der Saison saß der Pole dann erstmals im Williams. Nico Rosberg, Weggefährte und ehemaliger Williams-Pilot, stellte die Verbindung her. Obwohl er das Cockpit nicht bekam, gab Kubica nicht auf. Er nahm 2018 die Rolle als Edelreservist an.

Kubica durfte erneut bei den Young-Driver-Tests ran und bekam in Barcelona, Spielberg und nun in Abu Dhabi auch offizielle Trainingssitzungen. "Die Formel 1 hat sich geändert, es gibt kaum Testfahrten", weiß auch Kubica.

Als der Pole die Königsklasse verlassen musste, war sie noch eine andere. In der letzten Dekade wurden die Testbeschränkungen immer restriktiver. Daher waren die wenigen Sessions, die er bekam, schon eine große Hilfe.

Robert Kubica erklärt sein Formel-1-Comeback mit Williams (02:52 Min.)

Formel 1 anno 2018: Kubica geschockt

"In Abu Dhabi 2017 hatte ich erstmals wieder ein natürliches Gefühl", erklärt er. "Alles passiert natürlich, ich muss nicht darüber nachdenken, sondern nur fahren." Doch neben dem persönlichen Gefühl ging es für ihn auch daran, sich an die neuen Autos zu gewöhnen.

Nach seinem Ungarn-Test 2017 sprach er sogar von einem Schock, wie sehr sich die Boliden verändert haben. Die Aerodynamik wurde gravierend verändert, dazu kamen auch noch gänzlich neue Reifen. Die Power Units, die seit 2014 im Einsatz sind, liefern zudem viel mehr Leistung und vor allem Drehmoment als die alten V8-Sauger, die Kubica noch gewohnt war.

"Ich habe die Änderungen, die nach und nach in die Formel 1 Einzug hielten auf einen Schlag kennenlernen müssen", sagte er damals. Die Testfahrten halfen ihm dabei nicht nur, das natürliche Fahrgefühl zurückzubekommen, sondern auch, seinen Fahrstil den neuen Autos anzupassen. "Ich musste meine Techniken anpassen", gesteht er.

2019 perfekte Saison für Kubica-Comeback

2019 ist deshalb ein gutes Jahr für sein Comeback. Im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com sagte Kubica vor einigen Rennen: "Viel hängt davon ab, was die Leute erwarten. Wenn die Leute erwarten, dass ich alle vier Monate fahre und die Pace der Stammfahrer, die talentiert sind und jede Woche im Auto sitzen, gehen kann oder sogar eine halbe Sekunde schneller bin, ist das nicht realistisch."

Doch 2019 darf Kubica die gesamte Saisonvorbereitung mitmachen. Dazu ändert sich das Technische Reglement. Durch die neuen Frontflügel werden die Autos wieder etwas langsamer, die Balance verändert sich. "2019 starten wir alle von null, es ist nicht mehr, als wäre ich acht Jahre weg gewesen", freut sich Kubica.

Robert Kubica testete schon Teile für die Formel-1-Saison 2019, Foto: Sutton
Robert Kubica testete schon Teile für die Formel-1-Saison 2019, Foto: Sutton

Der angehende Williams-Pilot geht deshalb selbstbewusst an die Sache heran: "Ich bin sehr Formel-1-erfahren, ich weiß was es braucht, ein Top- Fahrer zu sein. Ich habe keine Angst. Wenn ich nicht daran glauben würde, konkurrenzfähig zu sein, dann wäre ich nicht hier."

Die verlängerte Testphase half Kubica noch bei einer anderen Sache: Er konnte Team und Technik besser kennenlernen, sich selbst besser bei Williams positionieren. "Wenn ich Teamchef gewesen wäre, hätte ich [im vergangenen Jahr] auch Zweifel gehabt", gesteht er.

Umbauten für Kubicas Einschränkungen

Dazu konnten bei den zahlreichen Fahrgelegenheiten seine Einschränkungen genau überprüft werden. Denn auch sieben Jahre nach dem Unfall ist Kubica körperlich noch immer stark beeinträchtig. In seinem rechten Arm hat er deutlich weniger Kraft, die rechte Hand ist zudem bei der Beweglichkeit eingeschränkt.

Dafür kann Kubica mit dem rechten Arm weiter ausholen. In der Cockpitumrandung ist eine kleine Öffnung, so dass der Pole seinen rechten Arm weiter anheben kann. Dazu sind die zahlreichen Knöpfe am Lenkrad anders angeordnet.

Kleinere Modifikationen sind für Robert Kubica nötig, Foto: Motorsportpics.de / Jerry Andre
Kleinere Modifikationen sind für Robert Kubica nötig, Foto: Motorsportpics.de / Jerry Andre

Deshalb war der Test im vergangenen Jahr in Ungarn so entscheidend: Würde er es dort schaffen, ein aktuelles Formel-1-Autos konstant am Limit zu bewegen, hätte er nirgends Probleme. Der Hungaroring ist winklig wie ein Stadtkurs, fordert die Physis aber durch höhere laterale Kräfte stärker. Verschnaufpausen gibt es keine.

Superlizenz für Kubica dank Regel-Zusatz

Dass er es kann, hat er gezeigt. Aber wie gut kann er es noch? "In 4 Monaten seht ihr das alle", meint Kubica nur. Die Frage ist, ob er mit seinen Einschränkungen noch das letzte Quäntchen im Vergleich zu den Top-Piloten herausholen kann, ob die Reflexe des Rennfahrers darunter leiden.

"Viele Leute verstehen nicht, warum ich Rallye gefahren bin", entgegnet er den Zweiflern. "Es ging darum, die Limits zu auszuloten. Wenn ich das kann, kann ich alles." Bei kaum einer Motorsportdisziplin gibt es so viele kleine Korrekturen am Lenkrad wie im Rallye-Sport.

Die Superlizenz, die für den Start in der Formel 1 notwendig ist, erhält Kubica, obwohl er weder 40 Punkte in anderen Rennserien gesammelt hat, noch in den letzten drei Jahren einen F1-Führerschein hatte. Artikel 5.1.6c) von Anhang L des International Sporting Code erlaubt diese Ausnahme.

Für ehemalige Superlizenz-Inhaber gelten die frühere Vergabe-Kriterien: Sie müssen eine Renndistanz in einem aktuellen Formel-1-Auto konkurrenzfähig absolvieren. Die FIA kann dann Grünes Licht geben.

Claire Williams: Warum das Team Robert Kubica für 2019 holt (01:38 Min.)

Williams-Cockpit 2019 weniger wert

Doch am Ende sind es auch unromantische Gründe, warum das Märchen 2019 wahr wird: Williams erlebte 2018 ein Horror-Jahr, am Ende steht der letzte Platz in der Konstrukteursweltmeisterschaft.

Teamchefin Claire Williams erklärte bereits vor einigen Wochen, dass das Team nun ein radikales Neudenken benötigt. Ein großer Teil ist, nicht mehr so sehr auf Bezahlfahrer zu vertrauen. Neben der Performance auf der Strecke wird auch die Motivation im Team heruntergezogen.

Mit Lance Strolls Abgang zu Force India wurde man den größten Demotivator wider Willen los - und nutzt diesen finanziellen Rückschlag als Gelegenheit. Mit George Russell wurde erstmal seit Valtteri Bottas wieder ein vielversprechendes Talent bei Williams verpflichtet.

Robert Kubica im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton
Robert Kubica im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton

Mit Kubica kommt kein junges Talent, aber Motivation pur. "Nächstes Jahr wird ein Neustart und wir brauchen gerade diesen Kampfgeist von Robert", gesteht Claire Williams. "Er ist die perfekte Ergänzung dafür und kam am Ende unseres Evaluierungs-Verfahrens als beste Option heraus."

Russen bezahlen weniger für Sirotkin-Cockpit

Wie so oft in der Formel 1 hat das auch etwas mit Geld zu tun. SMP bezahlte das Williams-Cockpit für Sergey Sirotkin mit einer zweistelligen Millionen-Summe. Trotz großer Enttäuschung über die Entlassung sagte Sirotkin: "Wir wollten das Cockpit nicht mehr ganz so sehr, wir hätten mehr pushen können."

Das heißt im Klartext: Die Summe, die SMP bereit war, für 2018 nach Grove zu überweisen, wollte man in Russland nicht mehr bezahlen. Die Summe wurde ausgehandelt, als Williams noch auf Platz fünf in der Konstrukteurs-WM lag. Die Dinge haben sich geändert. Und plötzlich war zwischen der Mitgift von Kubica und jener von Sirotkin kein großer Unterschied mehr. Und dann entschied sich Williams frei nach der neuen Devise für den Fahrer statt das Portemonnaie.