Zum Ende der Formel-1-Saison 2018 gibt es nach der kurzzeitigen Mercedes-Dominanz noch einmal richtige Highlights: Die Ausgangslage beim Brasilien GP verspricht Hochspannung. Lewis Hamilton holte sich einmal mehr die Pole, allerdings konnte Ferrari Mercedes in Sao Paulo fordern, Sebastian Vettel musste sich nur knapp geschlagen geben.

Dazu hat Ferrari möglicherweise einen entscheidenden Reifen-Vorteil. Und auch Red Bull könnte im Rennen eine Rolle spielen. Die Zutaten für einen packenden Brasilien GP (Start heute 18:10 Uhr live auf RTL, im ORF, SRF, F1-TV-Stream und Live-Ticker von Motorsport-Magazin.com) sind da. Motorsport-Magazin.com liefert den vorletzten Favoriten-Check der Saison 2018.

Zunächst die guten Nachrichten: Weder Sebastian Vettel, noch Lewis Hamilton gehen mit Strafen ins Rennen. Vettels zweiter Startplatz war in Gefahr, weil er sich beim Wiegen im Q2 nicht an die Regeln hielt. Er kam mit einer Verwarnung und einer saftigen Geldstrafe davon. Nicht wenige forderten für Hamilton wegen einer gefährlichen Szene mit Sergey Sirotkin eine Strafe - doch es kam nicht einmal zur Untersuchung durch die Stewards.

Gut für das Rennen, denn so starten die beiden Superstars nebeneinander. Nur die Strafversetzung von Daniel Ricciardo reißt die Top-Piloten etwas auseinander. Der Red-Bull-Pilot startet wegen eines neuen Turboladers von Platz elf, statt von Platz sechs.

Im Kampf um den Sieg ist Ricciardo aber wohl kein ganz großer Verlust. Wenn ein Red Bull Chancen hat, dann wohl Verstappen. Doch die Topfavoriten heißen ganz klar Mercedes und Ferrari, vor allem Lewis Hamilton und Sebastian Vettel.

Ferraris Reifen-Poker geht auf

Im Qualifying trennte die beiden Kampfhähne weniger als eine Zehntel. Hamilton mag die bessere Startposition haben, doch Vettel hat einen Reifen-Vorteil. Beide Ferrari-Piloten qualifizierten sich im Q2 auf den Soft-Reifen, alle anderen Piloten auf den Supersofts.

Der Plan war es für alle Top-Piloten, Q2 mit dem Soft zu überstehen. Doch beim eisetzenden Regen wollte niemand das Risiko eingehen, mit dem härteren Reifen zu fahren. Auch Ferrari hatte zunächst nicht den Mut und ging auf Supersofts raus. Doch Vettel und Räikkönen realisierten schnell, dass die Strecke noch nicht feucht ist und der Regen nicht stark genug ist, um die Strecke langsamer zu machen.

Deshalb kamen Vettel und Räikkönen nach ihrer Outlap sofort wieder an die Box, um Soft-Reifen aufzuziehen. Genau deshalb kam es auch zum Wiege-Eklat um Vettel, weil der Deutsche keine Zeit verlieren wollte.

"Sie sind ein großes Risiko eingegangen, das wir nicht eingehen wollten", gestand Mercedes Motorsportchef Toto Wolff. "Aber Ferrari ist derzeit in einer anderen Situation und sie müssen etwas höheres Risiko gehen." Das Risiko zahlte sich aus: Während Vettel und Räikkönen auf Soft starten dürfen, müssen alle anderen in den Top-10 auf Supersofts ins Rennen gehen. Sie versuchten im Q2 noch ihre Supersoft-Zeiten zu verbessern, scheiterten aber.

Mercedes: Sind im Hintertreffen

"Wir sind deshalb im Hintertreffen", glaubt Wolff. "Nach 10 bis 15 Runden wird es ein Vorteil sein, auf Soft zu fahren." Tatsächlich sagen auch die Pirelli-Prognosen, dass Soft zu Rennbeginn die schnellere Strategie ist. Allerdings unterscheiden sich die simulierten Totalzeiten der Rennen nicht stark von einer Einstopp-Strategie mit Start auf Supersoft.

Ein kleiner Nachteil könnte der Reifen für Vettel am Start sein. Hamilton meinte in Austin, Räikkönen wäre nur wegen des weicheren Reifens an ihm vorbeigegangen. "Wir wissen ungefähr, wie groß der Nachteil der härteren Mischung am Start ist, aber es ist ein sehr kurzer Weg bis zur ersten Kurve", schränkt Vettel ein und fügt noch hinzu: "Ich glaube, es hängt viel mehr davon ab, wie gut du deinen Job am Start machst. Dass man alles richtig hinbekommen ist wichtiger als der kleine Unterschied bei den Reifen."

"Es wird definitiv etwas interessant deshalb", meint hingegen Hamilton. "Auch wenn mir gesagt wurde, dass der Unterschied nicht gravierend ist, einen gewissen Unterschied gibt es immer." Vettel hält dagegen: "Ich habe gute Erinnerungen, hier von Platz zwei zu starten." Im vergangenen Jahr ging er am Start an Pole-Setter Valtteri Bottas vorbei und setzte damit den Grundstein zum späteren Sieg.

Hamilton mahnt aber: "Das interessante Szenario wird es eher, den Reifen dann am Leben zu halten." Die Trainings waren undurchsichtig bei den Longruns. Ferrari und Mercedes schienen auf den unterschiedlichen Mischungen unterschiedlich stark zu sein. Auf Supersoft war Hamilton deutlich schneller als Vettel, auf Soft war es genau umgekehrt.

Vettel und Ferrari auf Soft stärker als auf Supersoft

Vettels Soft-Pace im Q2 überraschte ohnehin viele. Der WM-Zweite fuhr auf dem Soft-Pneu sogar schneller als Hamilton auf dem Supersoft. "Die Runde hat sich wirklich gut angefühlt", erklärt Vettel. "Man hat eine Vorstellung, was der Reifen bringen würde, aber ich war überrascht, der Reifen hat sich sehr gut angefühlt. Ich bin auch wegen des Regens noch nicht ans Limit gegangen, ich hätte locker noch schneller fahren können. Wenn das morgen so gut ist, dann wird das ein guter Tag!"

Ein wenig muss man neben den beiden Mercedes- und Ferrari-Piloten womöglich auch Max Verstappen auf der Rechnung haben. Erwartungsgemäß qualifizierte er sich auf Rang fünf. Eine halbe Sekunde fehlte ihm auf die Pole-Zeit. "Eine Sekunde verlieren wir alleine wegen des Motors", schimpfte er. Realistisch ist dieser Wert aber nicht. Selbst im kurvigen Mittelsektor fuhr Hamilton schneller als Verstappen.

Bekanntermaßen ist der Motor-Nachteil im Rennen nicht ganz so gravierend. Die Qualifikationsmodi von Mercedes und Ferrari sorgen regelmäßig für den großen Rückstand im Qualifying für Red Bull. Trotzdem glaub Verstappen nicht an einen Sieg aus eigener Kraft: "Hier hinterherfahren ist sehr schwierig und wenn du dann den Topspeed nicht hast, kannst du auch nicht überholen."

Topspeeds: Mercedes und Ferrari fast gleichauf

Topspeeds sind ein guter Hinweis. Nicht unbedingt wegen Red Bull, dass sie hier verlieren, ist längst nicht mehr neu. Auf Start und Ziel fehlten Verstappen fast 20 Stundenkilometer auf den absoluten Bestwert von Sergio Perez, der allerdings vom Windschatten begünstigt wurde.

Interessant sind aber Ferrari und Mercedes. Nachdem Ferrari hier zuletzt wieder die Nase vorne hatte, sind die beiden in Sao Paulo fast gleichauf. Nennenswerte Unterschiede gibt es quasi nicht.

Hat Mercedes die Reifenprobleme gelöst?

Ein Fragezeichen steht noch hinter dem Wetter. Die Prognosen sagen für Sonntag deutlich wärmere Bedingungen voraus. Das könnte den Umgang mit den Reifen enorm beeinflussen. Mercedes hatte zuletzt größere Probleme mit dem Reifenmanagement, was teilweise wohl auch mit der umstrittenen Distanzscheibe an den Hinterrädern zu tun hat.

Doch Vorsicht: Nicht immer ist bei höheren Temperaturen der härtere Reifen - auf dem Ferrari startet - ein Vorteil. Das Arbeitsfenster der weicheren Reifen ist höher. Deshalb kommt es oftmals bei den härteren Mischungen zu stärkerem Blistering, weil die Reifen überhitzen.

Generell sollten die Reifen aber in Sao Paulo keine ganz so große Rolle einnehmen wie zuletzt in Mexiko oder den USA. Pirelli wählte in Brasilien etwas konservativere Mischungen. Weil das Ziel der Teams - mit einem Stopp durchzukommen - immer das gleiche ist, führt eine konservativere Wahl zu weniger Reifenmanagement.

Motorsport-Magazin.com-Prognose: Hamilton startet vorne, Vettel hat den kleinen Reifen-Vorteil. Ein Favorit zwischen Mercedes und Ferrari ist wirklich nur schwer auszumachen. Die große Frage wird sein, ob Mercedes die Reifen wieder im Griff hat. Wird es besonders heiß und/oder passiert etwas Unvorhergesehenes wie eine Safety-Car-Phase zur rechten Zeit, darf man aber auch Max Verstappen nicht außer Acht lassen.