1. - S wie Startaufstellung

Die Startaufstellung für den Russland GP der Formel 1 in Sotschi (Rennen heute live bei RTL, ORF, SRF, im Live-Stream F1 TV Pro und Live-Ticker von Motorsport-Magazin.com) liefert ein 2018 überaus ungewohntes Bild. Erst zum zweiten Mal startet Valtteri Bottas von der Pole Position. Lewis Hamilton muss sich wegen eines Fahrfehlers im Qualifying mit Platz zwei im Grid begnügen.

Das reichte jedoch noch immer, um locker vor seinem WM-Rivalen Sebastian Vettel in den Russland GP zu starten. Ferrari hatte im Qualifying keine Chance gegen Mercedes, startet somit geschlossen (Kimi Räikkönen P4) aus Reihe zwei. Weil beide Red Bull wegen Motorenwechseln strafversetzt werden, beginnt schon in Reihe das Mittelfeld. Kevin Magnussen hat hier die Hosen an. Esteban Ocon, Charles Leclerc, Sergio Perez, Romain Grosjean und Marcus Ericsson komplettieren die Top-10.

Genauso wichtig ist jedoch der Blick auf die beiden Piloten direkt dahinter: Carlos Sainz und Nico Hülkenberg fuhren im zweiten Qualifying erst gar keine Zeit, weil Renault unbedingt als erstes Team mit freier Reifenwahl starten möchte, nicht die Pace hatte, im Q3 um P5 zu fahren. P9 oder P10 mit Hypersoft als Startreifen gilt in Sotschi - wie schon in Singapur - als großer Nachteil.

Richtig spannend wird es jedoch erst ganz am Ende der Startaufstellung: Durch Motoren-, Getriebe- und Fahrvergehen-Strafen zugleich wird die Anordnung zum Kuriosum, das kaum noch durch das Reglement, sondern vielmehr das Urteil der Stewards aufgelöst wurde:

2. - S wie Start mit Windschatten-Déjà-vu

Mehr als einen Kilometer geht es auf dem Sochi Autodrom über einen leichten Rechtsknick nach dem Start mit Vollgas Richtung erster Bremspunkt. Die Distanz alleine lässt es schon ahnen: Hier erwartet die Formel 1 eine Windschattenschlacht. Das Vorjahr liefert den Beleg: Valtteri Bottas zog von Startplatz drei dank Super-Sog vorbei an beiden Ferrari. Doch 2018 sind die Rollen genau vertauscht.

Mercedes fürchtet deshalb, dass die starke Vorstellung im Qualifying nur eine kurze Freude bringt, man sich mit Blick auf das Rennen sogar fast ärgern muss. "Wir haben ja letztes Jahr gesehen, dass Valtteri mit einem guten Start dank Windschatten in Führung gegangen ist. Das könnte uns morgen auch passieren. P3 oder P4 sind vielleicht die besseren Positionen für morgen", fürchtet Toto Wolff von Mercedes.

"Der Start wird entscheidend sein. Wir müssen versuchen, sehr gut wegzukommen. Die Gerade bis zur zweiten Kurve ist sehr lang und das Überholen ist einfach, wenn der Hintermann einen besseren Start hinlegt", bestätigt Bottas aus seiner eigenen Erfahrung.

Entsprechender Optimismus herrscht beim Gegner. "Ich habe schon mit Valtteri gesprochen und mich daran erinnert, was letztes Jahr passiert ist. Ich hoffe, es umdrehen zu können. Es hängt aber vom Start ab. Wenn sie da eine Lücke auftut, geht man da natürlich rein", so Vettel. Auch Räikkönen setzt auf diesen Faktor. "Weil es eine so lange Gerade ist, ist der Windschatten-Effekt gewaltig wenn du einen guten Start hast", erklärt Räikkönen

3. - S wie Streckenbelag

Was all diese Aussagen implizieren, führt zu einem in Russland sogar noch außergewöhnlicheren Punkt: zum Asphalt in der Startaufstellung. "Ich denke, dass alles vom Start und dem ersten Jump abhängt", so Vettel noch einmal über wichtigen Faktor vor dem Windschatten, den Launch aus der Startbox. Der muss schon passen, will er sich überhaupt in eine gute Windschatten-Position bringen.

Und hier kommt der Asphalt ins Spiel. Haben überhaupt alle Fahrer dieselben Chancen? Durch eine stellenweise Neuasphaltierung des Sochi Autodrom gibt es im Grid eine kuriose Situation: es ist gespalten. Die ersten beiden Startplätze befinden sich auf einem neuen, alle anderen auf dem alten Asphalt. Bei Sebastian Vettel gibt es sogar noch eine Besonderheit. Auf P3 werden seine Vorderräder auf neuem, die Hinterräder auf altem Asphalt stehen.

"Das ist nicht gut", kritisiert Vettel. "Der Grip [auf neuem Asphalt] sollte etwas höher sein. Ich denke, es ist falsch, nur einen Teil zu neuasphaltieren", so Vettel. "Egal ob es jetzt um die Plätze eins bis drei geht oder vier, fünf, sechs oder acht, neun und zehn. Wenn du in der Startaufstellung etwas neu asphaltierst, dann solltest du alles neu machen."

Die Konkurrenz ist sich der Folgen für den Start nicht sicher. "Es ist etwas unklar, wie stark der Grip-Unterschied tatsächlich sein wird - wenn es überhaupt einen gibt. Aber normalerweise hat neuer Asphalt etwas mehr Grip, wobei das auch vom Typ des Asphalts abhängt", sagt Bottas. "Ich weiß nicht, ob es besser oder schlechter sein wird, aber Asphalt ist immer ein wenig unterschiedlich", meint Hamilton. "Das Team wir prüfen, ob es besser oder schlechter ist. Ich bin sicher, dass es anderes ist, aber wer weiß schon, wie", sagt Räikkönen.

4. - S wie Strategie

Renaults kuriose Taktik im Qualifying (s. S wie Startaufstellung) indiziert klar und deutlich den Kern aller strategischen Überlegungen in Sotschi: Es gilt den Hypersoft auf Teufel komm raus zu vermeiden, vor allem im Startstint. Mit vollem Tank ist der Gummi umso schneller verschlissen. Genau deshalb haben sich Ferrari und Mercedes mit Ultrasoft für Q3 qualifiziert, konnten sich des Einzugs als einzige sicher sein.

Damit sind die vier Top-Autos in den Top-10 auch die einzigen Fahrer, die Pirellis Empfehlung der schnellsten Strategie einhalten können. Diese sieht einen Stopp nach 15 Runden von Ultrasoft auf Soft bis ins Ziel vor. Fast genauso schnell sei jedoch der Start auf Hypersoft und ebenfalls ein einziger Wechsel auf Soft, allerdings nach bereits neun Runden.

Das sollte für den Rest der Top-10 ermutigend sein – zumal ein Startstint auf Soft, wie ihn vielleicht Red Bull und Renault planen überhaupt nicht in der Empfehlung auftaucht. Stattdessen werden als noch immer schnellere Varianten Zweistopp-Strategien mit Starts auf den weicheren Mischungen genannt. "Mit den Reifen wird es auf jeden Fall spannend, es wird ein langes Rennen", sagt Vettel.

Gerade Ferrari muss sich nach dem Freitag hier allerdings die fast größten Sorgen machen. Vettel gab nach dem Training zu Protokoll kein Auto im ganzen Feld habe die Reifen so schnell gefressen wie sein Ferrari. Weniger Spannung erwartet in Sachen Taktik Lewis Hamilton: "Wir sollten alle so ziemlich auf derselben sein."

Große Hoffnung auf besseren Verschleiß und damit einen Vorteil trotz Starts von ganzen hinten macht sich Red Bull, am Freitag hier einmal mehr exzellent aufgestellt. "Es wird im Rennen aber sehr viel heißer als am Freitag, also wird das wieder viel ändern", warnt Daniel Ricciardo dennoch. "Ich bin auf jeden Fall überzeugt, dass es kein leichtes Einstopprennen und langweilig wird." Verstappen glaubt umso mehr daran, dass Red Bull hier bei allen Bedingungen im Vorteil ist. "Mit einer guten Strategie, die Reifen am Leben haltend, sollten wir als Team zurück auf P5 oder P6 kommen."

Die beste Ausgangslage wegen freier Reifenwahl hat aber eben Renault mit P11 und P11. "Wir erwarten, dass das zu einer stärkeren Rennperformance führt", sagt Sportdirektor Alan Permane. "Wir haben das Potential dieser Strategie schon in Singapur gesehen", bestätigt Sainz. "Warten wir mal ab, ob es sich auszahlt. Wenn sie Fünfter und Sechster werden, dann war es die richtige Wahl", kommentiert Gasly die Entscheidung des Konkurrenten.

5. - S wie Safety Car

Einmal mehr alle strategischen Überlegungen komplett ad absurdum führen kann auch in Sotschi das Safety Car. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist statistisch nicht sonderlich aussagekräftig, da erst vier Rennen auf dem Sochi Autodrom ausgetragen wurden. Doch in denen war Bernd Mayländer in drei von vier Fällen im Einsatz, einmal sogar gleich doppelt. Vor allem am Start ist das Risiko extrem. "Für gewöhnlich ist es in der ersten Kurve hier deshalb (durch die Windschatten-Hatz, Anm. d. Red.) ziemlich hektisch", weiß Räikkönen. Allen voran der Torpedo-Wahnsinn des Daniil Kvyat 2016 sollte insbesondere dem Teamkollegen des Iceman noch in besonders schlechter Erinnerung sein.

6. - S wie Stallregie

Bottas auf Pole vor Hamilton, dahinter die Konkurrenz. Mercedes geht in Russland genauso ins Rennen wie Ferrari in Monza. Machen die Silberpfeile ihren Job in Sachen Team-Taktiken besser als die Roten? Direkt am Start einzugreifen sei unfassbar schwer, winkt Toto Wolff ab. Da müsse man richtig aufpassen.

"Das ist hier etwas knifflig, denn Valtteri hat sie letztes Jahr von P3 im Windschatten bekommen und war in Führung. Also musste du einen guten Start haben und so breit wie ein Mercedes-Truck sein und hoffen, dass sie keinen guten Start haben, denn sonst hast du das Rennen verloren", so der Teamchef.

Ansonsten aber wolle er zumindest keinesfalls ein echtes Rennen zwischen seinen Fahrern sehen. "Auch wenn ich das als Race-Fan, hasse zu sagen: Wir sind nicht in einem Teil der Saison, in dem ich es gerne sehe, wenn zwei Mercedes gegeneinander fahren. Wir werden das morgen Früh besprechen", so Wolff.

Bottas irgendwann ganz klar zurückzupfeifen, im Sinne der WM für Hamilton werde sicherlich schwer zu vermitteln sein, gesteht Wolff. "Es wird echt schwierig, ihm zu sagen, dass er nicht die Erlaubnis hat sein Rennen zu fahren, nachdem er es auf Pole gestellt hat." Wie recht er doch hat. Bottas will nach der Pole jetzt unbedingt auch endlich den ersten Saisonsieg.

"Meine Herangehensweise an das Rennen morgen ist, auf jeden Fall zu versuchen, das Rennen zu gewinnen - du kannst kein anderes Ziel haben wenn du von Pole startest. Das muss das Ziel sein", stellt Bottas klar. Das könne Hamilton in der WM auch durchaus verschmerzen, rechtfertigt sich der Finne: "Lewis führt die WM vor Sebastian mit einem ordentlichen Vorsprung an und einem sehr ordentlichen vor mir, das müssen wir auch bedenken."

7. - S wie Sieger

Sollte sich also nicht schon am Start nichts verschieben, deutet also viel auf einen Nichtangriffspaket bei Mercedes hin und damit einen Bottas-Sieg. "Wir haben den tollen Start von Valtteri im Vorjahr gesehen und ich glaube, dass dies meine beste Chance auf den Sieg sein wird", sagt auch Hamilton. "Also werde ich da alles geben. Denn es ist eine schwere Strecke, was überholen angeht", so der Brite über den nächsten Grund für wenig Verschiebungen nach dem Start. Wenn dann gehe es nur über die Strategie.

Sonderlich große Möglichkeiten, einen Unterschied zu machen, gibt es allerdings nicht. Zumindest zeigten sich am Freitag wenigstens auf den Longruns keine ganz so krassen Unterschiede von Ferrari zu Mercedes. Abgeschrieben hat die Roten bei Mercedes daher nicht nur wegen des Starts noch niemand. "Ferrari wird auch stark sein", meint Bottas. "Wir werden so sehr kämpfen wie wir nur können", versichert Vettel.

Doch insgesamt sieht sich Mercedes durchaus im leichten Vorteil. "Wir sollten ein Auto haben, mit dem wir gegen sie um den Sieg kämpfen können", so Bottas. "Wir werden versuchen, einen guten Start hinzulegen und vorne zu bleiben, um danach das Rennen zu kontrollieren. Das Auto sollte die Pace dafür haben. Es kommt nur darauf an, gut wegzukommen und die Position zu behalten", sagt Wolff.