Der beeindruckende Formel-Juniorenkader von Mercedes und das ganze entsprechende Nachwuchsprogramm der Silberpfeile steht am Scheideweg. Das sagte Motorsportchef Toto Wolff am Rand des Formel-1-Rennens in Singapur.

Zuvor hatte der Österreicher bereits in Monza die Zukunft des Programms in Frage gestellt, sollte sich keine Lösung für die drei größten Nummern im Mercedes-Programm - Pascal Wehrlein, Esteban Ocon und George Russell - finden lassen. Sprich Cockpits in der Formel 1.

Nur gut eine Woche später, unmittelbar vor dem Singapur GP, platzte dann die erste Bombe. Mercedes verkündete offiziell die Trennung von Wehrlein nach dem Motorsportjahr 2018. Wehrlein ist damit frei auf dem Markt, kann sich ohne Mercedes-Stempel auf der Stirn nach Alternativen umsehen.

Ein Stempel, der es zuletzt nicht nur dem Deutschen, sondern auch Esteban Ocon die Cockpitsuche sogar erschwerte - und noch erschwert. Andere große Hersteller oder Teams setzen eben alles andere als gerne einen Zögling der Konkurrenz ins eigene Auto.

Formel-1-Nachwuchs: Nachteil Mercedes-Stempel?

Genau deshalb überlegt Mercedes nun, wie es mit dem aktuell noch bei Force India fahrenden Ocon und Formel-2-Spitzenreiter Russell weitergehen soll. Für die Silberpfeile eine Zwickmühle. Weder möchte man den großen Talenten ihre Zukunft verbauen, noch möchte Mercedes Fahrer, in deren Entwicklung man viel hineingesteckt hat, bei der Konkurrenz sehen.

"Es gibt viele Gründe, warum wir das Juniorprogramm gestartet haben. Einer war, dass wir Talenten helfen wollten, die nicht die Mittel haben, um durch die Serien nach oben zu kommen", erinnert sich Wolff. "Wir haben Zeit und Geld investiert", so der Österreicher über Wehrlein. "Dasselbe mit George Russel und Esteban Ocon."

"Aber wir sind jetzt an einen Punkt gekommen - wir haben ja kein Juniorenteam und uns fehlt die Möglichkeit, sie unterzubringen -, dass wir darüber nachdenken müssen, das Fahrerprogramm abzuspecken und jemanden freizugeben. Oder die Strategie zu ändern. Wir stehen da gerade am Scheideweg", sagt Wolff zu Motorsport-Magazin.com.

Wie geht es weiter mit Esteban Ocon & George Russell

"Jetzt müssen wir sehen, wie es mit George und Esteban ausgeht. Dann entscheiden wir, wie wir weitermachen", so Wolff weiter. Das klingt nicht mehr danach, die Top-Talente unbedingt im Stall zu halten. Genau das hatte Wolff noch kurz zuvor in einem TV-Interview bei den britischen Kollegen von Sky zumindest bezüglich Ocon versichert. Freigabe für den Franzosen? "Nicht in einer Million Jahren", meinte Wolff da noch. Für Wehrlein fiel kurz darauf genau diese Entscheidung. Eben weil man ihm nichts garantieren kann.

Wolff: "Wir haben zusammen mit Pascal entschieden, dass es so das Beste für ihn ist. Meine Meinung von ihm ist immer noch sehr hoch. Aber es sah so aus, als ob wir seine künftige Karriere vielleicht blockieren. Das ist nicht, was wir möchten. Und es wollte es dann auch selbst versuchen. Ich wäre überwältigt und begeistert, wenn er auf eigene Faust seinen Weg zurück in die Formel 1 finden kann oder eine andere Karriere im professionellen Rennsport hinlegt."

Mercedes will keine Unsummen für Junioren-Cockpits zahlen

Doch gibt es nicht eine ganz einfach Lösung? Wieso handhabt Mercedes es nicht ähnlich wie Ferrari? Die Scuderia hat mit Haas und Sauber zwei sehr enge Partner gefunden, um Talente zu platzieren - fast schon in einem Ausmaß wie Red Bull mit Toro Rosso. Doch auch Mercedes hat Kunden. Williams und Force India. Zuvor auch schon Manor, wo Pascal Wehrlein einst untergebracht wurde. Und bei Force India ist aktuell eben auch Ocon.

Wolff jedoch hält dieses Konzept für Mercedes nur für eine Übergangslösung. Eine Lösung aus der Not heraus. Man könne und wolle nicht Millionen und Aber-Millionen für Junioren-Cockpits bezahlen. "Wir wollen ja alle den nächsten Superstar finden und junge Fahrer sind auch sehr spannend und bringen tollen Geschichten. Aber als Mercedes uns unsere Hauptaufgabe, das Werksteam zu unterhalten, da die bestmöglichen Fahrer zu haben, um Rennen und Meisterschaften zu gewinnen. All unsere Ressourcen - oder 99 Prozent davon - fließen darein, dieses Team zu unterhalten", erklärt Wolff.

Formel 1: Wolff wirbt trotz Gegenwind weiter für drittes Auto

"Ein Fahrer muss abseits des emotionalen Aspekts deshalb auch kommerziell Sinn machen. Wenn du immer weiterzahlen musst für die jungen Fahrer, weil du sie in einem Team unterbringen willst wie wir es jetzt zwei Jahre mit Esteban gemacht haben und auch bei George, dem wir geholfen haben, dann ist das für uns kein Geschäftsmodell."

Genau deshalb rührte Wolff kürzlich die Werbetrommel für seine Idee, den F1-Teams ein drittes Auto für Nachwuchsfahrer zu geben. Damit würden man on top die Startaufstellung füllen und große Geschichten liefern, mit Underdogs, die die Stars fordern. Eine Idee, die bei der Konkurrenz - vor allem den Mittelfeldteams - jedoch nur auf wenig Gegenliebe stieß.

Doch Wolff hält an seiner Meinung fest. Bedenken, dass dann gleich je drei Ferrari, Mercedes und Red Bull an der Spitze dominieren würden respektiert Wolff zwar, weniger jedoch das finanzielle Argument. Ein drittes Autos sei exzellent zu vermarkten. Auch sportlich könne man es so justieren, dass die Schere in der Formel 1 nicht noch weiter auseinandergeht. "Wir könnten verschiedene Szenarien wählen. Sie (die Nachwuchsfahrer, Anm. d. Red.) könnten im Training und Qualifying mitfahren und dann ein eigenes Rennen bestreiten. Oder nur Fahrerpunkte sammeln, nicht für die Konstrukteure", schlägt Wolff vor. "Da gibt es tolle Ideen."

Diese Woche will der Österreicher das Thema in der Strategiegruppe ansprechen. Denn eine aktuelle Realität kann es in den Augen des Mercedes-Motorsportchefs einfach nicht sein: "Wir haben eine Situation, dass wir mehr Fahrer mit Talent haben, die einen Platz in der Formel 1 verdienen, als wir Cockpits haben." Das stimmt jedoch nur halb, blickt man etwa zur Situation bei Red Bull. Dort ist sogar das Gegenteil der Fall: Bei Toro Rosso hat man Cockpits aber keine Talente in unmittelbarer Aussicht. Mercedes in Reverse. Kein Wunder, dass Pascal Wehrlein sofort als heißer Kandidat bei Toro Rosso wurde, kaum war sein Ausscheiden bei Mercedes verkündet.