Singapur ist die Hölle. Für die Fans am Bildschirm liefert der GP nahe am Äquator in der pulsierenden Stadt spektakuläre Bilder, doch für die Fahrer ist es das härteste Rennen der gesamten Formel-1-Saison. Schon am Freitag klagte Lewis Hamilton nach dem Training: "Ich habe heute schon in einer Session zwei Kilogramm verloren!"

Die schnelleren Autos und die deutlich weicheren Reifen machen Singapur noch einmal härter für die Piloten. Im Training lagen die Zeiten 2,2 Sekunden unter denen des Vorjahres. Den Piloten war der zusätzliche Stress anzumerken: Sebastian Vettel touchierte im 2. Freien Training die Mauer und beschädigte seinen Ferrari folgenschwer.

Vettel musste an die Box und konnte für den Rest des Trainings nicht mehr fahren. Eine Getriebestrafe muss er nicht fürchten, weil am Freitag noch nicht das Renngetriebe zum Einsatz kommt. Die Strafe folgte aber trotzdem: Vettel konnte keinen einzigen Longrun drehen.

Und auch für Lewis Hamilton lief es nicht nach Plan. Im Verkehr hinter Vettel verbremste sich der WM-Leader und zog sich einen Bremsplatten zu. Der Longrun auf Ultrasoft musste auch für den Mercedes-Piloten ausfallen.

Die ausgefallenen Longruns sind für Vettel und Hamilton besonders ärgerlich. Erstmals in dieser Saison bringt Pirelli Hypersoft, Ultrasoft und Soft in dieser Kombination. Dazu gibt es in Singapur - manch einer mag sagen 'endlich' - wieder richtigen Reifenverschleiß.

Vettel und Hamilton sammeln weniger Longrun-Daten

Laut Pirelli halten die Hypersoft-Reifen zu Rennbeginn maximal 12 bis 14 Runden. Dadurch wird eine Zweistopp-Strategie fast zur Pflicht. Mit zwei Ausnahmen: Die Teams könnten sich im Q2 auch auf den Ultrasoft-Reifen für das finale Segment qualifizieren.

Bei einer Delta-Zeit von rund 1,6 Sekunden ist das eher unrealistisch. Auf keiner anderen Strecke war der Unterschied zwischen zwei Mischungen so groß. Doch die 23 engen Kurven des Marina Bay Street Circuits verlangen mechanisch alles ab.

Bliebe noch die Möglichkeit, mit einem extrem langen zweiten Stint auf Soft zu Ende zu fahren. Doch das wäre doppelt riskant: Zum einen, weil das Blistering-Risiko sehr hoch ist. Der Soft-Reifen zeigt in Singapur kaum Verschleiß. Er verliert kaum Gummi und erhitzt sich so stark. Dieses Phänomen wurde Kimi Räikkönen in Monza zum Verhängnis. Weil keines der drei Topteams Longrun-Daten auf den Soft-Reifen sammelte, wäre das Risiko im Rennen enorm.

Realistisch sind zwei Stopps mit zwei Stints auf Hypersoft und einem Stint auf Ultrasoft, wobei der Ultrasoft wohl in der Rennmitte zum Einsatz kommt. Hamilton verpasste seinen Ultrasoft-Longrun, Vettel beide. Keine idealen Voraussetzungen also.

Red Bull im Renntrimm so schnell wie Mercedes und Ferrari

Nicht ideal vor allem auch, weil es in Singapur wieder einen Dreikampf zu geben scheint. Red Bull ist zurück. In Spa und Monza waren die Bullen mit ihrem PS-Defizit und ihrem High-Downforce-Boliden chancenlos. Singapur ist die perfekte Strecke für den RB14.

Den schnellsten Hypersoft-Longrun fuhr zwar Valtteri Bottas, doch der Mercedes-Pilot fuhr außer Konkurrenz. Er fuhr als einziger Pilot erst am Ende auf Hypersoft. Bleiben noch Räikkönen, Hamilton und die beiden Red Bulls. Diese Daten sind sehr interessant. Mit 1:45,988 fuhr Daniel Ricciardo den schnellsten Hypersoft-Longrun.

Singapur GP 2018 Longruns 2. Training Hypersoft

FahrerReifen-AlterStint-LängeGefahren gegenDurchschntl. Zeit
Bottas103Ende1:45,807
Ricciardo168Anfang1:45,988
Hamilton169Anfang1:46,062
Verstappen144Anfang1:46,252
Räikkönen179Anfang1:46,253

Der Australier wird seinem Ruf des Stadtkurs-Spezialisten einmal mehr gerecht. Im Gegensatz zu Teamkollege Max Verstappen hatte er weniger Probleme damit, die Reifen am Leben zu halten. Verstappen war nur minimal schneller als Räikkönen. Zwischen Ricciardo und die beiden Verfolger schob sich Hamilton. All das spielt sich aber nur innerhalb von zwei Zehntelsekunden ab.

Auf den Ultrasoft gibt es noch weniger relevante Daten, weil Räikkönen offenbar im Verkehr fuhr und Hamiltons Run bekanntlich ausfiel. Seine Rundenzeiten schwankten zu stark. Doch selbst die schnellste Runde des Iceman war nicht viel schneller als der Schnitt von Daniel Ricciardo oder Max Verstappen. "Im Longrun sind wir mit dabei", konstatiert Dr. Helmut Marko.

Die Konkurrenz hat Red Bull jedenfalls wieder auf dem Zettel. "Es sieht so aus, als ob es vielleicht zu einem Dreikampf zwischen Ferrari, Red Bull und uns kommen könnte", meint Hamilton. Vettel stimmt zu: "Die Reifen werden auf jeden Fall der Schlüssel sein und da sah Red Bull sehr stark aus, vor allem am Ende der Stints. Sie sind etwas näher im Longrun. Aber hier ist auch das Qualifying sehr wichtig."

Singapur GP 2018 Longruns 2. Training Ultrasoft

FahrerReifen-AlterStint-LängeGefahren gegenDurchschntl. Zeit
Verstappen145Ende1:44,716
Ricciardo175Ende1:44,779
Räikkönen188Ende1:45,631
Bottas189Anfang1:46,248

Red Bull bekommt Vorderreifen nicht auf Temperatur

Doch auf eine Runde sah die Bullen-Welt einmal mehr etwas anders aus. Während Red Bull im 1. Training noch den Ton angab, lag man am Abend plötzlich weit zurück. "Wir bekommen die Reifen auf eine Runde nicht ins Fenster", klagt Marko. Es scheint inzwischen ein generelles Problem des Red Bull zu sein, die Reifen nicht auf Temperatur zu bekommen. Am Nachmittag war das noch kein Problem, weil der Asphalt fast 20 Grad heißer war.

Die Hinterreifen sind kein Problem, sie werden bei der Traktion stark beansprucht. Doch die Vorderreifen kommen bei Red Bull partout nicht auf Temperatur. Das führt zu Balanceproblemen, der RB14 untersteuert auf einer Runde. Eine zweite Outlap ist hinderlich, weil dann die Hinterachse auf den Hypersoft bereits leidet.

Mercedes in Singapur stärker als 2017

Bei Mercedes war es genau umgekehrt. Im ersten Training noch mit Untersteuern zu kämpfen, passte es am Abend. Doch die Silberpfeile hatten im 1. Training die Hypersofts noch nicht aufgezogen. Im 2. Training war die Balance da, nur in der Anbremsphase hatten beide Piloten noch leichtere Probleme.

Aus Mercedes-Sicht ist das schon eine gute Nachricht. Singapur ist neben Monaco die Angststrecke schlechthin für die Silberpfeile. "Wenn wir die Situation mit dem Vorjahr vergleichen, sind wir nach dem heutigen Tag viel zuversichtlicher, dass wir an diesem Wochenende vorne mitmischen können", meint Mercedes' Technik-Chef James Allison.

Motorsport-Magazin.com-Prognose: Es ist eng, enger als gedacht. Durch Vettels kleines Missgeschick fehlte allerdings der ultimative Maßstab - sowohl auf eine Runde, als auch im Longrun. Deshalb geht der Deutsche auch als Top-Favorit ins weitere Wochenende. Im Rennen darf Ferrari auf Schützenhilfe von Red Bull hoffen, doch dafür müssen die Bullen irgendwie einen Weg vorbei finden.