Wechsel-Analyse: Kimi Räikkönen wechselt von Ferrari zu Sauber!: (11:09 Min.)

Das Gerücht geisterte bereits seit Wochen durch das Fahrerlager und die Silly Season der Formel 1. Es galt als eine der eher abstrusen unter vielen Spekulationen. Doch jetzt wird es tatsächlich wahr: 2019 tauschen Kimi Räikkönen und Charles Leclerc ganz einfach ihre Cockpits. Der Iceman kehrt damit sensationell zurück zu seinen Anfängen bei Sauber, der Youngster schafft nicht minder sensationell den rasanten Aufstieg zur Scuderia nach Maranello.

Also weder Verlängerung bei Ferrari noch komplettes Karriereende für den einen und ein gegen alle Gepflogenheiten bei den Roten verstoßender Aufstieg für den anderen. Zwei Entscheidungen in einer, zusammen ein echter Transferhammer in der Formel 1. Ein Transferhammer, der so gut wie nur Gewinner hinterlässt und dessen Initiatoren deshalb großer Respekt gebührt.

Ferrari traut sich, was Mercedes für unmöglich hält

Der Reihe nach. Beginnen wir bei Leclerc und Ferrari. Zunächst: Stimmt es wirklich, dass Leclerc seinen Vertrag bereits unter dem inzwischen verstorbenen Sergio Marchionne unterzeichnete, so hatte das Ferrari der Gegenwart ohnehin nur noch mit juristischen Querelen eine Wahl. Die moralische Perspektive, eine Verpflichtung gegenüber dem letzten Willen des ehemaligen Präsidenten, spielte sicherlich auch eine Rolle. Dass solche Werte selbst im Haifischbecken Formel 1 gelebt werden - dafür Respekt, sollte es tatsächlich mitgeklungen sein. Einfach schön zu sehen.

Noch größere Anerkennung gebührt dann aber Marchionne selbst - und jedem bei Ferrari, der sich für Charles Leclerc schon 2019 bei der Scuderia stark gemacht hat. Nicht falsch verstehen, liebe Kimi-Fans: Euer Star hätte sich eine Verlängerung durchaus verdient, fährt Räikkönen 2018 doch bis dato seine klar beste Saison seit seinem Comeback für Ferrari 2014. Hier geht es mir gerade aber einzig um Leclerc, unabhängig vom Iceman.

Charles Leclerc überhaupt ein Risiko?

Mit dem Youngster traut sich Ferrari etwas. Erstmals seit den Tagen Enzo Ferraris selbst, dem früher teilweise schon ein Rennen genügte, um einem jungen Piloten einen Vertrag zu geben, holt die Scuderia damit die Jugend ins Werksteam. Tatsächlich handelt es sich mit Leclerc um den jüngsten Piloten in Rot seit fast 60 Jahren und den zweitjüngsten überhaupt. Einzig Ricardo Rodriguez war bei seinem Ferrari-Debüt 1961 noch jünger als es Leclerc 2019 sein wird.

Doch was heißt traut? Leclerc erscheint kaum als Risiko. GP3-Champion, direkt danach Formel 2 dominiert und ein bombastisches Rookie-Jahr in der F1. Dennoch: Nach nur einem Jahr einen Youngster zu befördern, in ein Team, ein Werksteam, das endlich wieder mitten in den WM-Kampf zurückgekehrt ist, unbedingt Ergebnisse will, den Ertrag harter Arbeit ernten möchte - das sieht man nicht alle Tage.

Ferrari hält sich Kimi Räikkönen warm

"Die großen Teams werden keine Risiken mit jungen Fahrern eingehen. Vielleicht sollten wir einem 19-Jährigen ein Top-Auto geben. Aber das Problem ist, dass wir dann riskieren, die WM zu verlieren, weil sie eben eine Lernkurve haben", sagt erst in Monza noch Mercedes' Toto Wolff nach einer Brandrede, wie schwer es aktuell doch ist, in der Formel 1 Nachwuchstalente unterzubringen. Dass nun ausgerechnet Ferrari diesen Weg geht während Mercedes händeringend woanders nach Platz für Ocon, Wehrlein und Russell sucht, beweist nichts als Mut.

Wirklich? Oder ist es Torheit? Nein. Erstens, weil Leclerc eben keinen Zweifel an seinen Fähigkeiten zulässt. Zweitens, weil Ferrari durch den zweiten Teil des Transferhammers sogar clever ist: Kimi Räikkönen bei Alfa Romeo Sauber unterzubringen, dem eigenen B-Team, ist taktisch geschickt. Sollte Leclerc wider Erwarten nicht abliefern, unter dem ungleich höheren Druck überraschend Probleme bekommen, hätte man den Routinier noch immer warmgehalten, um einzuspringen.

Formel 1 & Ferrari halten Räikkönen-Fans bei der Stange

Damit nicht genug: Auch Räikkönens gewaltige Heerscharen an Fans stimmt die Scuderia somit Milde. In den vergangenen Tagen riefen diese eine Petition für einen Ferrari-Verbleib des Iceman ins Leben. Fast 90.000 Kimster unterschrieben virtuell bis Ferrari mit seiner Presseaussendung weitere Unterstützung genauso belanglos machte, wie den Einfluss der Petition auf die Entscheidung (das war auch den Initiatoren klar).

Doch vielleicht zeigte das Ferrari durchaus, welche Strahlkraft die Figur Kimi Räikkönen noch immer für die Scuderia haben kann. Wenngleich das Ferrari ohnehin bewusst gewesen sein dürfte, lief man beim vergangenen Italien GP nicht blind und taub durchs Fahrerlager. Räikkönen bei Sauber unterzubringen, hält somit dessen Fans bei der Stange, über Alfa Romeo sogar im eigenen Konzern. Noch dazu wird der Finne für Alfa ähnlich gut - wenn auch typisch widerstrebend - als Promo-Gesicht herhalten können wie für Ferrari.

Kimi Räikkönen: Immer noch Bock auf Racing

Die ganze Formel 1 profitiert on top. Zwei Jahre mehr der Kimi-Mania. Schon bei Fernando Alonso war der Rechteinhaber höchst selbst aus exakt demselben Grund beim Spanier vorstellig geworden, um das asturische Zugpferd in der F1 zu halten.

Nicht zuletzt beweist Ferrari mit dem Ersatzcockpit aber auch ganz einfach Anstand. Respekt vor seinem noch immer letzten F1-Weltmeister, Respekt vor dem Iceman, der 2018 auf seine alten Tage noch immer lieferte. Lieferte, weil er einfach noch Bock hat. Bock auf Racing, Bock auf Formel 1. Stark, dass Ferrari ihm dazu bei Sauber die Möglichkeit gibt. Stark auch von Sauber, das mitspielt, auch Räikkönen so zumindest nicht zum großen Verlierer macht. Zumal er bei den Schweizern vielleicht sehr viel mehr sein eigenes Ding durchziehen darf als bei Ferrari, mit dem - natürlich nie offiziell - als Nummer eins gesetzten Sebastian Vettel.

Weiterer Nachwuchs einziger Verlierer

Und Sauber selbst profitiert auch. Räikkönen gilt unter Ingenieuren als besserer Entwickler als manch einer glauben würde, hat Erfahrung wie kein zweiter mehr im Fahrerlager. Und Talent sowieso. Für Sauber also der ideale Fahrer, zumal als zweiter Pilot sicherlich keine Granate wie Charles Leclerc zu erwarten ist. Marcus Ericsson hat sich zwar gemacht, ist aber kein Topfahrer, Stoffel Vandoorne müsste sich erst wieder beweisen und Antonio Giovinazzi zeigte bis dato auch nur bei Testfahrten, was in ihm steckt.

Zumindest bei den beiden Letztgenannten handelt es sich - stellvertretend für eine ganze Zunft - um die einzigen echten Verlierer der Fahrerrochade (Vettels im WM-Kampf jetzt vielleicht kleiner ausfallende Hilfe Räikkönens mal ausgenommen) zwischen Hinwil und Maranello. Durch die zwei Jahre Ehrenrunde für Kimi Räikkönen ist ein Cockpit für den Nachwuchs, der es in der F1 ja so schwer hat, dicht. Andersherum lässt sich jedoch argumentieren, dass dieses jetzt einfach zu Ferrari verlagert wurde. Auch wenn das noch immer nach Fremdsprache klingt.

Wechsel-Analyse: Kimi Räikkönen wechselt von Ferrari zu Sauber!: (11:09 Min.)