Nach der Kollision mit Sebastian Vettel hätte es Lewis Hamilton sich in Monza problemlos erlauben können, Kimi Räikkönen den Sieg zu überlassen. Obwohl der Finne im WM-Kampf längst keine Rolle mehr spielt, setzte Hamilton das ganze Rennen über alles daran, den Teamkollegen von Vettel abzufangen. Seine kompromisslose Attacke führte zu einem der zweifelsohne denkwürdigsten Siege seiner Karriere. Doch weshalb ließ sich Hamilton auf diesen Kampf überhaupt ein?

"Du musst in jedem Rennen die richtige Balance finden, aggressiv zu sein und keine Fehler zu machen", so Hamilton. Im ersten Saisondrittel schien er an unterlegenen Wochenenden den Sieg teilweise schnell abzuschreiben und lieber die maximal möglichen Punkte sicherzustellen, statt mit einer unüberlegten Aktion noch mehr Zähler wegzuwerfen. "Du weißt nie ob du es wegschmeißt. Manchmal versuchst du es und übertreibst es."

In Monza war der Mercedes gegenüber dem Ferrari abermals im Hintertreffen. Diesmal packte Hamilton jedoch der Ehrgeiz. "Manchmal lässt du etwas liegen, aber heute dachte ich mir: du willst hier nicht abreisen ohne alles mitgenommen zu haben, vielleicht einmal nicht zwei Meter später gebremst zu haben wenn du ihn hättest überholen können", erklärte der viermalige Weltmeister, dass das Racerherz in ihm an diesem Tag einfach zu heftig schlug, um Räikkönen mit einem Ferrari-Heimsieg davonkommen zu lassen.

Racer in Hamilton musste Räikkönen jagen: Das liebe ich am meisten

"Ich liebe diese Rad-an-Rad-Kämpfe, wie ich sie mit Kimi hatte. Das ist ehrlich gesagt das, was ich am Racing am meisten liebe. Ich hatte sie im Go-Kart und in der GP2, und hin und wieder auch in der Formel 1", so Hamilton, der ganze 45 Runden lang unermüdlich Jagd auf den Iceman machte. "Als ich hinter Kimi war dachte ich mir: vor dir fährt ein großartiger und erfahrener Pilot. Kann ich es schaffen, ihn in einen Fehler zu drängen?" Hamilton genoss es regelrecht, in der Position des Jägers zu sein.

"Er zuckte immer wieder vor Turn 1 und ich wusste, dass es einen psychologischen Effekt hat. Ich wusste, dass sich der Druck bei ihm aufbaute. Es ist cool, in solch einer Situation zu sein und schrecklich, wenn dir jemand im Nacken sitzt", so Hamilton, der sich in ein Rennen aus seiner Debütsaison zurückversetzt fühlte. "Wir hatten vor elf Jahren in Malaysia ein Rennen, als er mir im Nacken saß. Ich erinnere mich daran, wie der Ferrari mich jagte und ich ihn gerade so hinter mir halten konnte. Diesmal wollte ich derjenige sein, der ihn in einen Fehler drängt."

Hamilton jagte Räikkönen in Monza unermüdlich und wurde mit dem Sieg belohnt, Foto: Sutton
Hamilton jagte Räikkönen in Monza unermüdlich und wurde mit dem Sieg belohnt, Foto: Sutton

Hamilton mutiert zum mentalen Dominator: Hole alles und mehr heraus

In den vergangenen fünf Rennen bewies Hamilton mehrfach enorme Nervenstärke. Angefangen bei seiner Aufholjagd in Silverstone, über die wahnsinnige Regenpace in Hockenheim und die rennentscheidende Pole in Budapest, bis hin zum Sieg im Monza-Thriller. "Alles was ich tun kann ist, mich darauf zu fokussieren, an jedem einzelnen Wochenende abzuliefern. Ich habe das Gefühl, im Moment alles und noch mehr aus dem Auto herauszuholen", so Hamilton.

"Diese letzten drei Siege haben uns alle im Team unglaublich stolz gemacht, in Anbetracht dessen, dass wir das Gefühl hatten nicht die Oberhand zu haben, sondern einen, wenn nicht sogar zwei Schritte zurück zu sein, und dann doch einen Schritt vor ihnen landeten", misst er den kürzlichen Erfolgen viel Wert bei.

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Dass er gerade im vielleicht härtesten WM-Kampf seiner Zeiten so über sich hinauswächst, kommt nicht von Ungefähr. "Der Druck ist da, die Intensität ist da und sie ist unausweichlich, für jeden von uns, für mich und für ihn", so der Champion. "Man kann sich nicht vorstellen, wie hart es ist zu dem Mindset zu gelangen, auf dem ich derzeit operiere. Konstant zu sein, keine Fehler zu machen und kontinuierlich abzuliefern."

Hamilton über psychologische Stärke: Es verlangt dir alles ab

"Es verlangt dir alles und noch mehr ab. Du hast es nicht einfach so. Ich muss jeden einzelnen Tag daran arbeiten. Besonders wenn die Saison so lang ist. Da ist es einfach, unvorbereitet zu sein und nicht in dieser mentalen Verfassung", erklärt er, wie wichtig das im allgemeinen Sprachgebrauch bekannte Mojo ist, sprich die mentale Verfassung in der ein Wettkampfsportler seine bestmögliche Performance abruft.

"Du suchst etwas, von dem du nicht einmal weißt, wo du es finden kannst. Es ist wie eine Magie in dir, es ist so schwierig zu erklären", so Hamilton. Spätestens seit 2016 weiß er jedoch, wie schnell eine Weltmeisterschaft und auch diese mentale Stärke kippen kann. In den sieben ausstehenden Rennen will er alles daran setzen, psychologisch weiter die Oberhand gegenüber Sebastian Vettel zu haben.

"Vertraut mir, wir werden nicht selbstgefällig. Ich werde meinen Ansatz beibehalten, dieselbe Einstellung und jedes einzelne Wochenende weiter arbeiten und kämpfen. Es kommen Wochenenden wie Singapur, wo wir nicht wissen, wie das Auto sein wird. Generell haben wir dort immer Probleme gehabt. Aber vielleicht regnet es, oder das Auto funktioniert besser. Alles was wir tun können ist, weiter pausenlos gegen ihre Tür zu hämmern", so Hamilton."

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