Es gibt diverse Gründe, weshalb Formel-1-Rekordweltmeister Michael Schumacher den Circuit de Spa-Francorchamps zu seinem motorsportlichen Wohnzimmer erklärte. Angefangen mit seinem Debüt 1991 im Jordan schrieb der Kerpener gleich mehrere Episoden seiner großen Erfolgsgeschichte auf der legendären Rennstrecke in Belgien. Die erste davon gleich ein Jahr nach seinem Einstand in der Königsklasse. Am 30. August 1992 gelang ihm in den Ardennen der Durchbruch.

Angesichts der erdrückenden Dominanz von Williams Renault war Michael Schumacher 1992 eigentlich alles andere als ein Siegkandidat. Der Benetton B192 galt als dritte Kraft hinter Williams und McLaren. Niemand hatte vor dem zwölften Saisonrennen am 30. August im belgischen Spa Francorchamps damit gerechnet, dass für den damals 23-jährigen Schumacher in den Ardennen die große Stunde schlagen würde.

Ausgenommen Schumacher selbst. Der hatte sich im Qualifying als Dritter hinter Nigel Mansell und Ayrton Senna qualifiziert und irgendwie im Gespür, dass heute sein Tag werden sollte: "Ich weiß nicht, warum, aber als ich heute im Motorhome war, gingen mir Gedanken über einen möglichen Sieg durch den Kopf."

Regen nach dem Start: Wetterlotterie in Spa-Francorchamps

Wie so oft hingen am Renntag dunkle Wolken über Spa. Der Grand Prix wurde aber noch unter trockenen Bedingungen freigegeben. Senna setzte sich zunächst gegen Mansell durch, während Schumacher eine Position verlor und sich als Vierter hinter Mansells Teamkollege Riccardo Patrese einreihte.

Mansell schaute sich die Führungsarbeit Sennas nur kurz an. Bereits in der zweiten Runde eroberte er in Blanchimont die Spitze zurück. Gleich nach Mansell schlüpfte auch Patrese bei Senna durch. Zu diesem Zeitpunkt regnete es bereits leicht. Mansell wurden die Bedingungen zu heiß. Der zwei Wochen zuvor in Ungarn frischgebackene Weltmeister kam einen Umlauf später für Regenreifen an die Box.

Nigel Mansell kam als frischgebackener Weltmeister nach Spa-Francorchamps, Foto: Sutton
Nigel Mansell kam als frischgebackener Weltmeister nach Spa-Francorchamps, Foto: Sutton

Senna will zu viel: Regenmeister verzockt sich beim Reifenpoker

Senna wiederum witterte seine Chance im unterlegenen McLaren Honda. Der Brasilianer blieb auch draußen, als in der sechsten Runde Patrese in Führung liegend abbog. Senna spekulierte darauf, dass der Regenschauer nicht mehr allzu lange anhalten würde. Mit dieser Vermutung stand der Regenmeister aber ziemlich alleine dar. Auch Schumacher und Martin Brundle im zweiten Benetton waren in den Runden vier und fünf bereits an der Box gewesen.

Bis zur zehnten Runde behauptete Senna noch die Führung, danach holte ihn das von Mansell angeführte Feld ein. In der 14. Runde musste der Brasilianer erkennen, dass er sich verzockt hatte. Das Williams-Duo lag nun vor den beiden Benetton von Schumacher und Brundle in Führung. Senna fiel nach seinem späten Boxenstopp auf Platz 13 zurück.

Der Regen nahm kurz darauf ab. Senna reagierte in der 28. Runde als erster Fahrer und wechselte zurück auf Slicks. Der Rest des Feldes zögerte. Auf abgefahrenen Regenreifen kam der auf Platz drei liegende Schumacher in der 30. Runde in Stavelot kurz von der Strecke ab und verlor seine Position an Brundle. Für den späteren Sieger ein Aha-Moment.

Ayrton Senna hatte in der Regenlotterie von Spa den falschen Riecher, Foto: Sutton
Ayrton Senna hatte in der Regenlotterie von Spa den falschen Riecher, Foto: Sutton

Schumacher siegt mit Fortune: Fahrfehler sorgt für Strategie-Coup

Der junge Deutsche nahm den Ausrutscher zum Anlass, die Box anzusteuern und ebenfalls zurück auf Slicks zu wechseln. "Martin hat mich überholt und ich konnte sehen, dass seine Reifen voller Blasen waren. Deshalb habe ich mich sofort entschieden, neue Reifen zu holen", so Schumacher damals, der nur durch diesen Zufall erkannte, dass der Regenreifen auf der abtrocknenden Strecke bald den Geist aufgeben würde.

Williams reagierte nicht sofort auf den Reifenwechsel des Konkurrenten. Brundle kam einen Umlauf später an die Box, Patrese und Mansell zogen in den beiden darauffolgenden Runden nach - zu spät, wie sich herausstellen sollte. Schumacher ging nach den Boxenstopps in Führung. Mansell lag zunächst fünf Sekunden dahinter und begann den Rückstand abzufeilen. In Runde 39 war er bis auf drei Sekunden an Schumacher herangerückt, doch eine defekte Auspuffanlage stoppte sein Momentum.

Schumacher ließ sich seinen ersten Grand-Prix-Sieg nicht mehr nehmen und sorgte für die Underdog-Sensation der Saison. "Die deutschen Fans haben lange auf einen Formel 1 Sieg warten müssen, seit Jochen Mass 1975, und ich habe ihnen diesen Sieg gegeben", freute sich die neue deutsche Formel-1-Hoffnung. Mit 90 weiteren Siegen und sieben Weltmeistertiteln sollte er seine Landsleute noch viele Male in Jubelstürme verfallen lassen.