Für Lewis Hamilton hätte der Sonntag auf dem Hockenheimring kaum besser laufen können. 24 Stunden zuvor war der Mercedes-Pilot nach seinem Defekt im Qualifying am Boden zerstört. Am Sonntagnachmittag stieg er als Sieger mit komfortabler WM-Führung über Sebastian Vettel aus dem Cockpit. Der Weltmeister konnte sein Glück kaum fassen.

"Lewis gibt mir seit 2013 dieses gute Gefühl. Es ist dieser Unterschied zwischen einem der besten und einem sehr guten Fahrer, mit dem sie an einem sehr schwierigen Tag in der Lage sind den Unterschied zu machen. Und er ist einer von ihnen", schwärmte Mercedes-Teamchef Toto Wolff von seinem Star-Piloten. Der hatte nach seinem überraschenden Sieg einen regelrechten Höhenflug.

"Ich habe gebetet wie ich es vor jedem Rennen mache und meine Gebete wurden erhört", gab sich Hamilton wieder einmal Senna-esque. Die streng gläubige brasilianische Legende betete ebenfalls vor den Rennen. Bei seiner Fahrt zum ersten WM-Titel 1988 in Suzuka behauptete Ayrton Senna sogar, die Gegenwart des Allmächtigen gespürt zu haben.

"Ich habe an einem Punkt definitiv das Gefühl gehabt, dass dort Jesus war", berichtete Hamilton in Hockenheim von einem ähnlichen Erlebnis. Ihm waren die Geschehnisse an diesem Sonntag beinahe schon zu viel des Guten. "Es war mir fast schon unheimlich, vor allem als ich diesen beinahe schon biblischen Sturm hinterher gesehen habe."

Hamilton über Hockenheim-Regen: Wie für mich geschaffen

Religiöses Wunder hin oder her, Hamiltons Sieg war nicht nur glücklich sondern auch das Resultat einer starken Leistung und richtiger Entscheidungen. Nach dem Rückschlag im Zeittraining ergriffen der 33-Jährige und sein Team ihre kleine Chance auf den Sieg mit beiden Händen. "Natürlich war es aus dieser Position sehr unwahrscheinlich", so Hamilton, der als 14. ins Rennen gegangen war. "Aber du musst immer daran glauben."

Bis zur 43. Runde hatte Hamilton als Vierter mit seiner Aufholjagd gemacht, was unter normalen Bedingungen möglich war. "Es hat mich sehr an meine Anfänge erinnert. Mein erstes Go-Kart hatte ungefähr fünf Vorbesitzer. Ich musste damit immer ganz hinten starten und meinen Weg vorbei an den erfahreneren Fahrern und ihren schnelleren Fahrzeugen finden", erklärte er. "Das war es, was ich am besten konnte."

Damit schien Schadensbegrenzung angesichts des drohenden Sieges von Titelrivale Vettel das Maximum zu sein. Doch der Wettergott hatte andere Pläne. Der Regen kam Hamilton in diesem Moment wie gerufen. "Es war wirklich schwierig, aber die Bedingungen waren... perfekt! Sie waren für mich wie geschaffen. Ich wusste, dass ich wenn es regnet eine gute Ausgangslage haben würde", so Hamilton.

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Hamilton über Vettel-Crash: Habe es nicht nötig mich damit zu motivieren

In den ersten sieben Runden auf teilweise nasser Strecke holte Hamilton über zehn Sekunden auf Vettel auf, bis diesem sein verhängnisvoller Fehler in der Sachskurve unterlief. "Ich hatte das Gefühl, noch nie im Leben besser gefahren zu sein. Ich habe keine Fehler gemacht. Darauf bin ich wirklich stolz", so Hamilton. Das Missgeschick Vettels spielte ihm in die Karten, entscheidend war für ihn aber die eigene Performance.

"Ehrlich gesagt habe ich es nicht nötig, einen Boost oder Motivation aus dem zu ziehen, was anderen Menschen passiert", stellte er klar. "Ich fokussiere mich nur darauf, ich zu sein und mein Bestes zu geben. Wenn ich in meiner besten Form bin und mich steigere, bin ich in der Lage so zu fahren, völlig ungeachtet dessen, was mit den anderen passiert oder was sie machen."

Einen weiteren Seitenhieb in Richtung des Deutschen konnte er sich aber trotzdem nicht verkneifen. Vettels Sieg in Silverstone und die Freude des Rivalen in seinem Wohnzimmer erfolgreich gewesen zu sein, hatte Hamilton vor dem Wochenende spitzzüngig quittiert: "Ich hatte zuvor gesagt, dass du manchmal Dinge sehen kannst, die häufig ein Zeichen von Schwäche sind", erinnerte Hamilton.

Wolff verteidigt Hamilton: Schwierige Weltmeisterschaft mit sehr starkem Gegner

Als Zeichen von Schwäche wird Hamilton nicht selten auch sein eigenes Verhalten angelastet. So zum Beispiel am Samstag nach dem Qualifying, als er sich angesichts seines Defekts wieder äußerst theatralisch gab. "Es ist eine sehr schwierige Weltmeisterschaft mit einem sehr starken Gegner, der immer stärker wird", sagte Toto Wolff.

"Den Glauben an sich selbst und das Team zu bewahren ist ein wichtiger Bestandteil für den Verlauf dieser Weltmeisterschaft. Und das ist es, was er macht", so der Österreicher. "Natürlich ist es zu früh in der Saison um schon das Gefühl zu haben, dass wir verlieren", erklärte Hamilton. "Aber es fühlt sich natürlich nie gut an, wenn du mit Widrigkeiten konfrontiert bist."

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Hamilton von deutschen Fans ausgebuht: Hat mich gefreut

Der Sieg auf dem Hockenheimring gab Hamilton aber nicht nur wegen der erfolgreichen Wende in der WM große Genugtuung. "Als wir in England waren kann ich mich nicht daran erinnert, dass irgendwelche Fans gebuht hätten. Wir haben in England wirklich gute Fans", so der viermalige Weltmeister, der in Hockenheim weniger Zuneigung verspürte: "Ich wurde hier viel ausgebuht."

"Das Seltsame ist nur, dass ich mich wirklich darüber gefreut habe. Es ist ungewöhnlich, dass ich trotzdem glücklich war. Aber das lag daran, dass ich zwischen tausenden roten Fahnen hier und da auch noch eine britische Flagge sehen konnte." Am Ende des Tages zählte für ihn nur die Unterstützung seiner Fans.

"Als der Regen fiel hatte ich wirklich das Gefühl, dass er all die Negativität wegspülte. Es war ein glorreicher Tag und es hätte für mich kaum besser laufen können. Es ist ein Tag, an den ich mich immer erinnern werde", so Hamilton.