1,504 Sekunden. Diese Winzigkeit trennte Kimi Räikkönen beim Österreich GP in Spielberg 2018 von seinem ersten Sieg in der Formel 1 seit mehr als fünf Jahren. Als Zweiter überquerte der Ferrari-Pilot die Ziellinie des Red Bull Rings hinter Sieger Max Verstappen. Das beste Ergebnis der laufenden F1-Saison für den Finnen.

Dennoch zeigt sich Räikkönen nur partiell begeistert. "Natürlich ist es klasse für das Team, denn wir haben viele Punkte gegen das Team gewonnen, gegen das wir in der Weltmeisterschaft fahren, denn die hatten einen furchtbaren Tag", kommentiert Räikkönen das komplette Mercedes-Debakel in Spielberg. Der erste Doppelausfall der Silberpfeile mit Lewis Hamilton und Valtteri Bottas seit Hamilton/Rosberg in Spanien 2016 kostete Mercedes sogar die WM-Führung gegen Ferrari.

Kimi Räikkönen: Ferrari-Speed erst am Ende stark

Doch Räikkönen interessiert sich wie jeder Rennfahrer eben am meisten für sich selbst. "Es ist enttäuschend. Denn ich will gewinnen. Und wir hatten am Ende auch den Speed dazu, aber es wollte heute nicht passieren", hadert Räikkönen. Am Ende. Tatsächlich zeigte Räikkönen im Ferrari in den letzten Runden noch eine furiose Aufholjagd, schrubbte sieben Sekunden Rückstand auf Leader Max Verstappen fast vollständig weg, stellte einen neuen Rundenrekord auf.

Aber zu spät. "Das Auto wurde immer besser, aber uns gingen die Runden aus. Ich denke wir haben es zu lange zu locker angehen lassen. Es ist schade, aber letztendlich hatten wir heute ein tolles Auto", hadert Räikkönen. Doch konstant schnell war der Ferrari dabei nicht. Das sah schon nur der größte Laie unter den TV-Zuschauern. "Wir hatten besonders am Ende einen guten Speed, aber zu Beginn des zweiten Stints war es etwas knifflig - bis dann die Reifen funktioniert haben", schildert Räikkönen.

War Räikkönen-Sieg in Spielberg drin? Entscheidende Szenen am Start

Hätte er den Österreich GP also gewinnen können, wäre der Österreich GP nur ein paar Runden länger gewesen? "Sicher wäre das möglich gewesen. Aber wir haben nun einmal nur so viele Runden. Es ist immer leicht, zu sagen 'wenn dies, wenn das'", winkt Räikkönen ab.

'Wenn dies, wenn das' stellt sich jedoch auch in einem noch ganz anderen Kontext. Die rennentscheidende Szene - und über den Sieg entscheidende Szene - spielte sich im Rennen des Kimi Räikkönen nämlich sehr viel früher ab als im zweiten Stint. Genauer gesagt geht es sogar um zwei, wenn nicht gleich drei Szenen - alle in der erste Rennrunde.

Der Reihe nach:

Räikkönen: Angst vor Crash im Mercedes-Sandwich

Szene 1: Der Räikkönen-Raketenstart. Direkt aus der Startbox legte Räikkönen los wie die Feuerwehr. Mit dem Vorteil der ultraweichen Reifen schoss der Finne sofort zwischen die beiden Mercedes von Bottas und Hamilton. Wer zuvor den Crash am GP3-Start gesehen hatte, bekam schon Angst. So auch Räikkönen. "Ich musste am Start etwas zurückstecken, weil es zwischen ihnen richtig eng wurde. Ich hatte Angst, wir würden kollidieren", schildert Räikkönen, warum er nicht sogar als Erster aus Turn 1 kam.

Räikkönen will es gegen Hamilton erzwingen

Szene 2: All In in Kurve drei. Für P2 reichte es jedoch auch mit einem weiten Schlenker in die Auslaufzone. Im Windschatten Hamiltons saugte sich Räikkönen daraufhin auf der langen Bergauf-Passage hoch zur Remus-Haarnadel, Kurve drei, ran an den Mercedes. Extrem spät warf der Finne, links von Hamilton, den Anker. Zu spät. Räikkönen verpasste den Bremspunkt, geriet wieder von der Strecke.

"Da bin ich weit gegangen und habe Plätze verloren", berichtet er. Tatsächlich drehte sich der Ferrari beinahe gar, Räikkönen fing mit einem heftigen Gegenlenker haarscharf ein. Darunter litt die Beschleunigung, Bottas drückte sich links vor Kurve vier wieder vorbei, rechts coverte Räikkönen gegen Verstappen, beinahe krachte es bereits hier. Dazu kam es drei Kurven später.

Räikkönen vs. Verstappen: Hart, aber fair

Szene 3: Verstappen mit der Brechstange. Aber nicht mit massiven Folgen. Aus der ersten Linkskurve (6) kam Räikkönen etwas quer. "Das Auto vor mir hat mich da etwas gestört und so hat er (Verstappen, Anm. d. Red.) den Run bekommen", sagt Räikkönen. Verstappen wollte sich so in Turn sieben hinein daneben setzen. Doch er verschätze sich und touchierte den Ferrari leicht am linken Hinterrad, sodass Räikkönen etwas ins Trudeln geriet. Genug, damit Verstappen durchschlüpfte. Die Stewards untersuchten die Szene, sprachen jedoch keine Strafe aus. Verstappen musste auch den Platz nicht einmal zurückgeben. Am Ende entscheidend für den Sieg.

Für beide Fahrer am Ende in Ordnung, auch für Räikkönen. "Das lief nicht ideal für mich, aber das war schon in Ordnung", so der Finne. "Passiert manchmal eben." Viel mehr zeigt sich der Finne erleichtert, nicht viel bösere Folgen erlitten zu haben: "Ich geriet etwas zur Seite, weil wir uns leicht berührt hatten und habe so den Platz verloren. Aber wir haben noch das Beste daraus gemacht, weil wir uns nicht gegenseitig aus dem Rennen genommen haben. Das ist nicht so leicht, wenn du so nah bei einander im Kampf bist."

Verstappen zu der Szene: "Es war hartes Racing, aber gutes Racing. Kimi ist erfahren genug, mit so einer Situation gut umzugehen. Wir hatten eine kleine Berührung, aber ich denke, dass das gut für den Sport ist."

Durch seinen zweiten Platz vor Sebastian Vettel und die Ausfälle von Lewis Hamilton und Valtteri Bottas in Spielberg setzte Räikkönen in Spielberg einen regelrechten Big Point im WM-Kampf, in dem den Finnen eigentlich längst niemand mehr sieht. Mit 101 Punkten weist der neben Vettel (146) und Hamilton (145) nur der Iceman eine dreistellige Zähler-Zahl auf. Daniel Ricciardo (96), Verstappen (93) und Bottas (92) sind allerdings voll auf Tuchfühlung.

Für das Triple-Header-Finale in Silverstone hofft Räikkönen, anknüpfen zu können. Immerhin hat Ferrari Mercedes jetzt bereits auf diversen vermeintlichen Leibstrecken der Silbernen geschlagen: "Es war in den vergangenen Jahren nicht der beste Ort für uns. Aber wir haben schon geplant einige Dinge zu versuchen, die uns dort helfen können. Wir pushen weiter und versuchen, es immer besser zu machen."