Der Kampf um die Weltmeisterschaft in der Formel 1 ist ein Marathon. Der Weg dahin lang und zäh. Besonders 2018 mit 21 Rennen, dem längsten Rennkalender den die F1 je gesehen hat. Oftmals entscheiden im Saisonverlauf besonders starke Phasen des einen oder anderen Fahrers über Sieg und Niederlage. Das sogenannte Momentum. Wer es gerade hat, kann in der Gesamtwertung davon ziehen - oder entscheidenden Boden im WM-Stand gutmachen.

Doch mit Blick auf die Entwicklung der WM-Wertung 2018 zeigt sich dieses Jahr etwas völlig anders. In Blöcken gewinnt niemand, eher geht es munter auf und ab - vor allem zwischen Sebastian Vettel und Lewis Hamilton, aber auch Valtteri Bottas und Daniel Ricciardo. Einzig Kimi Räikkönen und Max Verstappen sind inzwischen etwas abgefallen.

Toto Wolff: In Formel 1 2018 gibt es keine Tendenzen mehr

"Man sieht keinen Trend mehr, was die Meisterschaft so spannend macht, weil du einfach nicht weißt, was du erwarten sollst", beschreibt Mercedes-Teamchef Toto Wolff die derzeitige Realität in der Formel 1. Durch seinen Sieg in Kanada eroberte am Wochenende Sebastian Vettel die WM-Führung von Lewis Hamilton zurück, liegt jetzt so knapp es nur geht vor dem Briten. Mit 121 WM-Punkten kommt der Ferrari Pilot nach genau einem Saisondrittel auf exakt einen Zähler mehr als der Weltmeister. Zuvor hatte Hamilton Vettel die Spitze beim vierten Rennen in Baku abgeluchst, setzte sich in Spanien zwischenzeitlich auf 20 Punkte ab. Vettel hatte von Australien bis China vorne gelegen, mit einem maximalen Vorsprung von 17 Zählern.

Doch auch Daniel Ricciardo und Valtteri Bottas mischen noch halbwegs mit, kämpfen eine Art zweiten Kampf - nicht minder eng. Bis Monaco war ihr Duell noch ein Dreikampf mit Kimi Räikkönen, in Montreal jedoch stagnierte die Punktekurve des Finnen erneut (s. Grafik oben), sodass der Iceman jetzt leicht dahinter liegt - aber noch immer klar vor Max Verstappen, der unter seinem extrem schwachen Saisonstart noch immer leidet. Doch liegen selbst Bottas und Ricciardo nun bereits jeder rund 35 Punkte hinter der Spitze. Der eine, weil er extrem konstant ist, aber nie gewinnt. Der andere, weil er gewinnt aber auch ausfällt.

Red Bull & Ricciardo über WM-Kampf: Außenseiter-Chance, aber beste seit Jahren

"Wir haben zwei Mal Nuller geschrieben, da ist es natürlich schwierig. Wir haben deshalb nur Außenseiterchancen", meint daher Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. Auch wenn man in Sachen Chassis vorne liege, damit inzwischen sogar den gerne beklagten Motor-Nachteil ausgleiche. Ähnlich sieht das Ricciardo. "Es gibt eine Chance, wir es ist noch immer eine Außenseiter-Chance", sagt der Australier. "Aber es ist die realistischste Chance, die wir seit Jahren hatten."

Diese Zitate stammen noch von vor dem Kanada GP - für Ricciardo von vornherein ein Rennen der Schadensbegrenzung. Ein Rennen, das er dennoch vor Hamilton beendete, den Ricciardo offenbar für den größeren WM-Rivalen hält. "Ich habe gute Punkte geholt und glaube, dass ich in der WM zwei Punkte gewonnen habe - weil ich Lewis bekommen habe", erklärt Ricciardo "Für mich ist es ein kleiner Sieg, ein paar Punkte mitzunehmen. Das ermutigt uns sehr für die nächsten Rennen."

Formel 1: Mercedes vernimmt lauten Weckruf

Was Ricciardo die größeren Sorgen bereitet als die Performance des Autos ist trotz der gewonnen zwei Punkte der noch immer solide Rückstand in der WM-Wertung. "Auch wenn wir etwas schneller sein sollten als Lewis, müssen wir jetzt noch immer viele Punkte aufholen. Da müssen wir schon echt überlegen werden, um die WM zu gewinnen. Ich denke, wir können über die Saison auf einem Niveau sein. Aber signifikant besser? Das ist noch eher unwahrscheinlich", fürchtet Ricciardo.

Betrachtet man jedoch die Stimmungslage beim genannten Konkurrenten, klingt es fast, als sei das, was Ricciardo für unwahrscheinlich hält, sogar fast garantiert. Bei Mercedes schrillen spätestens seit Kanada alle Alarmsirenen. Nach Monaco war das noch nicht der Fall. Dort rechnete man nicht mit mehr als Schadensbegrenzung. Ganz anders Montreal. Der Circuit Gilles Villeneuve war seit Jahren eine absolute Paradestrecke der Silberpfeile gewesen, stach selbst in den vergangenen Jahren der Dominanz noch heraus.

Toto Wolff: Bin das Gegenteil von zuversichtlich

"Ich bin das Gegenteil von zuversichtlich. Das ist ein großer Weckruf für jedes einzelne Teammitglied", polterte Teamchef Wolff nach dem Rennen. Mercedes müsse nun die neue Realität in der Formel 1 akzeptieren. Diese besagt Wolff zufolge, dass starke oder schwache Strecken für gewisse Teams nicht länger existieren. "Gewöhnlich waren wir auf einigen Strecken dominant und auf anderen hatten wir zu kämpfen. Aber irgendwie sind die Abstände dieses Jahr so eng geworden, dass jetzt fünf Autos innerhalb einer Zehntel liegen wenn wir uns nur die schnellsten Rennrunden ansehen", so der Österreicher.

"Deshalb wird diese Meisterschaft davon entschieden, wer die wenigsten Fehler macht, die beste Entwicklung für die Power Unit bringt und das an jedem einzelnen Wochenende. Das ist die neue Realität. Es ist ein Dreikampf. Sechs Autos können Rennen gewinnen. Du kannst nichts als garantiert hinnehmen. Du kannst nicht mehr nach Montreal fahren und denke, dass es ein Spaziergang im Park werden wird. Du musst zu jedem Wochenende kommen und deine Vorbereitungen müssen auf den Punkt sein, du darfst schon Freitag keine Zeit verlieren, weil es dich beißen wird. Das ist der Weckruf."

Sebastian Vettel: WM-Führung nur Randnotiz

Etwas anders sieht Wolffs Pendant bei Red Bull die Lage. Es gebe durchaus noch Strecken und Strecken. "Heute hatten wir nicht genug drauf, um Sebastian herauszufordern, aber es kommen ein paar Strecken auf denen wir stark sein sollten", meint der Teamchef aus alter Gewohnheit. Allerdings die Situation für Red Bull hier tatsächlich noch eine andere sein, trennt sich hier allein mit der Länge und Menge der Geraden eines Kurs schneller die Spreu vom Weizen als bei Mercedes und Ferrari.

Apropos Maranello. Wie steht eigentlich die Scuderia zum Comeback an der WM-Spitze? "Die WM-Führung ist aber egal, es ist noch ein sehr langer Weg", meinte Vettel nur. "Es ist natürlich ein netter Nebeneffekt, aber der Sieg bedeutet mehr." Teamchef Maurizio Arrivabene: "Es ist noch ein langer Weg in der Meisterschaft und wir müssen weiter alles geben."

Lewis Hamilton bleibt entspannt

Dieses Marathons bewusst ist sich jedoch auch Lewis Hamilton. Der amtierende Champion ließ sich von dem Rückschlag in Kanada deshalb weit weniger beeindrucken als Toto Wolff, freute sich angesichts seiner verzwickten Lage um seinen Motor eher, überhaupt noch einen Batzen Punkte mitgenommen zu haben. "Es hätte viel schlimmer sein können. Ich hätte ausfallen können, dann hätte ich 25 Punkte verloren", erinnert Hamilton.

Doch ist auch dem Briten klar, dass er möglichst bald mal wieder besser punkten sollte als Vettel. "Eine tolle Performance war das nicht von uns und klar wollen wir mehr Punkte. In zwei Rennen haben wir 18 verloren. Wir fallen da ein bisschen zurück. Die nächsten Tage wird es sicher schmerzhafter und schmerzhafter werden", erkennt auch Hamilton. "Aber ich bin jetzt erstmal froh, dass der Motor es geschafft hat. Und diese Motoren müssen noch einen sehr weiten Weg gehen", ergänzt Hamilton. Ein Marathon ist der WM-Kampf 2018 also auch für die Power Units. Drei Aggregate nur sind 2018 gestattet, Mercedes hat es also knapp geschafft, im Plan zu bleiben.

Was das Gesamtpaket angeht, jedoch eher nicht, zumindest mit Abstrichen. Doch ist Hamilton überzeugt, genug herausholen zu können. "Wir haben Potential in diesem Auto", stellt der Weltmeister klar. Die Mahnungen Wolffs samt angekündigter Konsequenzen für die interne Arbeit will Hamilton nicht an sich heran lassen. "Das wäre das erste Zeichen von Schwäche und mein Kopf ist nicht schwach. Ich bin hier, um zu gewinnen. Und ich glaube noch immer, dass wir es gewinnen können!"