"Mache nicht dasselbe wie ich." Mit diesen Worten gratulierte Jean Alesi Rennsieger Robert Kubica am 8. Juni 2008 in Montreal. Der damals 23-Jährige hatte an diesem Tag seinen ersten Formel-1-Sieg gefeiert. Gleichzeitig war es für seinen Arbeitgeber BMW Sauber der erste Triumph. Zehn Jahre später ist Kubica als Entwicklungspilot von Williams in Kanada - mit der Erkenntnis, es Alesi offenbar doch gleichgetan zu haben.

"Ich fragte ihn: Was meinst du damit?", so Kubica in einem mit der offiziellen Formel-1-Website geführten Interview. Alesi war damals längst im Ruhestand. Er hatte die Königsklasse Ende 2001 mit nur einem Sieg auf dem Konto verlassen - 1995 in Montreal. "Ich habe nur einmal gewonnen, in Kanada!", hatte er Kubica damals aufgeklärt. Im Jahr 2018 arbeitet der Pole fieberhaft an seinem Comeback, nachdem ein schwerer Rallye-Unfall seine Laufbahn Anfang 2011 abrupt beendet hatte.

Denn in seinen 47 weiteren Rennen nach Kanada 2008 war es ihm nicht gelungen einen weiteren Sieg folgen zu lassen. Wie übrigens auch BMW Sauber, die sich mit dem Ausstieg der Bayern Ende 2009 ohne einen zweiten Erfolg trennten. Dass es damals überhaupt mit dem Überraschungssieg klappte, den Teamkollege Nick Heidfeld für BMW Sauber als Zweiter zu einem Doppelsieg machte, war damals ohnehin eine Sensation. Mit dem Circuit Gilles Villeneuve verband Robert Kubica bis dato nämlich auch das größte Negativerlebnis seiner noch kurzen F1-Laufbahn.

Kubica und Montreal: Horror-Crash war 2008 längst abgehakt

Ein Jahr zuvor war er auf dem Weg zur Haarnadel im letzten Sektor mit Jarno Trulli kollidiert und schwer verunfallt. Kubica hatte den Italiener am Heck berührt und war daraufhin mit rund 230 km/h in die Betonwand eingeschlagen. Der BMW Sauber zerschellte beim Aufprall mit 75 G und überschlug sich mehrfach. Wie durch ein Wunder kam Kubica mit einem verstauchten Knöchel davon. Das darauffolgende Rennen in den USA musste er als Vorsichtsmaßnahme auslassen, wodurch Sebastian Vettel zu seinem Debüt kam.

"Ich weiß nicht mehr was mir durch den Kopf ging, als ich beim Trackwalk am Donnerstag zur Haarnadel kam", so Kubica über seine Rückkehr nach Montreal 2008. "Ich hatte im Vorjahr diesen wirklich heftigen Unfall und hatte viel Glück. Ich erinnere mich daran, wie ich auf die Mauer schaute in die ich eingeschlagen war. Aber ich spürte keine negativen Gefühle." Kubica war unter Insidern längst als harter Hund bekannt.

2003 stand für ihn der Aufstieg in die Formel 3 Euroserie an, doch ein Verkehrsunfall verhinderte das Debüt beim Saisonauftakt. Stattdessen griff Kubica erst am vierten Rennwochenende auf dem Norisring ein - mit 18 Schrauben in seinem immer noch geschienten Arm. Mit dem Sieg im ersten und einem zweiten Platz im zweiten Lauf bewies er schon damals, dass er sich durch nichts aufhalten lässt. So auch ein Jahr nach dem schweren Crash in Montreal.

Kubica hatte bei seinem schweren Unfall 2007 viel Glück, Foto: Sutton
Kubica hatte bei seinem schweren Unfall 2007 viel Glück, Foto: Sutton

Kubica: BMW Sauber war in dieser Saison sehr konkurrenzfähig

"Ich mochte die Strecke in Montreal immer. Als ich dorthin kam war ich davon überzeugt, dass es ein guter Ort für mich ist", so Kubica, der die Geschehnisse des Vorjahres als es ernst wurde längst verdrängt hatte: "Als ich am Freitag ins Auto stieg und das Visier herunterklappte um das erste Mal auf die Strecke zu gehen, dachte ich nicht an den Unfall. Ich war so auf das Fahren konzentriert und auf all die Vorbereitungen für das Wochenende. Der Crash ging mir nicht durch den Kopf, denn ich hatte einen Job zu erledigen."

Um seinen Job in diesem Jahr zu erledigen stand ihm mit dem F1.08 zweifelsohne das beste Auto der vierjährigen Partnerschaft zwischen BMW und Sauber zur Verfügung. "Wir waren das ganze Wochenende stark. Nicht so stark wie McLaren, aber nicht weit weg", so Kubica, der in den Trainings am Freitag in beiden Sessions mit Rang zwei als erster Verfolger von Felipe Massa (Ferrari) beziehungsweise Lewis Hamilton (McLaren) aufzeigte.

"Wenn du Vertrauen hast, ist das immer ein guter Start. Und in dieser Saison war BMW Sauber sehr konkurrenzfähig. Wir hatten nicht das beste Auto, aber wir waren bei der Musik", sagt Kubica. Auch im Qualifying landete Kubica auf dem zweiten Platz, war gegen Hamilton allerdings chancenlos. "Es gab einen entscheidenden Faktor: Der Asphalt löste sich auf", erklärt Kubica.

"In ein paar Kurven musstest du mehr raten, welche Linie du am besten nimmst, besonders im Qualifying. Ich fuhr an mehreren Stellen nicht die optimale Ideallinie, denn ich mied die losen Asphaltstücke. Mir gelang im Qualifying trotzdem eine sehr gute Runde", so Kubica, der über eine halbe Sekunde auf die Polezeit verlor.

Boxengassenunfall von Hamilton dreht Rennen für Kubica

Auch im Rennen schien er gegen den an diesem Wochenende unantastbaren Hamilton zunächst chancenlos - bis der Ausfall von Adrian Sutil in Runde 13 das Rennen zugunsten des Außenseiters drehte. Der Force India war mit einem Getriebschaden liegengeblieben und die Rennleitung rief das Safety Car auf den Plan. Die Top-6 steuerten sofort die Box an um den ersten Stopp, damals noch inklusive Nachtanken, vorzuziehen.

"Bei diesem Rennen erinnert sich jeder an die rote Ampel am Ende der Box und wie Hamilton in Räikkönen crasht", so Kubica, dessen zwei größte Gegner im Kampf um den Sieg sich aufgrund des Totalausfall Hamiltons aus dem Rennen verabschiedeten. "Er traf zum Glück nicht mich, denn ich stand neben Räikkönen. Aber ich denke wir waren in einer Position um das Rennen zu gewinnen, auch ohne diesen Unfall", fügt er an.

Sein eigener Teamkollege wurde damit der größter Gegner im Kampf um den Sieg. Nick Heidfeld war mit mehr Sprit gestartet und verzichtete trotz Safety Car auf einen vorgezogenen Stopp. Er blieb bei seiner Einstopp-Strategie, steuerte in Runde 29 die Sauber-Crew an und kam vor Kubica zurück auf die Strecke. "Weil ich zwei Stopps machte, musste ich Heidfeld überholen", sagt Kubica.

Der kuriose Boxengassenunfall von Hamilton und Räikkönen machte Kubica zum Sieganwärter Nummer eins, Foto: Sutton
Der kuriose Boxengassenunfall von Hamilton und Räikkönen machte Kubica zum Sieganwärter Nummer eins, Foto: Sutton

Heidfeld macht Kubica Weg zu Sieg und WM-Führung frei

Der Stallgefährte zeigte sich als Teamplayer und ließ Kubica nur einen Umlauf später ohne jegliche Gegenwehr passieren. Für Kubica war der Job damit allerdings noch nicht erledigt, denn er musste nun dafür sorgen auch nach seinem zweiten Stopp noch vor dem Stallgefährten zu liegen. " Ich musste pushen um einen Vorsprung herauszufahren, um nach dem Boxenstopp vor ihm rauszukommen. Ich zog weg doch dann hing ich ein paar Runden hinter Timo Glock fest", so Kubica.

"Erst als ich etwa 24 Sekunden herausgefahren hatte, hatte ich das Gefühl dass es genug war. Du weißt ja nie was passiert. Aber der Stopp verlief sauber und ich kam in Führung zurück auf die Strecke." Kubica überquerte den Zielstrich nach 70 Runden mit komfortablen 16 Sekunden Vorsprung als Sieger. "Als ich über die Linie fuhr sagte mir mein Renningenieur, dass ich nun zum ersten Mal die WM anführe", so Kubica, der nach dem siebten Saisonrennen mit 42 Punkten vor Massa und Hamilton lag, die jeweils 38 Zähler auf dem Konto hatten.

"Das war ein ziemlich seltsames Gefühl, aber ein gutes. Wir hatten wirklich einen sehr starken Start in das Jahr. Wir haben uns schnell an die neuen Regeln angepasst, mit denen die Traktionskontrolle verboten wurde. Kanada war der Höhepunkt." Wohl aus diesem Grund ließ sich Kubica trotz dieses Meilensteins in seiner Karriere wohl zu nicht mehr als den obligatorischen Fotos mit versammelter Mannschaft hinreißen.

"Ich flog nach dem Rennen sofort zurück, denn ich musste im Werk Arbeit erledigen und dann für Tests nach Barcelona reisen. Das war gut, aber ich bereue das gemacht zu haben. Ich war der Typ der nicht feiern wollte", erzählt Kubica etwas wehmütig. "Mein Fokus war einfach schon auf dem nächsten Rennen. Rückblickend würde ich es mit den Jungs mehr genießen, also sorry an sie. Ich war jung und motiviert und wollte mein Momentum nicht aufgeben."

Heidfeld machte Kubica das Leben in Kanada leicht, Foto: Sutton
Heidfeld machte Kubica das Leben in Kanada leicht, Foto: Sutton

Kubica versuchte Siegerauto zu kaufen - ohne Erfolg

Neben der Reue darüber damals die Partybremse gewesen zu sein verfolgten Kubica auch die Worte Alesis: "Ich hatte diesen Satz von ihm in den darauffolgenden Jahren immer im Kopf. Die darauffolgende Saison war hart, unsere Performance war nicht so gut. Dann 2010 ertappte ich mich dabei wie ich mir der Gedanke durch den Kopf ging, dass ich nicht so wie Jean enden will. Aber wir wissen alle was passiert ist. Es ist fast lustig, dass eingetreten ist was er gesagt hat. Natürlich hat er mir das nicht gewünscht, aber so ist das Leben."

Was Kubica außerdem schmerzt ist, dass er an diesen Tag seiner Karriere tatsächlich keinerlei Erinnerungsstücke besitzt. "Ich habe meinen Pokal nicht. Das Team hat ihn behalten und ich erhielt kein Duplikat. Ich bin deshalb ein bisschen sauer auf sie", gibt der Pole zu. "Es stand zwar in den Statuten des Teams und in meinem Vertrag, aber ich dachte ich bekomme zumindest eine Kopie. Das letzte Mal dass ich meinen Pokal sah war auf dem Teamfoto nach dem Podium."

Noch mehr als das Edelmetall würde Kubica aber sein Dienstfahrzeug bedeuten. "Ich würde es lieben. Ich habe vor einigen Jahren versucht das Siegerauto aus 2008 zu kaufen aber ich war nicht erfolgreich. Hinter diesen Autos steckt eine lange Geschichte. In ihrer ursprünglichen Form existieren davon nicht mehr viele, denn die meisten Chassis wurden für KERS angepasst um die 2009er Autos zu entwickeln", erklärt er.

"Ich glaube es gibt nur noch drei Chassis vom 2008er Auto. Ein Privatier hat eins. Ich habe ihn kontaktiert aber mir wurde gesagt, dass er nicht verkaufen will. Dann wollte ich ein Auto von Sauber kaufen, aber sie wollten es auch nicht verkaufen", so Kubica über seine verzweifelte Suche nach dem Erinnerungsstück. "Ich bin kein Mensch, der sehr an materiellen Dingen hängt. Aber diese Sachen sind wirklich schön. Für die meisten Leute haben sie keinen Wert, aber für mich einen hohen. Ich werde in der Zukunft noch versuchen, es zu bekommen", verspricht er.

Kubica versuchte vergeblich sein Siegerauto zu erstehen, Foto: Sutton
Kubica versuchte vergeblich sein Siegerauto zu erstehen, Foto: Sutton

Kubica glaubt noch daran, das Alesi-Schicksal abwenden zu können

Nach dem Rallye-Unfall im Winter 2011 schien Kubicas Formel-1-Karriere zunächst vorbei. Seit 2017 ist er jedoch wieder im Dunstkreis der Formel 1 unterwegs, saß in Barcelona im 1. Freien Training sogar erstmals wieder an einem Grand-Prix-Wochenende hinter dem Steuer. "Die zehn Jahre seit meinem Sieg sind schnell vergangen. Es erinnert mich daran, wie jung ich war und wie schnell die Zeit vergeht", sagt er.

Angesichts der jüngsten Entwicklungen in seiner Motorsport-Laufbahn glaubt er heute aber wieder daran, dass Schicksal Alesis, die Formel-1-Karriere eines Tages mit nur einem Sieg zu beenden, noch abwenden zu können. "Es ist noch etwas Zeit", so Kubica, der darauf hofft eines Tages doch noch einmal als Stammfahrer zum Einsatz zu kommen. Was für ihn zählt, ist die Zukunft: "Ich bin nicht der Typ, der zurückschaut. Es ist alles Vergangenheit. Es war ein fantastischer Moment, ein tolles Wochenende und eine schöne Erinnerung."

Kubica ist 2018 Entwicklungsfahrer bei Williams und hat ein Comeback fest im Visier, Foto: Sutton
Kubica ist 2018 Entwicklungsfahrer bei Williams und hat ein Comeback fest im Visier, Foto: Sutton