Wieder einmal ein etwas komischer Trainingstag in der Formel-1-Saison 2018: Auch beim Kanada GP in Montreal lief am Freitag nicht alles nach Plan. Das 1. Freie Training am Vormittag musste wegen Nico Hülkenbergs Getriebedefekt unterbrochen werden, die Nachmittagssession nach einem kleinen Einschlag von Teamkollege Carlos Sainz.

Dazu hatten alle Top-Teams ihr ganz eigenes Päckchen zu tragen: Mercedes orderte zu wenig Hypersoft-Reifen für Kanada und konnte deshalb keinen einzigen Run auf den weichsten Pirelli-Pneus drehen. Bei Red Bull wurde Daniel Ricciardo von einem Mapping-Problem heimgesucht, das ihn viel Trainingszeit kostete.

Am schlimmsten erwischte es aber vielleicht Sebastian Vettel: Einmal mehr war der Ferrari-Star am Freitag mit der Balance seines Boliden nicht zufrieden. Die vielen Trainingsunterbrechungen - am Nachmittag gab es zudem noch eine lange VSC-Phase - kamen ihm gar nicht entgegen, weil er wegen Setuparbeiten viel Zeit in der Garage verbringen musste.

Vettel weist Favoritenrolle in Montreal von sich

Doch für Vettel heißt das eigentlich: Business as usual. Die Freitags-Probleme des viermaligen Weltmeisters ziehen sich durch die Saison 2018 wie ein roter Faden. Am Samstag schlägt Vettel dann meist zurück. "Heute sind wir nicht der Favorit", stapelte Vettel selbst noch tief.

Vettel landete am Ende mit knapp acht Zehntelsekunden Rückstand nur auf Rang fünf. Doch die Zeit von Teamkollege Kimi Räikkönen macht Mut: Der Finne fuhr nur etwas mehr als eine Zehntel langsamer als der Tagesschnellste Max Verstappen. "Vielleicht ist er ja der Favorit! Ich bin es heute noch nicht", meint Vettel nur.

Doch abgesehen von Sebastian Vettel waren alle Top-Piloten optimistisch. "Ich denke, dass wir heute auf Anhieb mit dem richtigen Fahrzeug-Setup losgelegt haben. Im Laufe des Tages gab es einige Dinge, die wir anpassen mussten, indem wir kleinere Veränderungen vorgenommen haben. Dabei fühlte es sich vom einen zum anderen Mal immer ein wenig anders an, aber es war gut", meinte Lewis Hamilton.

Die rund sechs Zehntel Rückstand nimmt Hamilton gerne mit: "Ich glaube, dass der Unterschied bei den Rundenzeiten an der unterschiedlichen Reifenwahl liegt, aber das werden wir morgen herausfinden." Laut Pirelli ist das Delta zwischen Ultrasoft und Hypersoft größer als angenommen. Am Freitag waren die Hypersofts rund 1,1 Sekunden schneller.

Mercedes bereut Hypersoft-Wahl für Kanada

Ganz einfach kann man die Zeiten aber nicht damit verrechnen. Denn in Montreal gibt es eine Besonderheit. Während bei den Hypersofts vor allem die Hinterachse Probleme bereitet, verschiebt sich das Problem bei den Ultrasofts im frischen Zustand auf die Vorderachse. Dadurch ändert sich die Balance. Mercedes hatte aber bislang noch keine Gelegenheit, das auszutesten.

Deshalb schimpfte Niki Lauda auch: "Es war ein Fehler. Wir haben im Frühjahr zu wenige Sätze Hypersoft bestellt." Erst am Samstagmorgen wird Mercedes die Hypersoft erstmals auf dem Circuit Gilles Villeneuve testen. Sollten sich Probleme herauskristallisieren, bleibt wenig Zeit für Änderungen.

Auch bei Red Bull ist man selbstbewusst. "Das Auto hat alles gemacht, was es machen sollte, es hat von Anfang an gut funktioniert und ist der Strecke gefolgt", sagte Max Verstappen, vielleicht auch etwas in Anlehnung an seine jüngste Pannenserie.

Die Longruns sind aufgrund der Unterbrechungen und verschiedener Reifenwahlen erneut nicht besonders aussagekräftig. Ferrari und Red Bull fuhren ihre Hypersoft-Longruns zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlich schweren Autos.

Longruns auf Hypersoft

FahrerDurchschntl. ZeitLongrun gefahrenRundenReifen-Alter
Räikkönen1:16,321Spät415
Vettel1:16,465Spät416
Verstappen1:16,865Früh1017

Beim Ultrasoft gibt es immerhin einigermaßen brauchbare Vergleichswerte. Hamilton fuhr mit 1:16,5 Minuten im Schnitt den schnellsten Run. Teamkollege Valtteri Bottas fuhr rund zwei Zehntel langsamer, Kimi Räikkönen im Ferrari lag gleichauf mit seinem Landsmann.

Longruns auf Ultrasoft

FahrerDurchschntl. ZeitLongrun gefahrenRundenReifen-Alter
Hamilton1:16,520Früh1124
Bottas1:16,733Früh7 (mit Unterbrechung)23
Räikkönen1:16,776Früh1126

Auch auf dem Supersoft fuhr Hamilton die besten Zeiten. Rund 0,3 Sekunden schneller als Bottas, noch einmal so viel schneller als Verstappen. Mercedes scheint auf dem Papier Favorit in Montreal zu sein. Allerdings fürchtet Mercedes weiterhin die neuen Motoren der Konkurrenz.

Longruns auf Supersoft

FahrerDurchschntl. ZeitLongrun gefahrenRundenReifen-Alter
Hamilton SS141:15,652Spät314
Bottas SS161:15,949Spät716
Verstappen SS211:16,244Spät621

Als einziger Motorenhersteller musste Mercedes das Update verschieben. Ist der befürchtete Mercedes-Nachteil also doch nicht so groß? "Das werden wir erst final morgen sehen, wenn die Konkurrenz aufdreht", warnt Niki Lauda.

Pirelli glaubt: Ein Team wagt Ultrasoft-Gamble im Q2

Und dann gibt es da noch die Strategie. Eine interessante Angelegenheit in Kanada. Red Bull sieht beim Reifenverschleiß seinen großen Vorteil. Aber was bringt das, wenn die Konkurrenz den sensiblen Hypersoft im Rennen gar nicht fährt? Dafür müsste man sich im Q2 mit den Ultrasofts qualifizieren. Aufgrund der großen Delta-Zeiten ein riskantes Unterfangen. "Aber ich glaube trotzdem, dass es jemand versucht", so Pirellis Formel-1-Einsatzchef Mario Isola zu Motorsport-Magazin.com.

Wer den Hypersoft meidet, könnte mit einem Stopp durchkommen. Wer auf Hypersoft starten muss, wird wohl zweimal zum Reifenwechsel kommen müssen. In der Theorie sind sogar drei Stopps möglich. Ist Mercedes' Reifenwahl vielleicht in Indiz dafür, dass man versucht, ohne Hypersoft im Rennen auszukommen? Möglich. Red Bulls Dr. Helmut Marko stellt jedenfalls fest: "Wir müssen die Reifen noch analysieren, ich glaube aber schon, dass er bei uns im Rennen zum Einsatz kommt."

Mit besseren Gripverhältnissen sollte sich der Hypersoft noch zum besseren Rennreifen entwickeln. Dabei machte er ohnehin schon einen besseren Eindruck als noch in Monaco. Interessant: Die Boxendurchfahrt kostet in Kanada mit 18 Sekunden so wenig Zeit wie kaum auf einer anderen Strecke.