Auch über zwei Dekaden nach dem tragischen Unfall beim Großen Preis von San Marino 1994 in Imola ist Ayrton Senna im Motorsport allgegenwärtig. Die brasilianische Formel-1-Legende ist selbst für den heutigen Motorsport-Nachwuchs noch ein Idol, obwohl dieser lange nach dessen Tod das Licht der Welt erblickte und nie selbst Zeuge von Sennas Leistungen auf der Rennstrecke werden konnte.

Der Mythos um den Magier Ayrton Senna, dokumentiert von Videoaufnahmen sowie den Erzählungen der Zeitzeugen genügte, um ihn über Generationen hinweg zur Galionsfigur eines ganzen Sports zu machen. Senna hingegen war so vom Ehrgeiz getrieben, dass sein Maß stets er selbst und sonst niemand war. Obwohl er in der Formel 1 gegen gestandene Größen wie Niki Lauda, Alain Prost, Nelson Piquet oder Nigel Mansell antrat, galt seine höchste Anerkennung damit zeitlebens nur einem Mann.

Um wen es sich handelte, offenbarte sich erst viele Jahre nach seinem Ableben in der 2010 erschienen Dokumentation 'Senna'. Dort wurde dem Brasilianer höchstpersönlich das Schlusswort zuteil - in Form eines Auszugs einer Medienrunde aus der Saison 1993. Nach dem Finale in Adelaide, bei dem er seinen 41. und letzten F1-Sieg feierte, fragte ihn der britische Journalist Mark Fogerty, welcher Gegner ihm in seiner Rennfahrerkarriere bis zu diesem Zeitpunkt das beste Racing geliefert hatte.

Ayrton Sennas wertester Rivale? Nicht Prost, Fullerton!

Wer erwartete, dass Senna einen seiner großen F1-Rivalen wie etwa Alain Prost, der an diesem Tag sein letztes Rennen bestritt, nennen würde, war von der Antwort sicher mehr als überrascht. "Dafür muss ich in die Jahre 1978, 1979 und 1980 zurückgehen, als ich Go-Karts fuhr. Ich kam nach Europa, um das erste Mal außerhalb Brasiliens anzutreten, als Teamkollege von Terry Fullerton", erklärte Senna.

"Er war sehr erfahren, und ich genoss es sehr gegen ihn zu fahren. Er war schnell, er war konstant. Für mich war er ein sehr kompletter Fahrer und es war reines Fahren, reines Racing. Es gab da keine Politik, richtig? Es ging auch nicht um Geld, es war also echtes Racing und das ist mir als sehr gute Erinnerung geblieben." Diese Worte Sennas ruhten lange Zeit in den Archiven. Selbst Fullerton erfuhr erst durch den Dokumentarfilm von den Lobpreisungen über seine Person.

Der am 4. Januar 1953 in London geborene Fullerton erhielt ein Schreiben von Sennas langjähriger Sekretärin. Dort erfuhr er die Gründe für das Statement der Legende. Senna sagte, er habe Fullerton die Anerkennung verschaffen wollen, die er für seine Leistungen als brillanter Racer verdiente und in all den Jahren bis zu diesem Tag nie erhalten hatte. Einige Jahre später gab Fullerton der US-Amerkanischen Autowebsite Jalopnik ein Interview, in dem er über seine Zeit mit Senna sprach.

Terry Fullerton schätzte Ayrton Senna genauso hoch wie seine Rivalen aus der Formel 1, Foto: Sutton
Terry Fullerton schätzte Ayrton Senna genauso hoch wie seine Rivalen aus der Formel 1, Foto: Sutton

Fullerton ohne Angst vor Senna: Ich war ein Naturtalent

"Ich traf ihn zum ersten Mal, als er in der DAP-Fabrik herumhing. Er war nicht wie ein gewöhnlicher Fahrer, er war sehr intensiv. Ein bisschen still, ein bisschen ernst. Aber er war sehr helle", beschreibt Fullerton seine erste Begegnung mit dem Brasilianer im Jahr 1978, den er zu diesem Zeitpunkt fahrerisch noch nicht einzuschätzen vermochte. "Ich war auf der Höhe meines Könnens und als Ayrton kam, dachte ich, dass es an ihm wirklich nichts Besonderes gibt", gesteht Fullerton.

Während der 17-Jährige Senna als zahlender Nachwuchspilot zum DAP-Team hinzustieß, war Werksfahrer Fullerton schon seit vielen Jahren ein vollbezahlter Profi im Kartsport. 1973 hatte er mit Birel bereits die Kart-WM gewonnen. Fünf Jahre später bekam er bei der italienischen DAP-Mannschaft den damals noch unbekannten Ayrton Senna da Silva zur Seite gestellt. Das erste Aufeinandertreffen auf der Rennstrecke fand bei einem Test in Spanien statt. Senna schindete von der ersten Runde an Eindruck. "

"Ich dachte mir, Moment mal! Der Bengel ist anders", so Fullerton. "Als wir testeten und ich einen Jungen sah der sehr schnell war, schaute ich ab diesem Punkt in einem etwas anderen Licht auf ihn, mit etwas mehr Respekt." Er war jedoch nicht besorgt. Angesichts seiner Erfahrung im Go-Kart konnte auch der schnelle Senna sein Selbstvertrauen nicht so einfach erschüttern. "Ich muss wohl ein bisschen ein Naturtalent gewesen sein. Es ging mir irgendwie alles etwas zu einfach von der Hand, wenn ich ehrlich bin."

Tödlicher Unfall: Unglückliche Umstände führten zur Karriere im Kartsport

Den Weg in den Kartsport fand er jedoch erst über einen tragischen Umweg. Ursprünglich schlug sein Herz für Motorräder. Eine Leidenschaft, die zunächst sein zehn Jahre älterer Bruder Alec im Alter von 17 für sich entdeckt - und gegen den Willen der Eltern verfolgt hatte. Als dieser jedoch mit nur 21 Jahren bei einem Rennen in Mallory Park tödlich verunglückte, war das Thema Motorradsport schnell erledigt: "Ich war erst elf und an der Strecke, als er starb. Ich sah ihn im Krankenwagen, es war alles ziemlich traumatisierend."

Seine Leidenschaft für den Motorsport war allerdings längst entflammt und Fullerton wollte unbedingt Rennen fahren - auch, weil der Rennsport für ihn in gewisser Weise eine Verbindung zu seinem geliebten Bruder aufrechterhielt. Der Vater lenkte sein Interesse weg von den Motorrädern und hin zu den Go-Karts, da die Eltern den Sport für deutlich ungefährlicher hielten. Schon bald wurde deutlich, über welch hohe Begabung Fullerton verfügte.

In den Jahren 1966 bis 1968 gewann er jeweils die britische Junioren-Kartmeisterschaft. Im Jahr 1970 folgte der Aufstieg in den internationalen Kartsport. Dort folgten auf den Gewinn der britischen Meisterschaft der Titel in der Europameisterschaft und 1973 der Weltmeistertitel. In den kommenden Jahren sollte er neben Senna auf mehrere zukünftige Formel-1-Stars stoßen, darunter Mansell, Piquet und Prost. "Ich fuhr einige Jahre im Kart gegen ihn, vor Senna", so Fullerton über Prost, den er nicht allzu hoch einschätzte.

Senna war für Fullerton im Kart ein größerer Gegner als Prost oder Mansell, Foto: Sutton
Senna war für Fullerton im Kart ein größerer Gegner als Prost oder Mansell, Foto: Sutton

Fullerton fuhr auch gegen Prost und Mansell: Kein Vergleich mit Senna

"Er war überhaupt nicht auf meinem Level. Du holtest ihn einfach ein, gingst vorbei und dachtest nicht mehr über ihn nach", erklärt er. "Mansell war auch so einer, er hat im Kart nie etwas gewonnen. Es gab eine ganze Reihe anderer Typen, wie Senna, auf die ich mich mehr fokussierte" Die Rivalität mit Senna nahm jedoch erst langsam Fahrt auf. In den ersten beiden Saisons war das Verhältnis zwischen den Teamkollegen gut. Nicht selten fragte der junge Senna den erfahrenen Fullerton um Rat.

Dieser beobachtete früh, mit welcher Aggressivität Senna zu Werke ging. Fullerton erklärte ihm, dass er das Go-Kart am Kurveneingang überfährt, zu schnell ist und dadurch zu viel rutscht und Zeit verliert. "Er entwickelte sich sehr. Ein 17-Jähriger ist als Person sicher noch nicht voll geformt. Aber er war ein intelligenter Junge", so Fullerton. Senna war am Start des Rennwochenendes häufig schneller, doch den Briten mit dem Schnauzbart beunruhigte das nicht.

Während Senna und sein Mechaniker schon im Training den besten Motor und das beste Setup auflegten um die schnellstmögliche Rundenzeit zu jagen, verfolgte Fullerton eine andere Methodik. Er testete seine Komponenten und Setup-Einstellungen Stück für Stück und setzte sein Paket erst zusammen, als es im Qualifying wirklich darauf ankam. Hatte sich Senna nach seiner Bestzeit im Training noch voller Genugtuung auf den Weg zurück ins Hotel gemacht, versetzte Fullerton seinem Selbstvertrauen im Zeittraining einen herben Rückschlag.

"Er brauchte eine Weile, um dahinterzukommen, was ich machte. Es kratzte wirklich an ihm", sagt Fullerton, der davon überzeugt ist, dass diese Niederlagen Senna für seinen weiteren Karriereverlauf formten. "Menschen die ihm nahe standen sagten mir über die Jahre, dass das der Fall war." Im dritten gemeinsamen Jahr war Senna 1980 schlussendlich vom Schüler zum ernstzunehmenden Gegner gereift. Das Verhältnis zwischen den Teamkollegen sollte sich dadurch tiefgehend ändern.

Erbitterter Zweikampf: Senna akzeptiert Niederlage gegen Fullerton nicht

"Er war einer von drei oder vier. Einer auf den du aufpassen musstest, aber beileibe nicht der Einzige", so Fullerton, der 1980 alle seine Rennen gewann, bis auf das Weltmeisterschaftsfinale im belgischen Nivelles-Baulers. Dort ging ihm sieben Runden vor Schluss in Führung liegend der Motor hoch. Den Titel sicherte sich der Niederländer Peter De Bruijn, wohingegen Senna nie eine Kart-Weltmeisterschaft gewann.

Die Rivalität zwischen Senna und Fullerton gipfelte allerdings schon Wochen zuvor. Bei einem Lauf im italienischen Jesolo kämpften die beiden Rivalen erbittert um den Sieg. Senna hatte das gesamte Rennen geführt und war sich seines Sieges schon sicher, als er in der letzten Kurve der letzten Runde einer Attacke von Fullerton zum Opfer fiel. "Ich denke, ich bin der moralische Gewinner. Fullerton ist dreckig gefahren", reagierte Senna damals frustriert auf die Niederlage.

Der ehrgeizige Brasilianer weigerte sich, das Manöver seines Konkurrenten anzuerkennen: "Wenn er es nicht auf einen Unfall angelegt hätte, hätte ich gewonnen. Ich zog es vor ihn durchzulassen, obwohl die Art wie er mich überholte gegen die Regeln war." Fullerton winkt auch Jahrzehnte später noch ab: "Ja, klar..." Er selbst hat gute Erinnerungen an diesen Tag: "Es war ein großartiges aber auch sehr hartes Rennen. Wir waren einfach in unserer eigenen Liga, den anderen Meilen voraus und ich besiegte ihn gerade so."

Senna stieg in die Formel Ford auf, Fullerton blieb den Go-Karts treu, Foto: Sutton
Senna stieg in die Formel Ford auf, Fullerton blieb den Go-Karts treu, Foto: Sutton

Fullerton schlägt Formel-Karriere wegen von Tod des Bruders aus

Ihr damaliger Boss bei DAP, Angelo Parrilla, war trotz der Zwistigkeiten voll des Lobes über seine Fahrer: "Terry Fullerton und Ayrton Senna da Silva sind die beiden besten Fahrer auf der Welt. Alle anderen sind für gute dritte Plätze zu gebrauchen, aber nicht mehr", so der Italiener im Jahr 1980. Für Senna sollte dieses Jahr das letzte im Kartsport darstellen, bevor er danach über die Formel Ford und die Formel 3 die Königsklasse eroberte.

"Ja, du dachtest dass er erfolgreich sein würde, wenn er zu den Autos wechselt. Er hatte Unmengen Talent. Zu viel Talent, er stank förmlich danach", so Fullerton. "Er bewies danach weiter, dass er sehr schnell war. Er war ein reines Naturtalent - das ist genau das, was er war. Es überraschte mich also nicht, was aus ihm wurde." Fullerton selbst beendete seine Karriere nach der Saison 1984.

Eine Karriere im Automobilrennsport, gar in der Formel 1, kam für ihn nie in Frage. "Meine Mutter und mein Vater hätten es gehasst. Sie wollten nicht, dass ich Autorennen fahre", so Fullerton, der sich angesichts der Gefahren zu dieser Zeit schon in den 1970er Jahren gegen den Aufstieg entschieden hatte: "Damals starben drei oder vier F1-Piloten pro Jahr. Ich wollte das nicht. Was meinem Bruder passierte, spielte bei dieser Entscheidung wohl eine entscheidende Rolle."

Kart-Profi reichte Fullerton, Senna-Statement eine Genugtuung

Fullerton genoss stattdessen seine Zeit als Kart-Profi. "Ich war auf der Höhe meines Könnens, wurde als professioneller Fahrer bezahlt, reiste um die Welt, wurde gut behandelt und gewann prestigeträchtige Rennen", erklärt er. "Ich war glücklich mit genau dem, was ich tat." Einzig einen Test mit einem Formel Ford erlaubte er sich. Die Frage, wie sein Leben mit einer Formel-1-Karriere verlaufen wäre, stellte er sich trotzdem manchmal.

"Ein bisschen schon. Ich bin über 60, arbeite jeden Tag, versuche den Kids beizubringen wie man Go-Kart fährt und habe nicht viel Geld", so Fullerton, der nach seiner aktiven Zeit unter anderem Justin Wilson, Paul di Resta, Dan Wheldon, Allan McNish und Anthony Davidson coachte. Seine Duelle gegen Senna gaben ihm dennoch ein Stück Seelenfrieden: "Senna war der talentierteste Fahrer, gegen den ich je gefahren bin. Es war so gut, mich mit ihm zu messen."

Fullerton selbst sieht McNish und Davidson als seine erfolgreichsten Schüler an. Einen wie Senna fand er bisher aber noch nicht. "Er ist ein Fahrer, der dir nur ein Mal im Leben über den Weg läuft. Die Leute sagen zu mir, dass ich nach dem nächsten Senna Ausschau halten soll. Na ja, du wirst sehr lange Ausschau halten müssen, bevor du den findest - das kannst du mir glauben."

Ihm bedeutet es umso mehr, dass das Statement Sennas es so viele Jahre später noch zu ihm und an die Öffentlichkeit schaffte. "Die Tatsache, dass er mich am Ende des Films erwähnt, ist brillant. Wenn ich die Entscheidung nie zu den Autos gewechselt zu sein jemals bereut hatte, dachte ich mir danach, nein, ich bereue es nicht wirklich. Denn ich habe dadurch das Ansehen und die Anerkennung bekommen, die ich dort auch erhalten hätte."