Einen so spannenden Auftakt in ein Rennwochenende hatte die Formel 1 lange nicht mehr. Nicht nur die vielen Verbremser auf dem Baky City Circuit und der Abflug von Max Verstappen sorgten für Aufregung, auch oder vor allem die Zeitenliste. Wer hätte Red Bull ausgerechnet in Aserbaidschan, der Strecke mit der längsten Vollgas-Passage der Formel 1, auf Platz eins erwartet? Warum ist Sebastian Vettel so weit hinter seinem Ferrari-Teamkollegen Kimi Räikkönen? Und hat Mercedes ernsthafte Probleme?

Mit 1:42,795 Minuten setzte China-Sieger Daniel Ricciardo die Tagesbestzeit und sorgte am 75. Geburtstag von Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko für ein Schmunzeln beim Grazer. Max Verstappen hatte ihm mit seinem Abflug im 1. Training die Laune schon fast verdorben.

Die Voraussetzungen täuschen vielleicht ein wenig: Ricciardo kommt als Sieger des letzten GP nach Baku und gleichzeitig als Sieger des letzten Aserbaidschan GP. Doch beide Siege holte er unter glücklichen Voraussetzungen. Safety-Car-Phasen und Rennunterbrechungen halfen ihm. Als absoluten Topfavoriten hatte man ihn und Red Bull deshalb nicht unbedingt auf der Rechnung.

Red Bull in Baku noch schneller als gedacht

Doch das muss man nach dem Freitag. Auch wenn er im 1. Training knapp hinter Valtteri Bottas landete, seine Zeit war da schon deutlich mehr wert als die des Mercedes-Piloten. Bottas fuhr seine Runde auf Ultrasoft, Ricciardo seine auf Supersoft. Laut Pirelli sollen rund 0,8 Sekunden zwischen den beiden Mischungen liegen. Allerdings war es am Vormittag noch deutlich wärmer, was wiederum den Unterschied etwas verringern sollte.

Und auch am Nachmittag sprechen die 0,069 Sekunden, die Ricciardo vor dem ersten Verfolger Kimi Räikkönen lag, nicht die ganze Sprache. Auf der mit 6,003 Kilometern zweitlängsten Strecke im Kalender ist es besonders schwierig, eine schnelle Runde zusammenzubekommen. Entsprechend interessant ist die Addition der besten Sektorzeiten.

Theoretisch hätte Ricciardo nämlich noch drei Zehntel schneller gekonnt. Ähnlich übrigens auch Verstappen, der in der Praxis auf Rang drei landete. In der Theorie aber wächst Red Bulls Vorsprung auf fast vier Zehntelsekunden vor Kimi Räikkönen, der ärgster Verfolger bleibt.

Beste Sektorbestzeit und theoretisch schnellste Runden

FahrerSektor 1Sektor 2Sektor 3Theoretische Bestzeit
Ricciardo36,31141,33024,8411:42,482
Verstappen36,11841,52124,9001:42,539
Räikkönen36,31241,59524,9511:42,858
Hamilton36,03241,96425,2511:43,247
Bottas36,49041,81425,2661:43,570
Vettel36,32842,11225,3651:43,805

Lewis Hamilton, der nach Sektorbestzeit im ersten Abschnitt seine Runde nach einem Verbremser abbrechen musste, fehlen selbst in der Theorie noch 0,765 Sekunden. Entsprechend selbstkritisch gab sich der amtierende Formel-1-Weltmeister: "Alles in allem waren wir heute nicht schnell genug, sowohl Red Bull als auch Ferrari scheinen im Moment vor uns zu liegen."

Tendenziell machte Teamkollege Valtteri Bottas den etwas besseren Eindruck, aber auch bei dem Finnen lief es nicht so richtig rund. Vor allem die wechselnden Bedingungen vom ersten auf das zweite Training machten ihm zu schaffen. "Ich glaube, dass es uns in der zweiten Session im Vergleich zu Ferrari und Red Bull ein bisschen an Pace gefehlt hat", so Bottas. "Das Auto ist momentan nicht einfach zu fahren und wir müssen noch etwas an der Balance arbeiten."

Die pure Pace der Top-Teams dürfte damit aussortiert sein: Red Bull vor Ferrari und Mercedes. Allerdings bleibt eine Frage offen: Was war mit Sebastian Vettel los? Der Ferrari-Star landete nur auf Rang elf, hatte satte 1,2 Sekunden Rückstand auf Teamkollege Räikkönen. Auch im ersten Training sah es nicht rosig aus für Vettel.

Ferrari baut Auto für Räikkönen radikal um

Vettel hatte am Nachmittag sichtlich Probleme, testete gleich dreimal den Notausgang - auch auf seiner schnellen Runde auf Ultrasoft. Aber auch die Addition seiner besten Sektoren offenbart keine Wunder: Noch immer fehlt ihm knapp eine Sekunde auf Räikkönen.

Räikkönen hatte im ersten Training noch massive Probleme, kam kaum zum Fahren. Die zweite Hälfte der ersten Session verbrachte er in der Garage, weil man früh erkannte, dass man sich mit dem Setup auf dem Holzweg befand. Die Umbauarbeiten waren massiv, deshalb begann man schon während des Trainings. Offenbar mussten mechanische Komponenten an der Hinterachse gewechselt werden, die befinden sich im Getriebegehäuse.

Die Taktik zahlte sich aus. "Ich verliere lieber etwas Zeit in der ersten Session, um dann in der zweiten bereit zu sein", bestätigte Räikkönen. "Es war die richtige Entscheidung, denn das 2. Training lief ordentlich." Auch Vettel schien in der ersten Session mit einem losen Heck Probleme zu haben, doch er kam nicht sofort für Umbauarbeiten rein. Was war also mit Vettel los?

Sebastian Vettel findet Rhythmus in Baku nicht

"Es ist keine einfache Strecke. Deshalb ist es normal, dass man vielleicht ein paar mehr Runden braucht, um in den Rhythmus zu kommen", erklärte Vettel selbst. "Heute Morgen waren wir nicht gut beieinander. Am Nachmittag war es schon sehr viel besser, ich hatte mehr Vertrauen ins Auto. Auch wenn anfangs der Rhythmus nicht ganz da war, zum Schluss war es dann deutlich besser."

Genau davor hatte Vettel noch am Donnerstag gewarnt: Man müsse den Rhythmus in Baku schnell finden, bevor es zu spät ist, so der WM-Führende. "Im Longrun hatte ich mehr Rhythmus", erklärte er aber. Also doch noch rechtzeitig?

Am interessantesten sind die Longruns auf Ultrasoft - auf der Mischung fuhren alle. Und hier war Vettel tatsächlich schon viel näher dran am Teamkollegen. Hier fehlte ihm nur noch eine Zehntel auf den Iceman. Allerdings fehlten dem wiederum fünf Zehntel auf Red Bull und knapp drei Zehntel auf Mercedes.

Longruns auf Ultrasoft

FahrerReifen-AlterStint-LängeDurchschntl. Rundenzeit
Verstappen15 Runden5 Runden1:47,076
Hamilton18 Runden3 Runden1:47,309
Räikkönen14 Runden5 Runden1:47,571
Ricciardo15 Runden6 Runden1:47,609
Vettel17 Runden5 Runden1:47,665
Bottas13 Runden10 Runden1:48,249
Alonso17 Runden7 Runden1:48,786

Am schnellsten auf den Ultrasofts war Max Verstappen. Der zuletzt vielgescholtene Niederländer war damit auch deutlich schneller als Teamkollege Ricciardo. Die Überraschung ist aber Lewis Hamilton. Er fuhr nur gut zwei Zehntel langsamer als Verstappen. Allerdings war sein Dauerlauf auch der kürzeste aller Top-Piloten.

Valtteri Bottas im zweiten Silberpfeil fuhr deutlich langsamer. Jedoch ist nicht ganz klar, was Mercedes mit dem Finnen machte. Als einziger Top-Pilot ging er nur auf einer Reifenmischung auf die Longruns. Zudem legte er auf seinem Ultrasoft-Run einen kurzen Boxenstopp ein. Seine Zeiten sind deshalb mit Vorsicht zu genießen.

Und was ist eigentlich mit Fernando Alonso? Auf eine Runde schien der McLaren-Pilot an Mercedes dran zu sein. Und wenn McLaren schon auf eine Runde dran ist, was würde dann erst im Rennen passieren - da sind die Briten tendenziell viel stärker einzuschätzen. Das Team selbst relativierte jedoch: Alonso bekam auf seiner schnellsten Runde Windschatten. Die Longruns zeigen auch deutlich, dass McLaren noch viel fehlt. Mercedes muss sich also zumindest von weiter hinten keine Sorgen machen.

Longruns auf Supersoft

FahrerReifen-AlterStint-LängeDurchschntl. Rundenzeit
Verstappen12 Runden3 Runden1:45,850
Ricciardo20 Runden8 Runden1:46,271
Vettel21 Runden11 Runden1:46,795

Auf Supersoft und Soft gibt es weniger relevante Daten als auf Ultrasoft. Interessant: Red Bull splittete als einziges Team die Arbeit nicht, Ricciardo und Verstappen fuhren nur Supersoft, keine Soft. Verstappens Run war wegen eines Sensorproblems deutlich kürzer, deshalb quasi irrelevant. Ricciardo fuhr allerdings auf seinem Longrun eine halbe Sekunde schneller als Vettel.

Longruns auf Soft

FahrerReifen-AlterStint-LängeDurchschntl. Rundenzeit
Hamilton13 Runden5 Runden1:46,817
Räikkönen19 Runden7 Runden1:47,071

Auf Soft bleiben nur Räikkönen und Hamilton übrig. Beide bewegten sich in ähnlichen Regionen. Hamilton war am Ende zwei Zehntel schneller, dafür war er inkonstanter. Generell zeigt sich aber das übliche Bild: Je härter der Reifen, desto besser der Mercedes. Oder je weicher der Reifen, desto schlechter der Mercedes.

Vettel nach Freitag in Baku noch nicht abschreiben

Auch wenn es vorne nach dem Freitag recht deutlich aussieht, Max Verstappen mahnte schon am Donnerstag: "Wir müssen im Training schon ein paar Zehntel vorne sein, um im Qualifying wirklich mit ihnen kämpfen zu können." Stichwort Power-Modus. Der dürfte auf der langen Geraden von Baku besonders viel ausmachen. Doch Red Bull könnte tatsächlich auch im Qualifying eine Chance haben.

Und wenn nicht im Qualifying, dann auf jeden Fall im Rennen. "Da können sich nicht immer ihren Power-Modus nutzen, dann sind wir konkurrenzfähiger", weiß Verstappen. Dass Daniel Ricciardo beim Topspeed deutlich schneller war als die Mercedes- und Ferrari-Konkurrenz, kann man getrost auf den Windschatten schieben.

Übrigens sollte man auch Vettel nach seinem schwachen Auftakt in Baku nicht abschreiben: Schon an den ersten Rennwochenenden machte der Deutsche am Freitag einen schwächeren Eindruck, Räikkönen führte im Ferrari-Duell meist bis zum Qualifying. In Bahrain und China kam Vettel aber just in dem Moment zurück, als es zählte.