Wie konnte das passieren? Das fragten sich am Sonntagabend sicherlich viele. Daniel Ricciardo hatte das Formel-1-Rennen in China gewonnen, nachdem es gut 26 Stunden zuvor noch so aussah, als würde er gar nicht erst ins Qualifying starten können. Sebastian Vettel wurde am Ende nach einer Kollision mit Max Verstappen nur Achter, aber auch ohne den Unfall wäre er wohl bestenfalls Dritter geworden. Wie konnte das also passieren?

Einen kleinen Teil kann man womöglich mit dem Qualifying-Ergebnis erklären. Motorsport-Magazin.com fragte die beiden Ferrari-Piloten nach ihren überlegenen Bestzeiten, ob man möglicherweise zu sehr auf eine schnelle Runde setzte, statt das Auto auf das Rennen abzustimmen.

Während bei Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen Kopfschütteln angesagt war, der Finne sogar anzweifelte, dass so etwas überhaupt jemals funktionieren würde, glaubte man bei Mercedes selbst an diese Theorie.

Ferrari im Rennen nicht mehr überlegen

Und tatsächlich schien etwas dran zu sein. Denn Vettel konnte den enormen Performance-Unterschied vom Qualifying im Rennen nicht bestätigen. Der Ferrari-Pilot setzte sich nach dem Start nicht besonders weit von Valtteri Bottas ab. In Runde 15 fuhr der Silberpfeil noch 3,8 Sekunden hinter Vettel, in den nächsten Umläufen konnte Bottas sogar wieder eine Zehntel pro Runde gutmachen.

Das hätte für Ferrari ein alarmierendes Zeichen sein müssen: In Runde 19 bog Bottas nämlich zum Boxenstopp ab, zu diesem Zeitpunkt lag er genau 3,1 Sekunden hinter Vettel. Ab diesem Zeitpunkt lang es in den Händen von Sebastian Vettel und der Boxencrew.

Doch weder Vettel, noch die Boxencrew konnten liefern. Die Inlap des Ferrari-Piloten eine Runde nach Bottas' Stopp war rund vier Zehntel langsamer als die des Finnen, die Boxendurchfahrt dauerte eine ganze Sekunde länger. Währenddessen setzte Bottas auf den frischen Medium-Reifen absolute Sektorbestzeiten, nahm Vettel allein im Mittelsektor 1,5 Sekunden ab.

Übersicht der Boxenstopps der Top-Teams beim China GP 2018

RundeFahrerReifen altReifen neu
17VerstappenUltrasoftMedium
17RicciardoUltrasoftMedium
18HamiltonSoftMedium
19BottasSoftMedium
20VettelSoftMedium
27RäikkönenSoftMedium
31VerstappenMediumSoft
31VerstappenMediumSoft

Genug, um hauchdünn vor Vettel rauszukommen. Ferraris Boxenstopp war allerdings nicht besonders langsam, Mercedes fertigte Bottas nur unfassbar schnell ab. "Wir wussten, dass es klappen könnte, es war perfektes Timing vom Team", lobte Bottas. "Ich glaube, das war der schnellste Boxenstopp, den ich je mit dem Team hatte." Bottas' Stopp war mit 2,15 Sekunden der schnellste des Rennens. Ferrari brauchte bei Vettel 2,87 Sekunden, landete damit auf Rang 13 von 30.

Während Mercedes damit rechnete, dass der Undercut klappen könnte, wurde Vettel eiskalt erwischt: "Wir waren uns ziemlich sicher, dass wir davor rauskommen. Das müssen wir uns nochmal ansehen." Nach den Fehlern in Australien und Bahrain von Mercedes, steht es nun 2:1 nach Fehlkalkulationen zwischen Ferrari und den Silbernen.

Räikkönen leistet Vettel Schützenhilfe

Vettel machte hinter Bottas den Eindruck, schneller zu können. Aber nicht schnell genug, um überholen zu können. Und hier kam der zweite Ferrari ins Spiel. Weil man sich zuvor schon von Daniel Ricciardo und Lewis Hamilton undercutten ließ, gab es bei Kimi Räikkönen nicht mehr viel zu verlieren. Die Plätze an Hamilton und Ricciardo waren ohnehin schon weg.

Ferrari ließ Räikkönen so lange draußen, bis er behilflich werden konnte - nämlich als Vettel und Bottas auf ihn aufliefen. Zuerst versuchte es Bottas in der Spitzkehre etwas unbeholfen, so dass Vettel fast die Gunst der Stunde hat nutzen können. Als er dann in der Schneckenkurve an Räikkönen vorbeiging, hatte Vettel nochmal die Chance, konnte aber keinen Stich gegen Bottas machen.

Aller Voraussicht nach wäre das Rennen an der Spitze wohl so zu Ende gegangen. "Meine Reifen sind am Ende nicht eingebrochen, deshalb glaube ich schon, dass ich Sebastian hinter mir hätte halten können", meint auch Bottas selbst.

Rennleitung wartet mit Safety-Car zu lange für Bottas und Vettel

Wäre da die verhängnisvolle Kollision der beiden Toro-Rosso-Piloten in Runde 29 nicht gewesen. Die Rennleitung wollte zunächst versuchen, die Trümmer ohne Safety-Car bergen zu lassen. Vier Teams allerdings - ein ganz normaler Vorgang übrigens - meldeten sich bei der Rennleitung und empfahlen, das Safety-Car rauszuschicken. So sah es letztendlich auch die Rennleitung, nachdem es im Verkehr keine größeren Lücken gab, um die Marshalls sicher auf die Strecke schicken zu können.

China GP 2018, Ausgangslage vor Safety-Car Runde 29:

PositionFahrerReifenRückstand [s]
1BottasMedium, 10 Runden
2VettelMedium, 9 Runden+1,1
3VerstappenMedium, 12 Runden+6,6
4HamiltonMedium, 11 Runden+8,8
5RicciardoMedium, 12 Runden+13,3
6RäikkönenMedium, 2 Runden+25,0

Pech für die beiden Führenden Bottas und Vettel: Just in dem Moment, als sie an der Boxeneinfahrt vorbei waren, wurde das Safety-Car ausgerufen. Das Führungs-Duo fuhr noch die Start-Ziel-Gerade im VSC-Speed, schon wartete dort Bernd Mayländer im AMG GTR auf sie.

Alle anderen Piloten hatten die Wahl: Entweder noch einen Boxenstopp machen und dann hinter dem Feld einreihen oder ohne Reifenwechsel einreihen. Max Verstappen auf Platz drei entschied sich dafür, frische Soft-Pneus zu holen. Teamkollege Daniel Ricciardo tat es ihm gleich, Red Bull exekutierte zum zweiten Mal in diesem Rennen einen perfekten Doppel-Boxenstopp.

Mercedes und Ferrari reagieren zu langsam

Lewis Hamilton, zu diesem Zeitpunkt im Red-Bull-Sandwich, kam nicht an die Box. Im Nachhinein stellte er die Strategie in Frage - doch auch er selbst hätte die Möglichkeit gehabt, Initiative zu ergreifen. Mercedes entschied sich gegen den Stopp, weil man Track-Position für wichtiger hielt. Man hatte schließlich zuvor gesehen, dass Hamilton auf gleichen Reifen nicht an Verstappen vorbeigekommen war.

Auch bei Ferrari entschied man sich gegen einen Stopp. Vettel war ohnehin schon durch, Räikkönen erst zwei Runden zuvor gekommen. Auch das sollte sich später als die falsche Entscheidung herausstellen. Denn bei seinem Stopp durfte Räikkönen die Soft-Reifen nicht aufziehen, wenn er mit einem Stopp durchkommen wollte, weil er die Softs schon im ersten Stint gefahren war.

Durch den fast kostenlosen Safety-Car-Stopp - Räikkönen wäre beim Restart auf Position sechs statt fünf gewesen - hätte der Finne wieder auf die schnelleren Soft-Reifen wechseln können. Eine verpasste Chance.

China GP 2018, Ausgangslage Restart Runde 35:

PositionFahrerReifenRückstand
1BottasMedium, 16 Runden
2VettelMedium, 15 Runden+1,0
3HamiltonMedium, 17 Runden+1,7
4VerstappenSoft, 4 Runden+2,4
5RäikkönenMedium, 8 Runden+2,9
6RicciardoSoft, 4 Runden+3,9

Trotzdem war die Ausgangsposition nach dem Restart nicht die schlechteste für Räikkönen: Sein Rückstand auf die Führenden war egalisiert, er hatte deutlich frischere Reifen als Vettel, Bottas und Hamilton. Nur die Red Bulls sahen noch besser aus, weil sie frische Softs aufgeschnallt bekamen.

Ricciardo-Show beginnt in Runde 36

Die Ausgangslage für die letzten 21 Runden war perfekt: Die Fahrer mit den besten Reifen waren am Ende der Spitzengruppe. Auch wenn es die erste Rennhälfte nicht unbedingt zeigte, der Shanghai International Circuit ist durchaus eine gute Rennstrecke, die zum Überholen einlädt.

Und so kam es, wie es kommen musste: Die beiden Red Bulls machten einen Marsch durchs Feld. In Runde 36 ging Ricciardo schon an Räikkönen vorbei, war nun auf Platz fünf. Währenddessen biss sich Verstappen noch die Zähne an Hamilton aus, übertrieb es in Runde 38 und musste Ricciardo ziehen lassen. Ricciardo vier, Verstappen fünf. Von nun an fuhren die Red Bulls im umgedrehten Doppelpack nach vorne.

Die Szene des Rennens: Verstappen schießt Vettel ab, Foto: Sutton
Die Szene des Rennens: Verstappen schießt Vettel ab, Foto: Sutton

In Runde 39 machte es Ricciardo besser als zuvor Verstappen und zog an Hamilton vorbei, in Runde 41 gelang es nun auch Verstappen. Gleichzeitig schnappte sich Ricciardo Vettel für Rang zwei. Ein Runde später übertrieb es Verstappen erneut - diesmal aber deutlich. Beim Versuch, ebenfalls an Vettel vorbeizugehen, schoss er den Ferrari-Piloten in der Spitzkehre ab.

Vettel wurde bis auf Rang sieben hinter Nico Hülkenberg durchgereicht, verlor am Ende wegen eines beschädigten Autos und schlechter Reifen auch noch einen Platz an Fernando Alonso und wurde nur Achter. Verstappen hingen fiel wieder zurück auf Rang fünf und musste sich noch einmal an Hamilton vorbeikämpfen, was allerdings hinfällig wurde, weil er wegen seiner 10-Sekunden-Strafe wieder zurück auf Rang fünf fiel.

Ricciardo hingegen hatte nach seinem Überholmanöver gegen Sebastian Vettel nur noch einen vor sich: Valtteri Bottas. In Runde 44 war dann auch der Mercedes-Pilot fällig, Ricciardo machte seinem Ruf des Spätbremsers einmal mehr alle Ehre und setzte sich in der ersten Spitzkehre aggressiv daneben. Bottas machte auf, ließ Ricciardo passieren.

China GP: Red Bull zeigt 2018 erstmal wahre Rennpace

Weil Ricciardo und Verstappen als erste Top-Piloten zum Stopp kamen, hatten sie die ältesten Reifen der Top-Piloten drauf. Deshalb bot sich der Stopp beim Safety-Car besonders an. Aber: Erstmals in dieser Saison war Red Bull auch in der Lage, den Rennspeed zu zeigen. Selbst auf älteren Medium-Reifen knabberten Verstappen und Ricciardo vor der Safety-Car-Phase am Vorsprung von Bottas. Nur Glück war es am Ende also nicht, dass Ricciardo ganz oben stand.