Das erste Rennen der Formel-1-Saison 2018 nahm in Australien mit dem Sieg von Ferrari-Pilot Sebastian Vettel einen unerwarteten Ausgang. Vor allem einer hätte nicht damit gerechnet, dass vor ihm ein Bolide aus Maranello über den Zielstrich fährt: Lewis Hamilton hatte das Rennen im Mercedes lange in der Hand, doch das Glück war nicht auf seiner Seite. Der Weltmeister zeigte sich nach der Niederlage fassungslos.

Bis zur Rennmitte sah Hamilton nach einem gewonnenen Start mehr oder weniger wie der sichere Sieger im Albert Park aus. Doch als Vettel in Runde 26 die VSC-Phase für seinen Boxenstopp nutzte und vor dem Mercedes-Piloten wieder zurück auf die Strecke kam, verstand der die Welt nicht mehr. "Ich war fassungslos. Von diesem Moment an bis zum Schluss. Es war einfach Fassungslosigkeit", beschrieb Hamilton seine Gefühlslage nach dem Verlust der Führung.

Die Strategie-Software von Mercedes hatte sich offenbar verkalkuliert, sodass Vettel nach seinem Reifenwechsel hauchdünn vor Hamilton aus der Box kam. "Ich kam die Gerade herunter und in der letzten Minute wurde mir gesagt, dass der Ferrari rauskommt. Ich wusste nicht einmal, dass er drin war", führte Hamilton aus, der in diesem Moment machtlos war. "Ich musste mich ja so oder so im Delta bewegen."

Dabei hätte es gar nicht so weit kommen müssen, denn im ersten Stint hätte es durchaus Luft nach oben gegeben, um eine solche Situation zu unterbinden. "Hätte ich gewusst, dass er in einem Fenster ist, wäre ich in der Lage gewesen, einen Unterschied zu machen", ist der Weltmeister überzeugt. "Ich hätte die Möglichkeit gehabt, beim ersten Stopp weiter vorne zu sein."

Hamilton: Hätte Vettel in Melbourne in Schach halten können

Hamilton kam in der 19. Runde, genau einen Umlauf nach Räikkönen, an die Box um einen möglichen Undercut des hinter ihm fahrenden Ferrari-Finnen zu verhindern. "Ich habe sehr auf meine Reifen geachtet und hätte durchaus noch weiterfahren können", so Hamilton, der ohnehin nicht Räikkönen als Hauptgegner auf dem Schirm hatte.

"Ich wäre gerne weitergefahren, denn in meinem Kopf kämpfte ich gegen Sebastian", erklärte er. Für ihn eine logische Konsequenz der Konstellation 2 gegen 1, in der er sich als einziger Mercedes zwei Ferraris gegenüber sah: "Wenn sie einen Fahrer an die Box holen, zwingen sie dich dazu, dich gegen einen Undercut zu schützen - aber der andere hat dann freie Bahn."

"Deshalb hatte ich im Kopf, dass ich auf den Abstand zu Platz drei schauen muss, denn das war der Fahrer, gegen den ich kämpfe." Teamchef Toto Wolff war sich dessen bewusst, dass sein Pilot die Pace gehabt hätte, um die Ferrari-Niederlage zu verhindern. "Ich denke, wir wären dazu in der Lage gewesen, den Vorsprung zu vergrößern", so der Österreicher.

Andererseits planten die Silberpfeil-Strategen logischerweise mit einem normalen Rennverlauf, weshalb die Eventualität einer Safety-Car-Phase bei dem Hamilton vorgegebenen Rhythmus keine Rolle spielte: "Lewis wusste, dass er mit dem Reifensatz bis ins Ziel fahren muss. Er fuhr nach seinen Zielvorgaben, ansonsten hätte er den nötigen Vorsprung wohl gehabt."

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Hamilton kam "ums Verrecken" nicht an Vettel vorbei

Schlussendlich musste Hamilton nach der verlorenen Führung versuchen, die Position auf der Rennstrecke wieder gutzumachen. "Ich war heiß drauf, mich zurückzukämpfen", so der 33-Jährige, der sich hinter Vettel in der DRS-Zone die Zähne ausbiss: "Es war so, als ob mein bester Freund an einer Klippe hängen würde und ich alles gab, um ihn zu retten - aber ich schaffte es nicht. Es war heute so schwer hier zu überholen, ich hätte es ums Verrecken nicht geschafft."

Vettel und Hamilton zogen an der Spitze sofort von ihrem Verfolger Räikkönen weg. Hamilton machte Druck und war Runden lang formatfüllend im Spiegel des Ferraris unterwegs - allerdings mit Reifen-Nachteil. "Ich hatte ältere Reifen, er brandneue", so Hamilton, der sechs Runden früher von Ultrasoft auf Soft gewechselt hatte.

Was nach Schlagdistanz aussah, ließ dennoch keinen ernsthaften Überholversuch zu. "Es war wie bei zwei Magneten, die du an einem bestimmten Punkt nicht mehr weiterbewegen kannst", beschrieb er. "Du brauchst hier einen Vorteil von 1,8 Sekunden pro Runde oder sowas irres, um jemanden überholen zu können."

Der Straßenkurs in Melbourne ist ohnehin nicht als Mekka der Überholmanöver bekannt. Doch dieser Umstand war nicht der einzige Grund, weshalb es Hamilton einfach nicht gelingen wollte. "In den Kurven holte ich auf und auf der Geraden zog er weg. Ich hatte das DRS offen aber er war genauso schnell", so der Brite.

Hamilton hat ein Einsehen: Australien-Sieg war das Risiko nicht wert

In Runde 47 verbremste sich der Mercedes mit der Startnummer 44 eingangs von Turn 9. "Ich habe versucht, den Druck aufrecht zu erhalten. An einem Punkt habe ich ein paar Fehler bei ihm gesehen, aber als ich näher kam, hatte ich dann selbst einen Verbremser und ging weit", erklärte Hamilton die Situation.

Der Fehler kostet ihn rund zwei Sekunden, die er daraufhin in wenigen Runden wieder gutmachte. "Ich hatte nicht mehr so viele Runden, meine Reifen waren am Ende und ich fuhr weiter 110 Prozent. Ich riskierte alles für diese sieben Punkte", so der viermalige Weltmeister, der sich schlussendlich dazu entschied, den Sieg aufzugeben.

"Letztendlich musste ich eine vernünftige Entscheidung treffen. Die WM ist noch lang und wird nicht in einem Rennen gewonnen." Abgesehen davon bekam Hamilton auf seiner kompromisslosen Jagd nach dem Rivalen noch ein ganz anderes Problem: "Dann überhitzte auch noch der Motor und mit dem muss ich ja sieben Rennen oder am besten noch mehr machen."

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Platz zwei für Mercedes und Hamilton kein Weltuntergang

Trotz der Temperaturprobleme hielt Hamilton zunächst ans einer harten Gangart fest - auch ohne Freigabe des Teams. "Ich fragte sie im Funk, ob ich gegen ihn kämpfen kann. Aber sie brauchten etwas lange, es kam keine Antwort. Also habe ich entschieden, weiter alles zu geben. Ich pushte und dachte mir, dass ich einfach so weitermachen muss. Aber gleichzeitig hatte ich Angst, dem Motor Schaden zuzufügen."

Letztendlich siegte auch hier die Vernunft des Routiniers. "Eigentlich geht das gegen meinen Racing-Spirit. Ich will immer bis zum Zielstrich kämpfen. Aber so wie der Sport heute ist, mit Spritsparen und all diesen Dingen, nur noch drei Motoren, kannst du das nicht. Du musst dir über diese Dinge Gedanken machen und es sein lassen. Ich will meine Saison mit drei Motoren beenden und keinen vierten einsetzen müssen", führte er aus.

Letztendlich kann Hamilton trotz der Enttäuschung über den verlorenen Sieg gut mit der Ausbeute beim Saisonauftakt leben. "Wir sind heute immer noch Zweiter geworden. Das fühlt sich wie eine dunkle Wolke über uns an, aber das ist es nicht. Es ist immer noch ein positives Ergebnis. Wir haben ein großartiges Auto und wir sind immer noch die Weltmeister. Mit ein paar Anpassungen können wir schon das nächste Rennen gewinnen", zeigte er sich optimistisch.

Hamilton: Ferrari noch besser als sie aussehen

Wenn in zwei Wochen der nächste Grand Prix im Mammut-Kalender an der Reihe ist, rechnet er aber umso mehr mit Ferrari. "Kimi fuhr fantastisch, er war das ganze Wochenende über schnell. Außerdem bin ich nicht überzeugt, dass Sebastian im Qualifying eine gute Runde gefahren ist. Ich denke, ihre Performance ist besser, als es im Quali aussah", so Hamilton.

Gerade Bahrain, so glaubt er, wird dem SF71H entgegenkommen: "Ferrari ist auf den Geraden sehr schnell, die werden beim nächsten Rennen richtig flott sein. Sie sind bei heißen Bedingungen immer gut, und auch wenn es ein Nachtrennen ist, ist es sehr hart für die Reifen. Es ist nicht so einfach und ich kann euch sagen, es wird eng."