Ferrari gewährt mit Charles Leclerc dem nächsten Piloten aus seinem Junior-Programm die Chance in der Formel 1. Bei Alfa Romeo Sauber soll sich der 20-Jährige seine Sporen in der Königsklasse verdienen. Das F1-Debüt in einem Team am Ende des Feldes stellt ihn vor eine unbekannte, neue Herausforderung. Doch der Monegasse will sie nutzen, wie es vor ihm schon einigen der angesehensten Piloten in der F1 gelang. Mit uns sprach er im Interview über die Erwartungshaltung vor seiner ersten Saison.

Charles, du stehst vor deiner ersten Saison in der Formel 1. Wie hast du den Winter vor diesem großen Schritt in deiner Karriere verbracht?
Charles Leclerc: Ich war Skifahren, ein bisschen trainieren ... das ist gut zum Saisonstart, weil es für einen Fahrer schlecht ist, ein paar Monate nicht zu fahren. Es fühlt sich gut an, zurück zu sein.

Gibt es zwischen Formel 1 und Formel 2 irgendeinen Unterschied bei der Vorbereitung?
Charles Leclerc: Nicht wirklich. Natürlich ist es in jeder Hinsicht ein Schritt vorwärts, also versuchst du dein Training so viel wie möglich voranzutreiben. Aber letztendlich habe ich mich immer in jeder Kategorie bis zum Maximum angetrieben, daher gehe ich an die Sache genau gleich heran: Ich mache so viel ich kann. Ein bisschen mehr Training für den Nacken, weil die Formel 1 den Nacken stärker beansprucht, aber ansonsten ändert sich wenig.

Wie sieht es mit den Armen aus? Du hast ja jetzt, anders als in der Formel 2, eine Servolenkung...
Charles Leclerc: Ja, von diesem Standpunkt aus ist es einfacher, aber für den Nacken ist es ziemlich anspruchsvoll.

Trainierst du mit Josef Leberer, dem Physio von Sauber?
Charles Leclerc: Nein, mit Andrea von Ferrari. Er ist der Trainer der Ferrari Drivers Academy.

So viel zur körperlichen Seite der Vorbereitungen - hast du dich auch mental vorbereitet?
Charles Leclerc: Ja, ich habe einen Mentaltrainer in Italien, der mir bei der Vorbereitung hilft. Er arbeitet auch mit der Ferrari Drivers Academy. Die Leute von dort unterstützen mich in diesem Jahr.

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Als wir vergangenes Jahr in Abu Dhabi gesprochen haben, war das Sauber-Cockpit noch nicht fix. Aber wir wussten: Wenn du in die Formel 1 kommst, dann wird es ein Team weiter hinten. Du meintest dann: Auch Fernando Alonso hat bei Minardi angefangen. Fühlst du dich jetzt ein bisschen wie Fernando Alonso?
Charles Leclerc: Nein, das würde ich nicht sagen. Natürlich denke ich, dass Alfa Romeo Sauber ein tolles Team ist, um in der Formel 1 anzufangen. Ich werde selbstverständlich auf das bestmögliche Ergebnis hinarbeiten, aber zuallererst ist hiermit ein Traum für mich wahrgeworden. Jetzt versuche ich mich zu verbessern und schaue was die Zukunft bereithält.

Es muss neu für dich sein, dass du 2018 wahrscheinlich keine Rennen gewinnen kannst, auch wenn du Top-Leistungen bringst. Ändert das für dich, wie du mental an die Sache herangehst? Wie bereitest du dich auf so etwas vor? Einige Fahrer in der Formel 1 sind ziemlich enttäuscht, wenn sie ihr Bestes geben aber kaum etwas erreichen können.
Charles Leclerc: Ich denke, mein persönliches Ziel ist immer das Gleiche: Ich will mein Bestes geben. Die Ergebnisse auf der Strecke sind natürlich etwas, das wir nicht wissen können, bevor wir mit dem Testen beginnen. Das habe ich noch nicht, aber wir werden hart daran arbeiten, uns über die Saison hinweg zu verbessern - das ist unser Hauptziel. Wir wollen uns so schnell und so viel wie möglich verbessern. Ich persönlich werde ich mich außerdem darauf konzentrieren, mich schnell an das Auto zu gewöhnen. Dann schaue ich mal, was passiert.

Hast du ein persönliches Ziel?
Charles Leclerc: Selbstverständlich. Ich will mich möglichst schnell ans Auto anpassen und möglichst viele Dinge lernen. Das ist eigentlich alles. Wie jedes Jahr versuche ich mich zu verbessern und will mit meiner Leistung auf der Strecke zufrieden sein.

Du willst also keine Zahlen vorgeben?
Charles Leclerc: Nein, nein. Das mache ich lieber nicht, weil es in der Formel 1 so schwer ist, irgendetwas vor dem ersten Rennen zu sagen. Dann erst siehst du wo du stehst und dann ist es vielleicht einfacher. Aber jetzt sage ich lieber noch nichts.

Leclerc erhält 2018 weiter Unterstützung von Ferrari, Foto: LAT Images
Leclerc erhält 2018 weiter Unterstützung von Ferrari, Foto: LAT Images

Kannst du die Beziehung zwischen dir und Ferrari erklären? Du bist immer noch Teil des Nachwuchsprogramms...
Charles Leclerc: Momentan bin ich Fahrer bei Alfa Romeo Sauber. Natürlich hat mir die Ferrari Academy bis hier enorm geholfen. Ich kenne auch noch viele Leute bei Ferrari und sie unterstützen mich, aber jetzt bin ich bei Alfa und muss mich nur auf meinen Job hier konzentrieren.

Aber die Verbindung zwischen dir und Ferrari sind noch immer da?
Charles Leclerc: Ja, natürlich. Die Ferrari Drivers Academy hat mir geholfen, hierher zu kommen. Jetzt sind sie sehr glücklich darüber, meinen Erfolg zu sehen. Ich habe auch immer noch Zugang zu ihrem Simulator. Das ist für mich immer eine große Hilfe.

Du erwähnt Simulatoren - Sauber hat keinen eigenen Simulator und soweit ich weiß haben die Sauber-Fahrer in der Vergangenheit den AVL-Simulator in Graz verwendet. Benutzt du den auch oder nur den von Ferrari?
Charles Leclerc: Momentan benutze ich nur den von Ferrari.

Der Teamkollege ist immer der erste Konkurrent, den du schlagen kannst. Das ist in der Formel 1 dasselbe wie überall. Ist das für dich diese Saison ein persönliches Ziel?
Charles Leclerc: Auf jeden Fall. Er ist der einzige Fahrer, mit dem ich mich vergleichen kann. Andererseits will ich mich wirklich auf mich selbst konzentrieren. Über die Jahre habe ich gelernt, dass ich zuvor vielleicht ein bisschen zu viel auf meinen Teamkollegen geschaut habe. Das hat mir nicht immer geholfen. Jetzt habe ich meinen Ansatz etwas verändert und konzentriere mich viel mehr auf mich selbst und versuche hier die beste Leistung zu bringen. Ich habe erkannt, dass ich mich viel schneller verbessert habe, wenn ich mich nur auf mich selbst konzentriert habe. So werde ich auch an diese Saison herangehen.

Du hast in deiner Karriere immer ziemlich klare Ziele gehabt, weil du von Ferrari kommst. Eines Tages willst du mit dem Team Weltmeister werden - so lautet wahrscheinlich das ultimative Ziel. Wenn du dorthin willst, reicht es, nur den Teamkollegen zu schlagen? Oder musst du deinen Teamkollegen zerstören, wie Fernando damals?
Charles Leclerc: Ich habe keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin. Ich glaube du kannst so etwas erst wissen, wenn du es geschafft hast. Ich werde einfach mein Bestes geben und dann werden wir sehen, wie es um meine Chancen steht. Aber ich muss mich zuerst auf diese Saison konzentrieren. Dann sehen wir, ob es reicht.

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Gibt es irgendetwas, das du in der Formel 1 schon gelernt hast? Natürlich bist du noch nicht lange hier, aber du hattest schon 2016 Freitagstrainings mit Haas und bist bei Ferrari immer nah dran gewesen...
Charles Leclerc: Ich glaube, es war sehr nützlich 2017 die Freien Trainings mit Sauber zu fahren. Ich habe das Team kennengelernt, das ist ziemlich wichtig. In einem Formel-1-Team sind so viele Leute involviert. Da ist es immer schwierig, die richtigen Ansprechpartner zu finden, wenn du ein Problem hast. Du verlierst deshalb immer ein bisschen Zeit, wenn du die Leute nicht kennst. Es gibt immer noch ein paar die ich nicht kenne, aber das kommt mit der Zeit. Zusätzlich sind da noch alle Abläufe, das ist in der Formel 1 auch anders. In der Formel 2 starten die Mechaniker das Auto für dich und du pushst dann für so viele Runden wie du eben musst. In der Formel 1 ist da viel mehr dahinter. Da gibt es viel mehr an das ich mich gewöhnen muss. Aber das sollte kein Problem sein.

Wie steht es um dein technisches Wissen?
Charles Leclerc: Natürlich gibt es in der Formel 1 sehr viel. Es gibt so viele Parameter und ich bin noch nicht mit allen vertraut. Aber ich bin sehr neugierig, was das betrifft. Ich bin sicher, dass ich diese Dinge schnell verstehen werde. Ich habe in den letzten zwei Monaten schon eine Menge gelernt. Wie das Team ein Auto fertigstellt, zum Beispiel. Ich bin sicher noch nicht bei 100 Prozent und ich habe noch viel zu lernen. Aber dafür bin ich auch hier und jetzt werde ich hart daran arbeiten, damit ich mit all den technischen Dingen vertraut bin.

Was ist der Unterschied zwischen einem Freitagsfahrer und einem Vollzeitfahrer? Fühlst du dich anders, kennst du mehr Knöpfe auf dem Lenkrad...
Charles Leclerc: Nicht wirklich. Ich fühle mich etwas mehr zu Hause. Letztes Jahr wurde ich wärmstens empfangen und das war super. Aber andererseits weißt du, dass du den Platz eines anderen Fahrers einnimmst. Das fühlt sich komisch an. Es fühlt sich an, als ob du den anderen Fahrer störst - das ist nicht so toll. Aber jetzt weiß ich, dass ich hier meinen Platz habe. Das fühlt sich wirklich gut an. Was die Knöpfe angeht, das war für mich letztes Jahr kein Problem. Aber ich war vielleicht noch nicht selbstsicher genug um alles zu machen. Dieses Jahr wird das aber kein Problem sein.

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Letztes Jahr in der Formel 2 warst du ein Meister im Reifen-Management. In der Formel 1 ist es etwas anders, weil Pirelli weggegangen ist von einem Reifen mit hohem Verschleiß. Glaubst du, dass du dadurch eine Stärke verloren hast?
Charles Leclerc: Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, es geht vor allem darum die Reifen zu verstehen. Und wenn ein Fahrer weiß, wie man die Reifen versteht, dann gibt es kein Problem beim Reifen-Management. Ich muss nur sichergehen, dass ich die Reifen möglichst schnell verstehe. Sobald ich das geschafft habe, gibt es keinen Grund, warum ich mit den Reifen in der Formel 1 nicht genauso gut umgehen kann. Letztes Jahr hat es etwas gedauert, bis ich mich daran gewöhnt habe - aber auch nicht zu lange. Hoffentlich kann ich sie dieses Jahr wieder schnell verstehen.

Also würdest du sagen, dass es nicht um den Fahrstil geht, sondern ums Verstehen der Reifen?
Charles Leclerc: Genau. Es geht um das Gefühl. Ich arbeite oft daran, dieses Gefühl zu bekommen und ich glaube, dass du das durch Fahrpraxis bekommst.

Wie würdest du deinen Fahrstil beschreiben?
Charles Leclerc: Nachdenklich. Geht das? Es klingt komisch, aber ich denke sehr viel während ich fahre. Ich versuche alles zu analysieren - was mache ich falsch, wie kann ich mich noch besser anpassen. Ich glaube nicht, dass es einen richtigen Fahrstil für irgendeine Serie gibt und ich glaube, dass es viele Stile fürs Qualifying gibt. Dort fährst du nicht so wie im Rennen. Das musst du verstehen und deinen Stil dann anpassen. Ich glaube, ich bin ziemlich gut im Nachdenken. Wir werden noch sehen, ob ich auch beim Anwenden davon im Auto gut bin.

Beim letzten Mal haben wir uns lange über deine Beziehung zu Jules Bianchi unterhalten. Er hat in deiner Geschichte eine große Rolle gespielt. Würdest du sagen, dass du mit diesem Sauber-Vertrag das vollendest, was er nicht mehr konnte? Er hatte zum Zeitpunkt seines Unfalls schon den Sauber-Vertrag. Du kannst jetzt machen, wozu er nie die Chance bekam.
Charles Leclerc: Natürlich, es ist toll für mich. Ich versuche selbstverständlich das Beste zu machen, aber ich glaube es ist noch nicht erfüllt. Vielleicht wenn ich eines Tages Formel-1-Weltmeister bin, dann ist die Mission erfüllt.

Ich muss dich zum Halo befragen, denn du hast einen Freund im Motorsport verloren. So viele sehen heute die Gefahr in der Formel 1 nicht mehr. Was denkst du?
Charles Leclerc: Ich war da natürlich sehr nahe dran. Also kenne ich den Grund, warum Jules heute nicht mehr hier ist. Ich glaube nicht, dass der Halo etwas geändert hätte. Optisch bin ich auch kein großer Fan. Wenn die FIA sagt, dass es in Sachen Sicherheit ein Schritt nach vorne ist, dann von mir aus. Aber wir werden sehen. Vielleicht finden sie in Zukunft etwas, das ein bisschen besser aussieht. Das wäre gut.