2014 erwachte die Formel 1 aus der Steinzeit der Motorentechnik. Und wie gewaltig sie erwachte. "Der Motor ist Geschichte, lang lebe die Power Unit" - mit diesem Satz läutete Mercedes einst eine neue Ära in der Formel 1 ein. Bis dahin fuhr die Königsklasse des Motorsports mit 2,4 Liter V8-Motoren, unterstützt von einem 60 Kilowatt starken KERS. In Anbetracht dessen, was zu dieser Zeit in der Automobilindustrie und dem Straßenverkehr passierte, war die Formel 1 out.

Downsizing war längst kein Modewort mehr, sondern absoluter Alltag. Immer strengere Emissionsgrenzwerte zwangen die Automobilhersteller dazu, kleinere Motoren zu bauen - bei mindestens gleichbleibenden Fahrleistungen wohlgemerkt. Die Formel 1 sollte nun nachziehen, zumindest wenn es nach dem Willen der involvierten Hersteller und der FIA ging. Dem kommerziellen Rechteinhaber in Person von Bernie Ecclestone und den Privatteams war die geplante Motorenrevolution hingegen von Anfang an ein Dorn im Auge. Doch die Allianz aus Herstellern und dem Automobilweltverband setzte sich durch. Zwar konnte die Revolution um ein Jahr auf 2014 verschoben werden, doch dann überrollte sie die Formel 1 umso heftiger.

Die Power Unit: Ein Monstrum von Technik. Der Verbrennungsmotor ist zwar noch immer Herzstück des Antriebs, allerdings ist er nur noch Teil des Ganzen. Dazu gehören zwei Energierückgewinnungssysteme, ein Turbolader und eine gewaltige Batterie. Das KERS der V8-Motoren wurde auf die doppelte Leistung hochgezüchtet: 120 Kilowatt, also gut 160 PS stemmen seither auf die Kurbelwelle. Aus KERS wurde MGU-K.

Mercedes hatte in der Hybrid-Ära immer die Nase vorne, Foto: Mercedes-AMG
Mercedes hatte in der Hybrid-Ära immer die Nase vorne, Foto: Mercedes-AMG

Im Vergleich zu ihrem Vorgänger darf die Motor Generation Unit - Kinetic nicht nur 400 Kilojoule pro Runde verbrauchen, sondern 4 Megajoule, anders ausgedrückt 4.000 Kilojoule oder die zehnfache Menge an Energie wie zuvor. Dazu gibt es noch ein zweites Energierückgewinnungssystem, die MGU-H. Dabei handelt es sich um ein Bauteil, das direkt mit dem Turbolader verbunden ist. Im hohen Drehzahlbereich bremst die Motor Generation Unit - Heat den Turbolader und erzeugt somit elektrische Energie, im unteren Drehzahlbereich beschleunigt die MGU-H den Turbolader. Die MGU-H ist die eierlegende Wollmilchsau der Technik: Sie ist E-Motor und Generator zugleich, regelt den Ladedruck des Turboladers und sorgt für sensationelle Effizienz. Dank der MGU-H ist es den Ingenieuren gelungen, den Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors auf über 50 Prozent zu katapultieren.

So faszinierend die Technik der Power Units ist, so umstritten ist sie auch. Der erste Test im Winter 2014 in Jerez de la Frontera ließ viele erschrocken aus der Pause erwachen. "Batterien gehören ins Handy", wütete Sebastian Vettel nach den ersten Testfahrten. Ein Satz, der vielen Fans aus der Seele sprach. Der Sound der neuen Motoren war nicht annährend vergleichbar mit den hochdrehenden Saugmotoren. Die Benzindurchflussgrenze von 100 Kilogramm pro Stunde bei 10.500 Umdrehungen pro Minute sorgt dafür, dass die Drehzahlen nicht einmal annährend an das eigentliche Limit von 15.000 Umdrehungen gehen. Alles über der Grenze von 10.500 Umdrehungen wäre mit Verlusten verbunden. Die nimmt man nur in Kauf, um beim Schalten nicht zu sehr an Drehzahl zu verlieren.

Die Power Units sind extrem komplex geworden, Foto: Sutton
Die Power Units sind extrem komplex geworden, Foto: Sutton

Doch die Drehzahl selbst ist nicht das große Problem: Ausgerechnet die eierlegende Wollmilchsau MGU-H nimmt den Fans die Freude an der Akustik. Sie bestimmt über die Menge der rekuperierten Energie die Drehzahl des Turboladers. Sie schluckt damit den typischen Turbo-Sound. "Wenn ich Lärm machen will, kostet das Effizienz", bringt Motoren-Papst Mario Illien das Problem ganz profan auf den Punkt. Dabei gab es zu Beginn noch einen zusätzlichen Fehler im Reglement: Die Turbo-Bypässe, die sogenannten Wastegate-Rohre, mussten nach dem Turbolader wieder im zentralen Hauptrohr münden.

Wenn die Wastegate-Ventile offen waren - was wegen der Regelfunktion der MGU-H ohnehin kaum noch vorkommt - wurden die energiereichen Abgase akustisch vom Hauptrohr unterdrückt. Inzwischen gibt es neben dem zentralen Hauptrohr vorgeschriebene Wastegate-Röhrchen. Aber weil die Ventile nach wie vor selten geöffnet sind, ist der Sound zwar etwas besser, aber noch immer mau. Auch Versuche mit einem Trompeten-Auspuff den Klang zu verbessern, scheiterten kläglich.

Die MGU-H ist aber nicht nur Schuld am Klang. Sie macht die Power Units erst so kompliziert, wie sie sind. Zum einen ist die Steuerung der einzelnen Komponenten entscheidend: Wie sieht der Energiefluss aus, wann rekuperiert der elektrische Turbo, wann treibt er an? Woher kommt die Energie, die die MGU-H antreibt? Direkt aus der MGU-K oder aus der Batterie? Das Energiemanagement wird von Strecke zu Strecke Rundenzeit-optimiert. Doch die MGU-H macht nicht nur den Energiefluss komplex: Sie hat auch einen direkten Einfluss auf den Verbrennungsmotor. Je nach Betriebszustand steigt oder sinkt der Abgasgegendruck. Das wiederum hat einen Einfluss auf die Verbrennung. Die muss speziell darauf abgestimmt sein. Deshalb haben einige Hersteller die größten Probleme mit dem Verbrennungsmotor, obwohl sie damit schon jahrzehntelange Erfahrung haben.

Besonders Honda kämpfte mit der Zuverlässigkeit der Antriebseinheiten, Foto: Honda
Besonders Honda kämpfte mit der Zuverlässigkeit der Antriebseinheiten, Foto: Honda

Die hohe Komplexität sorgt dafür, dass sich abgesehen von großen Automobilherstellern niemand an die Technologie herantraut. Mit Cosworth verlor die Formel 1 2014 den letzten unabhängigen Motorenhersteller. Dadurch sind Teams wie Red Bull und McLaren abhängig von den großen Werken, gegen die sie auf der Strecke kämpfen. Inzwischen gibt es zwar einen Notfallplan, der die Belieferung mit Power Units sicherstellt, doch optimal ist auch das nicht. Auch wenn Situationen wie 2015, als Red Bull gegen Ende der Saison ganz ohne Motorenpartner dastand, nicht mehr passieren können: Red Bull hat nach wie vor keine Chance, an konkurrenzfähige Power Units zu kommen.

Um die Performance-Schere etwas zu schließen, versuchte man sich 2017 an einer Leistungs-Angleichung. Bei bestimmten Teilen gibt es seither Beschränkungen bei Maßen und Gewichten, dazu wurde die Verwendung besonders teurer und ausgefallener Materialien eingeschränkt. Nach Analysen der FIA sollen sich nun drei der vier Hersteller bei der Performance innerhalb von drei Prozent bewegen. Nur Honda fällt extrem ab. Allerdings glauben nicht alle an die Richtigkeit dieser Simulation. Für Red Bull ist nach wie vor klar: Mit diesem Motor gibt es keinen Blumentopf zu gewinnen.

Mit der technischen Komplexität steigen natürlich auch die Kosten. Und die werden samt Entwicklungskosten auch an die Kunden weitergegeben. In den ersten Jahren zahlten Kundenteams rund 20 Millionen Euro für ihre Antriebe pro Saison. Das trieb einige fast in den Ruin. Als Konsequenz verpflichteten sich die Hersteller, die Kosten zu reduzieren. 2017 um eine Million Euro, 2018 um weitere drei Million. Doch noch immer sind die Power Units deutlich teurer als ihre V8-Vorgänger. Kundenteams zahlen das Marketing und die Entwicklung von großen Automobilherstellern.

Die Power Units leisten fast 1000 PS, Foto: Sutton
Die Power Units leisten fast 1000 PS, Foto: Sutton

Stärker als die 3,0-Liter V10-Motoren bis 2005, dabei aber nur halb so durstig. Was auf der einen Seite extrem eindrucksvoll ist, bringt auf der anderen Seite viele Probleme. Einige davon konnten zwar teilweise gelöst werden, vom Idealzustand der Formel 1 ist man aber noch ein ganzes Stück weg. Mit den Power Units scheint man nun an einer Grenze angelangt. Der Idealzustand soll spätestens 2021 wiederhergestellt sein. Die Formel 1 tüftelt hinter verschlossenen Türen bereits am nächsten Motorenreglement. Die Power Unit ist per Reglement noch bis einschließlich 2020 im Dienst. Die FIA hat aber bereits involvierte und interessierte Automobil- und Motorenhersteller und zu einem Treffen in Paris eingeladen, auch der neue kommerzielle Rechteinhaber durfte daran teilnehmen.

"Am besten wäre es, man würde auf V10- oder V12- Saugmotoren mit anständigem Lärm zurückgehen und koppelt diese mit einem Energierückgewinnungssystem wie KERS", wünscht sich Mario Illien. "Wir brauchen mehr Leistung, als wir es zu V8-Zeiten hatten und dazu bräuchte man ein ähnliches KERS, wie es heute im Einsatz ist. Es wäre für die Zuschauer spektakulär und es wäre auch kostengünstig." Doch der Wunsch des Schweizers und vieler Motorsportfans wird nicht erhört. "Das würde die Gesellschaft nicht akzeptieren", erklärt FIA Präsident Jean Todt. "Wir haben die Verantwortung, eine Organisation zu leiten, die von der weltweiten Gesellschaft beobachtet wird. Und diese globale Gesellschaft würde das nicht akzeptieren. Ich bin mir sogar sicher, dass, wenn wir zu den Motoren zurückkehren würden, die wir vor zehn Jahren hatten, viele Hersteller diesen Schritt nicht unterstützen würden. Ich bin überzeugt davon, dass mindestens drei von vier aussteigen würden."

Mercedes sagt Ende 2018 der DTM Adieu, steigt dafür ein Jahr später in der Formel E ein. Die Marschrichtung ist klar. Doch die Formel 1 wünscht sich einen Ruck in die andere Richtung. Und den wird es offenbar tatsächlich geben. Als Motorsport-Magazin.com Jean Todt zu Beginn des Jahres fragte, ob die 2021er Motoren zwangsläufig mindestens auf dem Effizienz-Niveau der aktuellen Triebwerke bleiben müssen, oder ob auch ein leichter Schritt zurück denkbar wäre, ließ sich der FIA Präsident noch nicht in die Karten blicken. Er wich der Frage aus. Inzwischen scheint es, als wäre der Automobilweltverband für einen solchen Schritt bereit.

Die Power-Units sind seit 2014 im Einsatz, Foto: Mercedes-Benz
Die Power-Units sind seit 2014 im Einsatz, Foto: Mercedes-Benz

Dafür muss die eierlegende Wollmilchsau und Problemkind MGU-H sterben. Illien weint ihr nicht hinterher: "Sie ist sehr komplex und teuer - und hat der Zuschauer etwas davon? Nein. Ist es straßenrelevant? Auch nicht." Zwar setzt Audi schon einen elektrischen Turbo in Serie ein, der allerdings treibt den Verdichter nur an, rekuperiert im Fahrbetrieb keine Energie. "Wir fahren auf der Straße fast ohne Last, da bringt der Turbolader nichts - also kann man auch keine Energie herausziehen", erklärt Illien. "Lastwagen fahren über lange Strecken relativ hohe Lasten, da gibt es bereits Turbolader mit Energierückgewinnung, aber auch dort ist der Einsatz fraglich."

Um Kosten zu sparen, soll der Formel-1-Antrieb der Zukunft auf den aktuellen Verbrennungsmotoren basieren. "Bei gleichbleibendem Hubraum kann man sicher einen Großteil übernehmen", glaubt Illien. Durch den Wegfall der MGU-H würde das Gesamtkonstrukt allerdings Leistung verlieren. Das Gegenteil soll aber passieren. Deshalb wird der 1,6-Liter V6-Motor wohl doppelt zwangsbeatmet. Mit dem Bi-Turbo lassen sich fast beliebige Leistungswerte erzielen. Es hängt an Ladedruck und Benzindurchfluss. Aber nicht nur die Leistung hängt davon ab, auch und vor allem die Kosten. "Wenn man hier keine Grenzen setzt, haben wir keine Kostenreduktion. Wenn man die Kosten runterbringen will, darf man die Entwicklung des Turbos nicht freigeben", mahnt Illien. Der Schweizer hat einen Motor nach diesem Prinzip bereits entwickelt. Seine Motorenschmiede Ilmor zeichnet sich für die Entwicklung des Indycar-Motors von Chevrolet verantwortlich. Eckdaten: 2,2 Liter V6 mit zwei Einheitsturboladern von BorgWarner. Aktuell sind die Einheitsteile noch Diskussionspunkt Nummer eins bei den Verhandlungen um die Motoren der Zukunft. Hersteller wie Mercedes hätten gerne mehr Spielraum bei der Entwicklung, kleine Motorenschmieden bevorzugen mehr Einheitsteile.

Weil die Indycar-Motoren nur rund 750 PS in der Spitze leisten, bräuchte die Formel 1 stärkere Aggregate. Einen Teil davon soll weiterhin die MGU-K liefern. Auch sie soll standardisiert werden und auf den aktuellen Systemen basieren. 163 Extra-PS für gut 30 Sekunden. Durch den Wegfall der MGU-H könnte dann auch die Nomenklatur des Kinetischen Energierückgewinnungssystems zur Normalität zurückkehren: KERS steht wieder in den Startlöchern. Ein Problem wird man mit dieser Lösung allerdings nicht los: das Gewicht. Durch die Einführung der Power Units stieg das Mindestgewicht der Autos von 642 auf 691 Kilogramm. Durch die neuen Chassis-Regeln liegt das Mindestgewicht aktuell sogar bei 728 Kilogramm. Gewichtstreiber Nummer eins ist noch immer die große Batterie - und die bleibt auch 2021 erhalten. Die Effizienz wird sinken, aber im erträglichen Rahmen, wie Experten erwarten. Somit bewahrt auch die FIA ihr Gesicht. Ist die Power Unit damit gescheitert? "Nein, nur für den Einsatz, den wir haben", bilanziert Illien. "Aber als Forschungsobjekt ist das natürlich extrem gut. Die Effizienz der Motoren ist super. Aber man kann es nicht bezahlen."

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