Kurze Hosen, dunkelblaue Regenjacke und ein entwaffnendes Lächeln im Gesicht. Daniel Ricciardo lässt sich selbst vom deutschen Schmuddelwetter nicht die sonnige Laune verderben. Als wir ihn im Juli 2012 in der Red Bull Energy Station zum Interview für Ausgabe 26 des Motorsport-Magazins treffen, hat der Australier gerade einmal seine ersten zwölf Monate in der Formel 1 hinter sich und steht noch in Diensten der kleinen Scuderia Toro Rosso. Das Interesse an ihm ist heute ungleich höher, schließlich sitzt fünf Jahre später ein mehrfacher Grand Prix-Sieger vor uns. Der Bartwuchs ist etwas dichter, die Farben und Logos auf seiner Team-Kleidung haben sich leicht verändert und statt auf der linken Seite sitzen wir nun auf der gegenüberliegenden Seite des Motorhomes - beim Haupt-Team Red Bull Racing. Ein Wechsel, den er damals noch brav herunterspielte.

Eins ist aber gleich geblieben: das ansteckende Lächeln in Daniels Gesicht. "Ich glaube schon, dass es typisch australisch ist", sagte er uns schon damals. "Wir sind ehrliche Menschen, sagen meistens, was wir denken. Es macht in meinen Augen keinen Sinn, mich anders zu geben, als ich tatsächlich bin." In so einer Rolle würde er sich einfach nicht wohl fühlen. "So lange es nichts Kontroverses ist, sage ich zu 99,9% auch das, was ich denke. Die Leute sollen mich kennen, wie ich bin." Das hat sich in all den Jahren seitdem nicht geändert. Ricciardo ist geblieben, wie er schon zu Beginn seiner Formel-1-Karriere war. Eine Seltenheit im Fahrerlager, in dem das Leben in einer eigenen, abgeschotteten Welt schnell abfärben kann.

Am Honigdachs aus Down Under perlte dieses Verhalten bislang ab, genauso wie das Pech, das seinem diesjährigen Auto teilweise anzuhaften scheint. Der 13. Formel-1-Bolide aus Milton Keynes scheint dem Sonnyboy aus Australien definitiv mehr Glück zu bringen als seinem niederländischen Teamkollegen Max Verstappen. Abgesehen von zwei Defekten in den ersten vier Saisonrennen bescherte der RB13 mit der Startnummer 3 seinem Fahrer bislang alles andere als Pech und Unglück. Frei nach dem Launch-Motto des Rennstalls "Lucky for some, unlucky for some" bedeutete dies in den meisten Fällen Glück für den einen Fahrer, Pech für den anderen...

Ricciardo gewährt Einblick in seinen Vorbereitungsraum (00:59 Min.)

MSM: Daniel, in dieser Saison habt Ihr leider selten direkt gegen Ferrari oder Mercedes gekämpft, deshalb interessiert uns der Kampf zwischen dir und Max besonders. In unserem letzten Interview solltest du entscheiden: Ist Max ein Wunderkind oder ein Bad Boy? Du sagtest Wunderkind, aber eine tickende Zeitbombe...
Daniel Ricciardo: Ach ja, hab ich das gesagt?

Ja! Wie denkst du jetzt darüber? Ist die Bombe hochgegangen?
Ich denke, er hat seinen Aufstieg sehr gut kontrolliert. Und er musste sich dieses Jahr mit etwas Pech auseinandersetzen, viel Frustration und vielen Rennen, die er nicht beendet hat. Ich denke, er hat das alles sehr gut weggesteckt. Er ist sehr gereift dieses Jahr. Wenn das alles letztes Jahr passiert wäre, wäre die Bombe vielleicht hochgegangen. Aber er ist in den letzten zwölf Monaten erwachsener geworden und er wirkt reifer. Ich denke, das war gut für ihn.

Mal weg von Max und den Begriffen Wunderkind oder Bad Boy. Wie würdest du dich selbst beschreiben?
Sexy und schnell. [lacht]

Die KollegINNEN hier im Fahrerlager würden dieser Aussage wohl sicher zustimmen...
Ich denke, ich bin der Sonntags-Spezialist! [lacht]. Früher nannte mich jeder den Qualifying-Spezialisten, aber jetzt bin ich der Sonntags-Spezialist. Ich habe das Gefühl, dass ich, wann immer ich eine Möglichkeit bekomme, alles mitnehme, was geht. Das ist wirklich eine Stärke von mir. Wenn es einen Sieg zu holen gibt, hole ich mir den Sieg. Wenn ein Podium zu holen ist, hole ich das Podium. Ich habe nie wirklich das Gefühl gehabt, eines davon verpasst zu haben. Es geht darum am Sonntagnachmittag, einfach nur einhundertprozentig da zu sein.

Würdest du sagen, das zieht sich wie ein roter Faden durch deine Karriere? Wenn wir uns an 2014 erinnern, war es exakt dasselbe, als du drei Siege geholt hast.
Ja es scheint so, besonders seit ich bei Red Bull bin. Seit 2014 war es eine wirkliche Qualität von mir. Ich denke, davor war es in meiner Karriere nicht der Fall. Ich hatte manchmal das Gefühl, abzureisen ohne alles mitgenommen zu haben. Das wollte ich ändern und seit 2014 habe ich am Sonntag wirklich alles abgeliefert.

Daniel Ricciardo ist vor allem an den Renntagen stark, Foto: Sutton
Daniel Ricciardo ist vor allem an den Renntagen stark, Foto: Sutton

Der Kampf zwischen dir und Max ist ziemlich interessant. Das Kräfteverhältnis schwankt von Wochenende zu Wochenende meist stark. Hast du eine Erklärung dafür?
Nicht wirklich. Ich habe dieses Jahr mit dem Setup des Autos wahrscheinlich etwas mehr zu kämpfen. Wenn es darum ging, das Auto dorthin zu bringen, wo ich glücklich bin, war es nicht so einfach. Ich verbringe viel Zeit damit, Dinge für mich anzupassen oder mich auf Probleme einzustellen. Ich habe damit gekämpft, mit dem Setup glücklich zu sein. Das hat von meiner Seite wohl mehr den Unterschied gemacht. Es hat eine Zeit gedauert, bis ich das in den Griff bekommen habe. Trotzdem ist es noch nicht ideal. Nach dem Qualifying in Spa habe ich mir beispielsweise gedacht: Wir haben etwas nicht richtig gemacht, wir hätten dieses oder jenes mit dem Auto machen müssen. Aber dann ist es zu spät. Ich muss einfach etwas weiter vorausdenken.

Wenn wir uns aber die reine Performance ansehen, sieht es so aus, als wäre Max öfter vor dir als umgekehrt. Würdest du sagen, die Setup-Probleme sind daran schuld?
Ich denke ja. Generell war er in den Meetings immer ziemlich zufrieden. Vielleicht sind es die breiteren Reifen und der höhere Anpressdruck. Ich hatte von Saisonbeginn an das Gefühl, dass da etwas war, das er von Natur aus bevorzugte und ich nicht. Dieses neue Auto passt mir von Natur aus nicht so gut wie ihm. Ich hatte deshalb das Gefühl, etwas härter arbeiten zu müssen, um mir das auszutreiben. Aber ja, ich muss weiterhin daran arbeiten. Ich bin zuversichtlich, dass ich es schaffen werde. Besonders am Sonntag weiß ich schon, was ich machen muss. Aber auf eine Runde muss ich noch etwas mehr Pace finden.

Kannst du erklären, wie du deinen Fahrstil darauf anpassen musstest?
Ja, es gab ein paar Rennen und Qualifyings in denen ich ein paar kleine Dinge fand, die mir halfen. Aber es ist empfindlich. Jede Strecke ändert sich, die Temperaturen, die Oberfläche. Das Auto scheint schneller dieses Jahr, aber es kommt mir empfindlicher vor. Vielleicht bin ich manchmal etwas zu empfindlich. Ich muss manchmal einfach damit klarkommen.

In welchen Bereichen macht sich das bemerkbar?
Wenn das Auto rutscht, versuche ich manchmal zu rund zu fahren. Aber manchmal könnte ich in diesem Fall einfach durchziehen und mich einen Dreck darum kümmern - denn die Reifen halten dieses Jahr länger. Vielleicht ist mein Reifenmanagement zu vorsichtig. Manchmal sollte ich einfach draufhalten und mir nicht so viele Gedanken machen.

Würdest du sagen, es ist das Gegenteil von 2013 auf 2014?
Ja, 2013 hatte ich JEV [Jean-Eric Vergne] als Teamkollegen. Oft war ich im Rennen wirklich smooth und dann am Ende des Rennens wurde ich immer besser und besser. Aber jetzt ist es manchmal fast das Gegenteil. Es hat sich sehr geändert, aber das ist wichtig. Ich muss mich weiter anpassen und den Dingen voraus sein.

Bei Toro Rosso musste sich Ricciardo mit Vergne auseinander setzen, Foto: Sutton
Bei Toro Rosso musste sich Ricciardo mit Vergne auseinander setzen, Foto: Sutton

Kann dir die Fahrzeugentwicklung auch dabei helfen? Red Bull hat das Auto über diese Saison extrem weiterentwickelt.
Ich weiß nicht. Nichts Besonderes eigentlich. Je besser das Auto wird, desto glücklicher werden wir. Zu Saisonbeginn war der Bereich sehr klein, in dem das Auto funktionierte. Ich hatte in Melbourne im Qualifying einen Dreher, in Baku habe ich auch einen Fehler gemacht. Das Limit dieses Autos zu finden war schwierig. Jetzt wird es besser und ich denke, das Limit auszubalancieren ist einfacher geworden.

Du hast JEV angesprochen. Du hattest danach mit Sebastian Vettel einen vierfachen Weltmeister als Teamkollegen und nun Max Verstappen - tickende Zeitbombe oder Wunderkind. Welcher Teamkollege war für dich die größte Herausforderung?
Ich denke, Max. JEV war manchmal auch sehr stark und Seb natürlich auch. Aber was die Konstanz angeht, ist Max der stärkste Teamkollege, den ich bisher hatte.

Nur in Bezug auf die reine Performance oder das ganze Paket?
Ich meine die reine Performance. Ich denke, was den puren Speed angeht, ist er schneller... oder einfach der schnellste Teamkollege, gegen den ich angetreten bin. Aber auch am Sonntag, sie haben da nicht alle immer die Pace, das die ganze Zeit abzuliefern. Aber er fährt auch in den Rennen gut. Im Moment hat er so ziemlich das komplette Paket.

In diesem Jahr nimmst du am Sonntag alles mit, was geht, letztes Jahr hattest du ein paar Mal richtig Pech. Euer Auto ist der RB13, der Slogan heißt: Lucky for some, unlucky for some (Glück für die einen, Pech für die anderen).
[lacht] Das haben sie wirklich verkackt! [lacht]

Ging für Ricciardo in die Hose: Red Bulls Launch-Slogan für 2017, Foto: Red Bull
Ging für Ricciardo in die Hose: Red Bulls Launch-Slogan für 2017, Foto: Red Bull

Du wurdest bei der Frage nach Glück und Pech bei unserem letzten Interview im vergangenen Jahr fast philosophisch. Du meintest, Glück ist etwas, das gar nicht existiert. Du musst nur sicherstellen, dass du kein Pech hast. Was hast du gemacht, um das Pech loszuwerden?
Nichts. Ich meine, es gibt nicht wirklich etwas. Alles was ich sagen kann, ist, dass ich eine gute Beziehung zu meinem Team habe. Selbst diese Dinge können wichtig sein. Am Ende des Tages stecken die Mechaniker sehr große Anstrengungen in das Auto und sie wollen, dass das wertgeschätzt wird. Und ich rede dabei jetzt nicht über Max. Ich sage nicht, was er macht oder nicht macht. Aber ich versuche immer, den Jungs zu zeigen, dass ich ihre Arbeit anerkenne und respektiere. Sie machen einen guten Job. Das bringt dir nicht wirklich das Glück, aber ich versuche alles richtig zu machen, um in einer guten Position zu sein. Melbourne war wirklich großes Pech für mich im Rennen, in Russland genauso und im Silverstone-Qualifying auch. Ich hatte es also auch, Max hatte es nur öfter am Sonntag. Er war dabei mehr im Rampenlicht, weil es in den entscheidenden Momenten passierte.

Wie wichtig ist Red Bull dir als Marke? Würdest du es bevorzugen, mit Red Bull Weltmeister zu werden oder ist es dir egal, mit welchem Auto du den Titel holst?
Natürlich würde ich es lieben, es mit Red Bull zu schaffen. Das würde auch bedeuten, dass es schneller passiert. Aber letztendlich ist es mein ultimatives Ziel, Weltmeister zu werden. Wenn man es nur schwarz und weiß sieht, ist der Titel das Ziel. Aber wenn ich mir das Team aussuchen könnte, wäre es Red Bull.

Verstappen und Ricciardo: Racing mit dem Wohnwagen in Spielberg (02:22 Min.)

Facts zu "Honey Badger" Daniel Ricciardo

Konstanz: Zugegeben, Ricciardos Rennen mögen nicht immer die auffälligsten sein. Aber der Australier ist ein Muster an Konstanz. Abgesehen von seinen sechs Ausfällen war seine schlechteste Platzierung 2017 ein sechster Platz in Brasilien. Zwischen Barcelona und Silverstone fuhr er sechs Mal hintereinander aufs Podium. Ricciardo ist ein echter Punkte-Garant.

Knipser: Der "Honey Badger" ist ein aggressives Tier. So wild ist Daniels Fahrstil nicht, doch wenn sich die Möglichkeit bietet, schlägt er eiskalt zu. So geschehen bei seinem Sieg in Baku oder den weiteren Podestplätzen, die er 2017 bereits gegen die deutlich stärkere Konkurrenz von Ferrari und Mercedes herausgeholt hat. Genauso war es schon 2014, als er drei Siege gegen die übermächtigen Silberpfeile einfuhr.

Humor: Jeder kennt die Grinsekatze des Fahrerlagers. Ricciardo hat stets ein Lächeln auf den Lippen, kommt einfach super sympathisch rüber. Seine Medienrunden strotzen nur so vor Witz und Charme. Stichwort: Shoey! Nur er bringt es fertig, Hollywood-Superstars wie Sir Patrick Stewart dazu bewegen, auf dem Podium Champagner aus seinem verschwitzten Rennschuh zu trinken...

Fazit

Schnell, konstant und eiskalt im Abschluss - dazu ein echter Sympathieträger. Daniel Ricciardo besitzt alle Eigenschaften für einen zukünftigen Champion und ist der Beweis dafür, dass man auch ohne "Arschloch"-Gen erfolgreich sein kann.

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