Lewis Hamilton dominierte den Auftakt zum Brasilien GP. In beiden Training-Sitzungen holte sich der nun viermalige Formel-1-Weltmeister die Bestzeit in Sao Paulo. Beide Male lag Mercedes-Teamkollege Valtteri Bottas nur wenige Tausendstel dahinter. Doch Ferrari und Red Bull mussten schon abreißen lassen. Sind Sebastian Vettel und Max Verstappen damit aus dem Rennen? Die Trainings-Analyse sagt: Nein.

Im 1. Freien Training sah die Mercedes-Konkurrenz kein Land. Eine halbe Sekunde brummte Hamilton Kimi Räikkönen auf Rang drei auf. Einmal mehr kamen die Silberpfeile mit der grünen Strecke am besten zurecht. Je mehr Grip auf der Strecke lag, desto besser kamen Red Bull und Ferrari in Schwung. Am Nachmittag fuhr Daniel Ricciardo immerhin auf zwei Zehntelsekunden an Hamilton heran, Vettel fehlten 0,360 Sekunden.

Doch Vettel hätte noch schneller gekonnt. "Die Vorderreifen wurden zu heiß, dadurch habe ich Untersteuern bekommen. In der letzten Kurve konnte ich dann erst später aufs Gas und habe auf der Geraden Zeit verloren. Da hätten wir noch ein paar Zehntel finden können", so Vettel selbst. Tatsächlich verlor der Ferrari-Pilot im letzten Sektor mehr als zwei Zehntel - bei lediglich 16 Sekunden Fahrzeit.

Doch auch Hamiltons Runde war nicht ganz perfekt. "Beide unserer Fahrer hatten Schwierigkeiten, eine Runde auf den superweichen Reifen zusammenzubekommen", erklärt Andrew Shovlin, Mercedes' Leitender Ingenieur an der Strecke. Die Addition der besten Sektoren ergibt bei Hamilton noch einmal eine Verbesserung um eine halbe Zehntel.

Auch bei Mercedes scheint die Reifentemperatur der bestimmende Faktor zu sein. "Leider halten die Reifen nicht sehr lange", meint Hamilton. "Deshalb hat man nur ein oder zwei Runden auf einem kurzen Run." Am Nachmittag stiegen die Asphalt-Temperaturen auf bis zu 55 Grad Celsius. Am Vormittag war es noch ein wenig kühler, weshalb sich die Mercedes-Piloten in Gegensatz zur Konkurrenz im 2. Training verschlechterten.

Mercedes fürchtet sich vor hohen Asphalt-Temperaturen in Brasilien

Doch die Prognosen für Sonntag sagen ähnlich heiße Temperaturen voraus. Mercedes zittert davor, denn eine hohe Asphalttemperatur bereitete in dieser Saison schon oftmals Probleme. Entgegen der Prognosen blieb es allerdings den gesamten Trainingstag sonnig, weshalb die Longrun-Daten repräsentativ für das Rennen sein sollten.

Bei den Longruns gibt sich ein interessantes Bild: Red Bull scheint auf dem Supersoft konkurrenzfähig, Ferrari auf dem Soft - Mercedes auf beiden. Der Medium wird von den Teams überhaupt nicht in Betracht gezogen.

Bei den hohen Temperaturen scheint der Soft-Pneu seine Vorteile ausspielen zu können. Im Gegensatz zum Supersoft-Reifen liegt beim Soft das Arbeitsfenster im hohen Temperaturbereich. Bei extremen Asphalttemperaturen und hohen Oberflächentemperaturen spiegelt sich das auch in den Longrun-Zeiten wider.

Mercedes zeigt schon die gesamte Saison über Top-Qualitäten auf der gelben Mischung. So verwundert es nicht, dass Hamilton mit durchschnittlich 1:12,6 Minuten den besten Longrun hinlegte. Sebastian Vettel fehlten auf diese Zeit schon fast vier Zehntelsekunden. "Wir sind noch nicht da, wo wir sein können", gesteht Vettel. "Wir müssen die Balancen ein bisschen besser hinbekommen."

Longruns auf Soft

FahrerTeamStint-LängeReifen-AlterZeit
HamiltonMercedes9 Runden16 Runden1:12,612
VettelFerrari4 Runden16 Runden1:12,993
BottasMercedes11 Runden20 Runden1:13,126
RicciardoRed Bull11 Runden21 Runden1:13,416
RäikkönenFerrari20 Runden29 Runden1:13,625
VerstappenRed Bull11 Runden19 Runden1:13,770

Bottas liegt in der Soft-Wertung auf Rang drei. Dem Finnen fehlen schon fünf Zehntel auf seinen Mercedes-Teamkollegen. Red Bull ist abgeschlagen. Daniel Ricciardo fehlen bereits acht Zehntelsekunden, Max Verstappen schon mehr als eine Sekunde.

Red Bull auf Supersoft-Reifen in Sao Paulo top

Auf dem Supersoft sieht die Welt anders aus. Das Arbeitsfenster der zweitweichsten Mischung liegt im niedrigeren Bereich. Das scheint Red Bull zu liegen. Verstappen drehte mit 1:13,1 Minuten den besten Longrun auf Supersoft. Lewis Hamilton muss sich mit 1:13,4 dahinter anstellen. Sebastian Vettel fehlt noch einmal eine Zehntelsekunde auf Hamilton. Vettel fuhr zwei Runs auf den Supersofts, beide fast auf identischem Niveau.

Longruns auf Supersoft

FahrerTeamStint-LängeReifen-AlterZeit
VerstappenRed Bull11 Runden19 Runden1:13,113
HamiltonMercedes17 Runden25 Runden1:13,359
VettelFerrari7 Runden17 Runden1:13,459
VettelFerrari13 Runden32 Runden1:13,472
BottasMercedes15 Runden25 Runden1:13,598
RicciardoRed Bull9 Runden16 Runden1:13,793

"Mit Mercedes mitzuhalten, wird schwer", analysiert Vettel. "Mercedes sieht stark aus, sie sind auf allen Reifen und Bedingungen ein bisschen vorne." Ähnlich sieht es auch Red Bulls Daniel Ricciardo: "Die Longruns sahen okay aus, aber Mercedes sieht richtig stark aus. Wir können definitiv noch ein bisschen mehr für morgen finden, aber ich glaube nicht, dass wir weit weg sind und viele Änderungen vornehmen müssen."

Red Bull opfert Abtrieb wegen Renault-Malus

Für Red Bull ist die Pace ein weiterer kleiner Erfolg nach den Siegen von Max Verstappen in Malaysia und Mexiko. "Es war nie eine Strecke, auf der wir in der Vergangenheit dominiert haben", weiß auch Ricciardo. "Deshalb ist es positiv, so nah an Ferrari dran zu sein."

Tatsächlich verliert Red Bull im Angstsektor gar nicht so viel Zeit auf Mercedes. Der dritte Sektor besteht nur aus einer Kurve und einer ewig langen Gerade - die auch noch bergauf geht. Rund anderthalb Zehntel verlieren Verstappen und Ricciardo hier. Red Bull opfert einmal mehr Abtrieb. Deshalb ist der RB13 in Sao Paulo wieder ohne T-Flügel unterweg.

Aber Verstappen weiß: "Wir müssen uns verbessern, weil Mercedes im Qualifying den Motor hochdreht. Wir müssen im 3. Training mindestens genauso schnell oder schneller als Mercedes sein, um eine Chance auf Pole zu haben."

Fazit: Der Mercedes ist in Sao Paulo das schnellste Auto. Auf allen Reifen, unter allen Bedingungen. Aber Ferrari und Red Bull haben ihre Spezialitäten: Ferrari im Longrun auf Soft, Red Bull auf Supersoft. So könnten sich im Rennen unterschiedliche Strategien ergeben, die Mercedes unter Druck setzen. Und: Am Samstag soll es definitiv regnen. Die Pole scheint somit gar nicht so unrealistisch für Red Bull.