Mit seinem endgültigen Abschied aus der Formel 1 zum Saisonende 2017 sorgt Felipe Massa für eine absolute Seltenheit in der Königsklasse des Motorsports. Denn 2018 wird es zum ersten Mal seit der Saison 1970 keinen brasilianischen Stammpiloten mehr geben. Damals gab Emerson Fittipaldi erst zur Mitte der Saison sein Debüt für Lotus. Die letzte gänzlich ohne Brasilianer ausgetragene Formel-1-Saison gab es ein Jahr davor, 1969.

Die Formel 1 verliert somit ein Stück Kulturgut, zählt Brasilien doch seit jeher zu den Fixpunkten der Serie. Einige der erfolgreichsten Fahrer überhaupt stammen aus dem südamerikanischen Land, wenngleich das große Renommee bereits einige Jahre zurückliegt. Und auch die Zukunft erscheint nicht unbedingt prickelnd, betrachtet man die verschiedenen Nachwuchsserien. Motorsport-Magazin.com wirft einen Blick zurück auf Massas Landsleute und wagt zugleich einen Ausblick, auf wen sich Brasilien vielleicht bald in der Formel 1 freuen darf.

Emerson Fittipaldi: Brasilien bekommt seinen ersten Star

In den ersten knapp 20 Jahren spielten die Brasilianer in der Formel 1 keine Rolle. Bis auf ein paar vereinzelte Rennteilnahmen gab es noch keine brasilianische Note zu verzeichnen. Das änderte sich, als 1970 ein gewisser Emerson Fittipaldi die Bühne betrat. Beim Großbritannien GP gab er sein Debüt für Lotus und fuhr direkt auf Rang acht. Im selben Jahr fuhr Fittipaldi in den USA zu seinem ersten Sieg, nachdem Lotus die beiden Rennen zuvor aufgrund des tödlichen Unfalls von Jochen Rindt ausgelassen hatte.

Nach einem sieglosen Jahr 1971 fuhr Fittipaldi der Konkurrenz im Jahr darauf um die Ohren. Fünf Siege in zwölf Rennen, drei weitere Male auf dem Podium - schlussendlich stand ein souveräner Titelgewinn. Der erste für Fittipaldi, ebenso wie der erste für Brasilien. Nach dem Vizetitel 1973 wechselte Fittipaldi von Lotus zu McLaren, mit denen er 1974 seinen zweiten WM-Titel einfuhr.

1976 schloss sich Fittipaldi dann dem Team seines Bruders Wilson an, der mit finanzieller Unterstützung eines brasilianischen Großsponsors den ersten und bis heute einzigen Rennstall mit Sitz in Brasilien aus der Taufe hob. Doch der große Erfolg blieb auch mit Emerson als Fahrer aus. Über WM-Rang zwölf in der Saison 1977 kam er nicht hinaus. 1980 bestritt er seine letzte Saison in der Formel 1.

In seinen letzten Jahren fuhr Fittipaldi im Team seines Bruders, Foto: Sutton
In seinen letzten Jahren fuhr Fittipaldi im Team seines Bruders, Foto: Sutton

Nelson Piquet: Fittipaldis direkter Nachfolger

Während Fittipaldi seine letzten Jahre in der Formel 1 eher im tristen Mittelfeld verbrachte, stieg zeitgleich ein weiterer Brasilianer auf. 1978 bestritt Nelson Piquet seine ersten Rennen in der Formel 1, ohne jedoch besonders für Aufsehen zu sorgen. Nach einem Seuchenjahr mit elf Ausfällen in 15 Rennen für Brabham folgte 1980 sein Durchbruch. Drei Siege bedeuteten am Ende die Vizemeisterschaft für Piquet hinter Alan Jones.

Bereits ein Jahr später aber holte sich Piquet den Titel, wenn auch äußerst knapp mit gerade einmal einem Punkt Vorsprung auf Carlos Reutemann. 1983 erneut für Brabham und 1987 für Williams fuhr Piquet zu zwei weiteren Titeln. Noch in seinem letzten Jahr 1991 gelang dem Brasilianer ein Sieg.

Ayrton Senna: Die Legende

Als Piquet sein letztes Jahr fuhr, war er schon längst von einem Landsmann in den Schatten gestellt worden. Ayrton Senna hatte der Formel 1 schon längst seinen Stempel aufgedrückt und die Geschichtsbücher auf ewig gefüllt. 1984 kam Senna als Rookie in die Formel 1 zu Toleman, der es aus Performance-Sicht nicht mit den schnellsten Boliden aufnehmen konnte.

Doch schon in Monaco - es war Sennas sechstes Rennwochenende - blitzte sein überragendes Talent auf. Im strömenden Regen fuhr er von Startplatz 13 auf Rang zwei und war auf dem besten Wege, den führenden Alain Prost einzuholen, ehe das Rennen kontrovers abgebrochen wurde. 1985 wechselte Senna zu Lotus, wo ihm bereits im zweiten Rennen der erste Sieg gelang. 1987 belegte er in seinem letzten Lotus-Jahr Rang drei in der WM.

Es folgte 1988 der Wechsel zu McLaren, der eine der intensivsten Epochen der Formel 1 einleiten sollte. Im britischen Team traf er auf Alain Prost, der bereits zweimal Weltmeister mit dem Rennstall geworden war. Beide trieben sich in den folgenden Jahren zu Höchstleistungen, zudem war das Paket aus McLaren-Chassis und Honda-Motor kaum zu schlagen. Gleich im ersten Jahr kamen beide zusammen auf 15 Saisonsiege, acht zu sieben für Senna. Dank der Streichergebnisse hatte Senna schlussendlich um drei Punkte die Nase vorne.

Die Rivalität zwischen Senna und Prost ging in die Formel-1-Geschichte ein, Foto: Sutton
Die Rivalität zwischen Senna und Prost ging in die Formel-1-Geschichte ein, Foto: Sutton

1989 gelang es Prost, das Blatt zu wenden und seinerseits den Titel einzufahren, nachdem es beim vorletzten Rennen in Japan zu einer Kollision der beiden kam. Senna wurde aufgrund dieser disqualifiziert. Nach Prosts entnervtem Abgang fuhr Senna 1990 und 1991 noch zu zwei weiteren WM-Titeln.

1994 wechselte er zu Williams, die inzwischen die dominante Kraft in der Formel 1 waren. Beim dritten Saisonrennen in Imola verunglückte Senna tödlich. Ein ganzes Land lag in Trauer. Bis heute gilt Senna als einer der besten - für manche auch als der beste - Fahrer der Geschichte.

Rubens Barrichello: Der Rekordteilnehmer

Sennas WM-Titel 1991 blieb bis heute der letzte eines brasilianischen Fahrers. Seither schafften es die Fahrer aus dem Land zwischen Amazonas und Zuckerhut im besten Falle durch Siege zu Aufmerksamkeit - oder durch andere Rekordmarken. So etwa Rubens Barrichello, der zwar nie zu WM-Ehren kam, aber mit 322 Starts bis heute die Rekordmarke hält.

Von 1993 bis 1996 war Barrichello für Jordan unterwegs und erzielte beim Kanada GP 1995 mit Rang zwei sein bis dahin bestes Ergebnis in der Königsklasse. Nach zwei verkorksten Jahren für Stewart sorgte er 1999 mit drei Podestplätzen und WM-Rang sieben für Aufmerksamkeit. Auch Ferrari war der Brasilianer nicht entgangen, die Scuderia holte Barrichello als Teamkollegen für Michael Schumacher für das Jahr 2000.

Bei Ferrari erlebte Barrichello seine erfolgreichste Zeit, 2002 und 2004 wurde er Vize-Weltmeister. Ende 2005 war Schluss, "Rubinho" - so sein Spitzname - wechselte zu Honda. Dort erlebte er drei schlechte Jahre. Die Umwandlung des Teams zu Brawn GP verschaffte ihm 2009 ein letztes großes Jahr mit zwei Siegen und WM-Platz drei. 2010 und 2011 fuhr er noch einmal zwei Jahre für Williams, dort aber konnte er nicht mehr an die alte Form anknüpfen.

2002 wurde Barrichello Vize-Weltmeister, Foto: Sutton
2002 wurde Barrichello Vize-Weltmeister, Foto: Sutton

Seit 2009: Sinkender Stern Brasiliens

Felipe Massa selbst sorgte nach einigen Jahren in Ferrari-Diensten für einen historischen Moment, als er 2008 vor heimischem Publikum nur knapp die WM verpasste. Ein paar Sekunden war er Weltmeister, ehe Lewis Hamilton ihm den Titel wegschnappte. Es sollte der Anfang vom Ende der brasilianischen Erfolge werden.

Nelson Piquet Jr. kam 2008 in die Serie und wird vor allem wegen des Crashgate-Skandals in Singapur 2008 in Erinnerung bleiben. Dass er im selben Jahr als Rookie in Deutschland auf Rang zwei landete und damit sein einziges Podium einfuhr, ist fast schon vergessen. 2009 blieb Piquet Jr. komplett ohne Punkte und wurde nach dem Ungarn GP von Renault vor die Tür gesetzt.

Auch ein weiterer großer Name, Bruno Senna, konnte nicht an die Vergangenheit anknüpfen. Als Neffe des großen Ayrton unter großer Beobachtung stehend, reichte es 2012 nur zu Rang sechs beim Malaysia GP als bestes Rennergebnis. Wenngleich man sagen muss, dass Senna auch nie nur im Ansatz über konkurrenzfähiges Material verfügte. Nach 46 Rennen war ausgerechnet sein Heimrennen in Brasilien 2012 sein Abschiedsrennen. Zumindest dieses bleibt in Erinnerung, als er Sebastian Vettel ins Auto fuhr und damit fast dessen WM-Titel ruinierte.

Nur eine einzige Saison in der Formel 1 bestritt Lucas di Grassi. 2010 stieg er zusammen mit Virgin in die Serie ein, doch im Hinterbänkler-Team war er chancenlos. In der Hälfte der 18 Saisonrennen schied er aus, Rang 14 in Malaysia war sein bestes Resultat. Es reichte also noch nicht einmal zu einem einzigen Punkt. Inzwischen ist er abseits der Formel 1 erfolgreich unterwegs. Jüngst holte er sich den Gesamtsieg in der Formel E.

Der - neben Felipe Massa - einzige Brasilianer, der in den letzten Jahren zumindest ansatzweise überzeugen konnte, war Namensvetter Felipe Nasr. 2015 und 2016 war er für Sauber aktiv und sorgte gleich in seinem allerersten Rennen mit Rang fünf in Melbourne für Erstaunen. Vier weitere Male fuhr er 2015 noch in die Punkte und beendete die Saison klar vor seinem Teamkollegen Marcus Ericsson.

Felipe Massa verblüffte bei seinem F1-Debüt 2015, Foto: Sutton
Felipe Massa verblüffte bei seinem F1-Debüt 2015, Foto: Sutton

2016 jedoch geriet Sauber in große Schwierigkeiten und kämpfte gegen Manor um Rang zehn in der Konstrukteurs WM. Dieses Unterfangen schien lange aussichtslos, doch ausgerechnet durch Nasr und ausgerechnet bei dessen Heimspiel in Brasilien kam die Wende.

Im Regen erkämpfte er sich Rag neun, brachte Sauber damit die notwendigen Punkte für Platz zehn und verschaffte dem Team damit mehrere Millionen Euro. Manor rutschte in die Pleite, doch auch Nasrs eigene Karriere war beerdigt. Denn Sauber entschied sich für 2017 trotz seiner Verdienste gegen ihn und verpflichtete stattdessen Pascal Wehrlein.

Was bringt die Zukunft?

Wirklich optimistisch darf der brasilianische Fan nicht sein, geht es um mögliche einheimische Stars in der Zukunft. In der Formel 2, die als direkter Unterbau der Formel 1 fungiert, ist 2017 nur ein Brasilianer unterwegs. Sergio Sette Camara belegt vor dem abschließenden Wochenende dort aber nur Rang zwölf in der Gesamtwertung. Das Sprintrennen in Spa konnte er gewinnen, zudem landete er beim Chaos-Rennen in Monza auf Rang zwei. Ansonsten ließen seine Resultate jedoch zu wünschen übrig.

Im vergangenen Jahr noch durfte er für Toro Rosso ein Formel-1-Auto testen und gehörte auch zum Red-Bull-Juniorprogramm, seine Ergebnisse waren jedoch zu schlecht, um weiter gefördert zu werden.

Sergio Sette Camara testete bereits für Toro Rosso, Foto: Sutton
Sergio Sette Camara testete bereits für Toro Rosso, Foto: Sutton

In den Serien darunter sieht es nicht viel besser aus. In der GP3 ist aktuell nur Bruno Baptista am Start, der jedoch nur Rang 19 belegt. In der Formel 3 EM versuchte sich Pedro Piquet, Sohn von Nelson und Bruder von Nelson Piquet Jr. Er beendete die Saison aber auch lediglich als 14. - hinter seinen beiden Teamkollegen.

Hoffnung macht möglicherweise Felipe Drugovich, der in der deutschen Formel-4-Meisterschaft Rang drei belegte. Auch Enzo Fittipaldi, Enkel von Emerson, ist im Blickfeld. Er gehört zu Ferraris Nachwuchsprogramm und belegte in der italienischen Formel 4 Rang neun in der Abschlusstabelle. Wirklich herausragend klingt das alles jedoch nicht. Vielleicht sorgen die Söhne von Rubens Barrichello in ein paar Jahren für eine Wiedergeburt. Beide sind noch sehr jung, haben aber bereits Gefallen am Motorsport gefunden.