Wirklich überraschend war es nicht mehr, als die Führungsriege von Red Bull in Mexiko verkündete, dass Daniil Kvyat endgültig vor die Tür gesetzt wurde. Bereits nach dem Singapur GP wurde der Russe durch Pierre Gasly ersetzt. Die Abwesenheit des Franzosen aufgrund des Finals der Super Formula gab Kvyat zwar noch einmal die Chance auf ein Comeback in Austin, doch selbst Rang zehn in Texas konnte sein Schicksal nicht mehr wenden.

"Er ist nicht mehr bei Red Bull, daher ist er frei und kann tun, was er will", bestätigte Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost die Entlassung des 23-Jährigen auf der Pressekonferenz in Mexiko. Das (vorläufige) Ende einer Formel-1-Karriere, die so vielversprechend begann, aber seit anderthalb Jahren nur den Weg nach unten kannte.

Sainz von Beginn an als Weggefährte

Bereits früh wurde Red Bull auf den jungen Russen aus der Millionenstadt Ufa aufmerksam. Im Jahr 2010 wurde Kvyat Teil des Nachwuchsprogramms der Österreicher und sorgte 2011 in der Formel Renault erstmals für Aufsehen, als er den Eurocup 2.0 auf dem dritten Rang in der Gesamtwertung abschloss. Bereits damals sein Teamkollege: Carlos Sainz. Viele Jahre fuhren sie gegeneinander, das Rennfahrer-Schicksal der beiden ist untrennbar miteinander verbunden. Die Demission seines Weggefährten ließ Sainz daher auch nicht kalt.

"Natürlich fühle ich da mit", machte Sainz kein Geheimnis aus seiner Gefühlswelt. "Daniil war seit Go-Kart-Zeiten nah bei mir. Wir sind exakt am selben Tag ins Red-Bull-Programm gekommen, 2010 haben wir unser erstes Jahr bestritten. Wir sind lange in der Formel 1 gegeneinander gefahren. Hoffentlich sehe ich ihn in der Formel 1 bald wieder", sagte der Spanier weiter.

Zurück ins Jahr 2011. Sainz beendete die Saison in der Formel Renault 2.0 damals als Vizemeister, 45 Punkte vor Kvyat. Während Sainz die Serie in Richtung britische Formel 3 und Formel 3 Euro Serie verließ, setzte Kvyat auf Kontinuität.

2012 wurde er hinter Stoffel Vandoorne Vizemeister der Formel Renault 2.0, ein Jahr später wechselte der damals 19-Jährige in die GP3. Als Rookie konnte er sich dort direkt den Titel schnappen. Die Wege von Sainz und Kvyat kreuzten sich im selben Jahr wieder, doch dieses Mal hatte Sainz keine Chance. Der Spanier wurde nur Zehnter in der Gesamtwertung.

In der GP3 war Daniil Kvyat eine Klasse für sich, Foto: GP3 Series
In der GP3 war Daniil Kvyat eine Klasse für sich, Foto: GP3 Series

Durchmarsch zu Red Bull - zu früh?

Wohl auch deshalb bekam Kvyat den Vorzug, als Red Bull einen neuen Fahrer für Toro Rosso in der Formel 1 suchte. Daniel Ricciardo wurde als Nachfolger von Mark Webber zu Red Bull befördert, Kvyat nahm den Platz des Australiers ein. Der Russe hatte sein großes Ziel damit erreicht, während Sainz eine letzte Chance bekam. 2014 musste er in der Formel Renault 3.5, die damals zeitweise die stärkste Nachwuchsserie war, seine Fähigkeiten unter Druck unter Beweis stellen.

Diese Sorgen hatte Kvyat nicht. In seinem ersten Jahr in der Formel 1 wusste er durchaus zu gefallen. Gleich in seinem ersten Rennen kam er in die Punkte, im teaminternen Duell gegen den erfahreneren Jean-Eric Vergne zog er jedoch aufgrund einer schwächeren zweiten Saisonhälfte den Kürzeren. Und dennoch wurde Vergne von Seiten Red Bulls übergangen, als für die folgende Saison ein Nachfolger des zu Ferrari abgewanderten Sebastian Vettel gesucht wurde.

Den Zuschlag bekam Kvyat, der damit innerhalb von zwei Jahren von der GP3 zu einem Formel-1-Team kam, dessen Selbstverständnis darin lag, um die WM zu kämpfen. Franz Tost warnte damals noch davor, Kvyat nicht "zu verbrennen". Eine berechtigte Warnung, wie sich später zeigen sollte.

Inzwischen hatte auch Carlos Sainz den Weg in die Formel 1 geschafft. Er und Max Verstappen bekamen die beiden freien Cockpits bei Toro Rosso, Sainz hatte die Formel Renault 3.5 souverän vor Pierre Gasly gewonnen. Für Sainz war es rückblickend genau der richtige Schritt, die Ehrenrunde drehen zu müssen. "Hätte ich 2014 nicht den Druck gehabt, die World Series gewinnen zu müssen, hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, als Fahrer 2015 so einen Schritt zu machen. Und ohne diese Erfahrung wäre ich heute kein Renault-Fahrer", erklärte der Spanier jüngst in Mexiko.

2015 erlebte Kvyat seine erfolgreichste Saison, Foto: Sutton
2015 erlebte Kvyat seine erfolgreichste Saison, Foto: Sutton

Auf den Höhenflug folgte der tiefe Fall

Kvyat aber kannte diese Drucksituationen nicht und kannte weiter nur den steilen Weg bergauf. Daniel Ricciardo bot er in der wohl schwierigsten Red-Bull-Saison seit 2008 mächtig Paroli und schaffte es sogar, die Saison in der WM-Wertung vor dem Australier zu beenden. In Ungarn fuhr er mit Rang zwei sein bestes Ergebnis in der Formel 1 ein. Mit gerade einmal 21 Jahren schien Kvyat der nächste Superstar der Königsklasse zu werden. Doch dann bekam Kvyat die Härte des Geschäfts zu spüren.

Nur vier weitere Rennen sollte Kvyat 2016 für Red Bull bestreiten. Beim dritten Rennen in China kollidierte er mit Sebastian Vettel, dennoch fuhr er noch auf Rang drei. Vettel prägte den Begriff des "Torpedos", wenngleich Kvyat Rückendeckung von Red Bull bekam. Diese aber war nur ein Rennen später wieder dahin. Bei Kvyats Heimrennen in Sochi kam es zur nächsten Kollision, völlig unnötig krachte er erneut Vettel ins Auto. Red Bull reagierte und verbannte Kvyat zurück zu Toro Rosso, gleichzeitig wurde Supertalent Max Verstappen befördert.

Offiziell wollte man Kvyat aus der Schusslinie nehmen und schützen, doch es schien allzu deutlich, dass Red Bull nur auf die Gelegenheit wartete, Verstappen hochzuziehen. Zu begehrt war der junge Niederländer schon damals, Red Bull musste ihm eine Perspektive verschaffen. Ironischerweise war Kvyat nun zum ersten Mal in seiner Karriere zur falschen Zeit am falschen Ort.

Sainz beerdigt Kvyats Karriere

Mental erholte sich Kvyat von diesem Schlag nicht mehr. Ab dem Spanien GP 2016 fuhr er erstmals seit drei Jahren wieder gemeinsam mit Carlos Sainz in einem Team, die folgenden anderthalb Jahre gerieten zu einer einzigen Demütigung. In 31 gemeinsamen Rennen holte Kvyat nur acht Punkte, Sainz kam auf 90 (!) Zähler. Bereits Ende 2016 schien Kvyat kurz vor der Ablösung durch Pierre Gasly zu stehen, doch Red Bull setzte weiterhin auf seinen langjährigen Schützling.

Bei Toro Rosso lieferte Kvyat keine Resultate mehr, Foto: Sutton
Bei Toro Rosso lieferte Kvyat keine Resultate mehr, Foto: Sutton

"In den letzten Rennen wurde deutlich, dass Daniil zurück zu alter Form gefunden hat", begründete Franz Tost die Vertragsverlängerung mit Kvyat. Doch er konnte dieses Vertrauen nicht mehr in Resultate umsetzen. Sainz fuhr in einer eigenen Liga und avancierte damit zum Totengräber von Kvyats Formel-1-Laufbahn. Als der Russe in Singapur sein Auto in die Wand setzte, galt selbiges auch für seine Karriere. Red Bull hatte genug, Gasly übernahm Kvyats Cockpit.

Die Hoffnung, auch weiterhin mit Red Bull zusammenzuarbeiten, hatte er selbst danach noch nicht aufgegeben. "Man kann noch alles reparieren und wenn eine klare Richtung und ein Ziel gibt, um das man kämpfen kann, dann wäre ich happy, ein Teil davon zu sein", sagte er bei seinem Kurz-Comeback in den USA. Doch eine Basis für eine weitere Zusammenarbeit bestand nicht mehr.

Red Bulls Abrechnung mit Kvyat

Die Worte seitens Red Bulls klangen nach der endgültigen Trennung in Mexiko dann auch eher wie eine Abrechnung. "Daniil Kvyat hatte über all die Jahre eine große finanzielle Unterstützung von Red Bull erhalten. Er bekam die Möglichkeit, 2015 und zum Start der Saison 2016 für Red Bull zu fahren. Die Formel 1 ist ein hartes Geschäft und leider hat Dany aus unserer Sicht nicht genug getan, um sicherzustellen, dass er seinen Sitz behalten kann", erklärte Red-Bull-Teamchef Christian Horner die Absetzung nach dem Russland GP 2016.

Franz Tost wurde nach dem Aus bei Toro Rosso nun noch deutlicher. "Bring die Ergebnisse, und du kannst in der Formel 1 bleiben", stellte er klar, ehe auch Dr. Helmut Marko gegenüber Motorsport-Magazin.com nachlegte. "Mangelnde Performance", erklärte er als Grund. Und ob Kvyat genug Chancen erhalten habe? "Mehr als genügend", hielt er fest.

"Vielleicht ist es die härteste Plattform", berichtete Carlos Sainz über das Nachwuchsprogramm bei Red Bull. "Es gibt dir am meisten, aber kann dir auch alles nehmen", erklärte der Renault-Pilot weiter. So ging es nun auch Kvyat, der ohne Red Bull zwar nie in die Formel 1 gekommen wäre - aber durch den Rausschmiss kaum Chancen hat, noch einmal ein Bein in die Formel 1 zu setzen.