Die Zutaten für den Singapur GP sind gut. Sie lauten: Ferrari, Red Bull und Mercedes. Zumindest zwei der drei Top-Teams haben eine reelle Siegchance beim 14. Lauf zur Formel-1-Weltmeisterschaft 2017. Und ausgerechnet Mercedes, führendes Team in der Konstrukteurswertung, hat nur Außenseiterchancen.

Mit einer Zauberrunde wie sie 2016 dem zurückgetretenen Nico Rosberg gelang, holte sich Sebastian Vettel die Pole Position. Das Ferrari-Duo wird von den beiden Red Bulls gesprengt. Max Verstappen startet von Platz zwei, Daniel Ricciardo von Rang drei. Auch Kimi Räikkönen im zweiten Ferrari geht auf Rang vier noch vor WM-Leader Lewis Hamilton ins Rennen.

Nicht nur für die Weltmeisterschaft verspricht diese Ausgangssituation ein Leckerbissen zu werden, sondern auch für den GP am Sonntag. Der erste Aufreger könnte der Start werden. Max Verstappens Gesichtsausdruck in der Pressekonferenz sprach Bände: Er wollte diese Pole Position unbedingt. Der Niederländer ist nach seiner Pleitenserie hungrig wie nie.

Und im Gegensatz zu Vettel hat Verstappen nichts zu verlieren. Vettel braucht im WM-Kampf jeden Punkt, kann sich einen Ausfall auf keinen Fall erlauben. Trotzdem will der Ferrari-Pilot nicht zurückstecken, wie er Motorsport-Magazin.com verriet: "Ich gehe den Start nicht anders an, weil ich nicht glaube, dass irgendjemand in der Startaufstellung die Absicht hat, das Rennen in der ersten Kurve zu beenden hat. Ich fokussiere mich nur auf den Start und sehe dann, was passiert."

Hamilton hofft auf Verstappen-Attacke gegen Vettel am Start

Lewis Hamilton hofft trotzdem auf Schützenhilfe: "Sebastian startet neben Verstappen, am Start kann also alles passieren." Max Verstappen gibt sich allerdings tatsächlich recht überlegt: "Man nimmt die Lücke immer, wenn es möglich ist. Aber wenn sie nicht da ist, dann lässt man es sein. Es ist ein langes Rennen, da kann viel passieren."

Auf das womöglich einmal mehr längste Rennen der Saison will Teamkollege Daniel Ricciardo aber nicht warten: "Hier ist es schwierig zu überholen, deshalb ist der Start eine große Möglichkeit. Ich versuche da schon etwas, es wird immer eng in Kurve eins, also schau ich, was da möglich ist." Schlecht für Hamilton, der einerseits vorne auf Action hoffen und gleichzeitig selbst den Start nutzen muss: Der Sprint zu T1 ist mit 301 Metern extrem kurz.

Ferrari ohne großen Motor-Vorteil gegen Red Bull im Rennen

Was den Singapur GP ebenfalls spannend macht: Eigentlich sollte der Red Bull im Rennen das schnellste Auto sein. Im Qualifying machte den Bullen einmal mehr der nicht vorhandene Qualifikationsmodus zu schaffen. "Wir fahren zu Beginn des Qualifyings noch etwas konservativer, aber im Q3 geben wir dann maximale Leistung frei", gesteht Vettel.

In Q1 und Q2 fuhr jeweils das Red-Bull-Duo die schnellsten Rundenzeiten, erst im finalen Qualifikationssegment schnappte sich Vettel die Bestzeit. Wurde Red Bull einmal mehr vom Motor im Stich gelassen? "Sobald wir im Qualifying sind, geben wir beim Motor die komplette Leistung frei, es gibt keine Geheimnisse im Q3", bestätigt Ricciardo den Verdacht. Im Rennen gibt es diesen Vorteil nicht.

Das bedeutet, dass Red Bull unter normalen Umständen an Ferrari dran bleiben kann. Allerdings gibt es in Singapur ein doppeltes Problem: Nicht nur die Streckencharakteristik macht es extrem schwierig zu überholen, auch der Asphalt. Fährt ein Pilot in Dirty Air und beginnt zu rutschen, überhitzen die Reifen stärker als auf anderen Kursen. Denn die Mikrorauheit des Asphalts ist vor allem für Straßenkurse extrem hoch, so dass die Pneus beim Rutschen stärker beansprucht werden.

Strategie: Red Bull hat nichts zu Verlieren

Doch es gibt noch weitere Möglichkeiten für Red Bull, an Vettel vorbeizukommen. Die Strategie könnte eine entscheidende Rolle spielen. Pirellis Analysen haben ergeben, dass Ein-und Zweistopp-Strategien ähnlich schnell sein können. Baut der Ultrasoft-Reifen im Startstint pro Runde weniger als 0,15 Sekunden ab, ist eine Einstopp-Strategie schneller. Ist der Abbau größer, rentieren sich zwei Stopps.

Bei einer Einstopp-Strategie rechnet Pirelli damit, dass die Teams auf Supersoft gehen müssen, weil die Delta-Zeit zwischen Soft und Supersoft zu groß ist. Somit wird es am Ende des Rennens stark auf den Zustand der Hinterreifen ankommen. Die Performance-Unterschiede werden größer, Überholmanöver eher möglich.

Mercedes hat Soft-Reifen als Ass im Ärmel

Mercedes hat hier noch einen Joker: Als einziges Team hat es Mercedes - trotz aller Singapur-Probleme - einmal mehr geschafft, die Delta-Zeit zwischen Soft und Supersoft deutlich geringer zu halten. Somit ist der Soft für die Silberpfeile eine echt Alternative und könnten gegen Rennende zum Joker werden - vor allem, wenn das Safety-Car kommt.

Weil Red Bull mit Ricciardo und Verstappen gleich zwei heiße Eisen im Feuer hat, könnten die Bullen die Strategie splitten - auf die WM braucht Red Bull keine Rücksicht zu nehmen. Ein Pilot könnte mit zwei Stopps taktieren. Allerdings haben alle Teams nur noch einen Satz Supersoft übrig. Die schnellste Zweistopp-Strategie führt aber über einmal Ultra- und zweimal Supersoft.

Dann bleibt entweder die langsame Variante mit Ultrasoft, Supersoft und Soft oder die riskante Variante mit zweimal Ultrasoft und einmal Soft. Risiko allerdings wird wohl nirgends so oft belohnt wie in Singapur: In allen neun Rennen, die bislang auf dem Straßenkurs ausgetragen wurden, gab es mindestens eine Safety-Car-Phase. Im Gegensatz zu Ferrari und Mercedes kann sich Red Bull das Pokern erlauben.