Es ist der wahrgewordene Automobiltraum: Mercedes stellte am Montag vor dem Singapur GP auf der Internationalen Automobilausstellung IAA das Project ONE öffentlich vor. Bei dem unter der Leitung von AMG zum 50. Jubiläum der Firmengeschichte entwickelten Hypercar handelt es sich um ein "Formel-1-Fahrzeug mit Straßenzulassung", wie Vorstandsmitglied Ola Källenius treffend beschreibt. Zur Präsentation kam sogar Lewis Hamilton nach Frankfurt und fuhr das Showcar auf die Bühne.

Das vorgestellte Konzept, das sich sehr nah an der Serie befinden soll, setzt auf eine echte Power Unit aus der Formel 1. Sie stammt direkt von Mercedes High Performance Powertrains in Brixworth, wo auch die Aggregate von Lewis Hamilton und Co. entwickelt und produziert werden.

Auch im Serienfahrzeug leistet ein 1,6-Liter V6-Turbomotor seinen Dienst. Einzig die Drehzahl musste geringfügig herabgesetzt werden, um die Lebensdauer zu erhöhen und den Betrieb mit handelsüblichem Super Plus Benzin zu gewährleisten. Doch mit 11.000 Umdrehungen pro Minute schlägt der Motor noch immer alles bisher Dagewesene im Straßenverkehr. Dazu werden vier obenliegenden Nockenwellen über Stirnräder angetrieben, mechanische Ventilfedern wurden durch pneumatische ersetzt.

Project ONE mit mehr als 1.000 PS

In der Formel 1 gilt eine Drehzahlgrenze von 15.000 Umdrehungen, die allerdings wegen des maximalen Benzinflusses bei 10.500 Umdrehungen nicht genutzt werden. Im Qualifying-Modus drehen die Formel-1-Motoren bis rund 13.000 Umdrehungen, um die Drehzahl beim Schalten nicht zu stark abfallen zu lassen.

Wie in der Rennversion kommt auch im Project ONE nur ein einzelner, dafür aber elektrifizierter Turbolader zum Einsatz. Der wird im niedrigen Drehzahlbereich von der MGU-H beschleunigt und rekuperiert bei höheren Drehzahlen Energie. Somit wird nebenbei auch die Drehzahl des Turboladers geregelt. Auch das Packaging ist wie in der Formel 1: Turbolader und Verdichter sind voneinander getrennt, in der Mitte des Vs durch die MGU-H miteinander verbunden.

Im Heck des Hypercars Project One schlummert eine Power Unit, Foto: Mercedes-Benz
Im Heck des Hypercars Project One schlummert eine Power Unit, Foto: Mercedes-Benz

Allein die Power Unit des Mittelmotor-Hypercars leistet über 500 kW, also mehr als 680 PS. Dazu kommen - anders als in der Formel 1 - zwei zusätzliche Elektromotoren an der Vorderachse. Zwei Radnabenmotoren leisten jeweils 120 kW und machen das Project ONE zum Allrad-Sportler. Damit kommt der Straßensportler mit Formel-1-Technik auf eine Systemleistung von über 1.000 PS.

Zusammen mit der MGU-K, die an der Kurbelwelle sitzt, befinden sich somit insgesamt vier Elektromotoren im Fahrzeug. Alle können sowohl Energie abgebe, als auch einspeisen. Das Project ONE kann sich vollelektrisch rund 25 Kilometer autark bewegen. Dafür wurde der Energiespeicher, der ebenfalls aus der Königsklasse kommt, auf die vierfache Kapazität erhöht.

Über 350 km/h Topspeed, aberwitzige Beschleunigung

Die Fahrleistungen sollen entsprechend sein: Für den Sprint auf 100 Stundenkilometer gibt es noch keine offiziellen Angaben, doch die 200er-Marke soll schon in weniger als 6,0 Sekunden erreicht sein. Auch Fahrdynamisch soll der Bolide die Messlatte höher legen. Die Endgeschwindigkeit soll bei über 350 km/h liegen.

Motor 1,6-Liter-V6 mit Direkteinspritzung, vier Ventilen pro Zylinder, vier obenliegenden Nockenwellen und elektrisch unterstützte Single-Turboaufladung sowie einem mit der Kurbelwelle verbundenem E-Motor
Leistung mehr als 500 kW/ 680 PS
Vorderachse Power Unit Elektrisch angetriebener Vorderachse und Torque Vectoring
Leistung Vorderachse 2 x 120 kW (2 x 163 PS)
Gesamtleistung mehr als 740 kW (1.000 PS)
Getriebe Automatisiertes AMG SPEEDSHIFT 8-Gang-Schaltgetriebe
Beschleunigung 0-200 km/h in weniger als 6 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit über 350 km/h
Elektrische Reichweite 25 Kilometer

Das Vollkarbonmonocoque sorgt für Gewichtsersparnis und Steifigkeit, die Elektromotoren an der Vorderachse können über Torque-Vectoring gezielt angesteuert werden. An der Chassis-Entwicklung waren auch Ingenieure der Formel-1-Fabrik in Brackley beteiligt.

Beim Fahrwerk gibt es neben der Aerodynamik die größten Unterschiede zur Formel 1: Vorn und hinten kommt eine Mehrlenkerkonstruktion zum Einsatz. Das einstellbare Gewindefahrwerk weist mehrere Besonderheiten auf: Die beiden Push-Rod-Federbeine liegen quer zur Fahrtrichtung. Die innovative Anordnung der Feder-/Dämpfereinheit ersetzt die Funktion und Verwendung eines üblichen Rohr-Querstabilisators. Diese Lösung verhindert zuverlässig Wankbewegungen auch bei sehr schnellen Richtungswechseln, ohne unkomfortabel zu sein. Die Bremsen sind aus Keramik statt aus Karbon.

Karbon-Monocoque aus F1-Fabrik in Brackley

Beim Design des Project ONE setzt Mercedes AMG auf eine rein performance-orientierte Formensprache, das nicht an andere Modelle aus Sindelfingen oder Affalterbach erinnert. Auf dem Dach ist der aus der Formel 1 abgeleitete Lufteinlass dominant, über den der Motor große Mengen an Frischluft ansaugt. Der schwarze Einlass geht elegant in die schwarze vertikale Hai-Finne über: Sie verbessert die Seitenführung in schnellen Kurven. Die weit hinten positionierte Heckscheibe ist integraler Bestandteil der Ansaug/Dachfinnen-Einheit. Sie erlaubt einen Blick auf die Power-Unit.

Der Auspuff sieht aus wie am Formel-1-Boliden von Mercedes, Foto: Mercedes-Benz
Der Auspuff sieht aus wie am Formel-1-Boliden von Mercedes, Foto: Mercedes-Benz

Zwei große NACA-Lufteinlässe garantieren die optimale Führung der Luftströme für die im Heckwagen platzierten Motor- und Getriebeölkühler. Die Kraftübertragung auf die Hinterräder wird mittels eines komplett neu für das Mercedes-AMG Project ONE entwickelten 8-Gang-Schaltgetriebes erfolgen. Es wird hydraulisch aktuiert und kann manuell über Schaltpaddles am Lenkrad oder automatisiert geschaltet werden.

Die Türen öffnen gleichzeitig nach vorn und nach oben. Hinten rechts befindet sich die Tankklappe, hinten links die Ladebuchse für die Plug-in-Hybridbatterie. Die scharfe, senkrechte Abrisskante und der große, zweigeteilte Diffusor, der durch das zentrale Abgasendrohr unterbrochen wird, wie auch der zweistufig ausfahrbare, zweigeteilte Heckflügel bringen bei hohen Geschwindigkeiten aerodynamische Effizienz- und Performance-Vorteile.

Die Gestaltung des Abgasendrohrs mit einem großen runden Auslass und zwei weiteren, kleinen runden Öffnungen wurde direkt von den Formel 1-Fahrzeugen übernommen. Dort mündet der Turbolader in das große, das von zwei kleinen Wastegate-Pipes umgeben ist.

Formel-1-Lenkrad mit Airbag

Auch im Innenraum geht es puristisch und motorsportlich zu: Im Gegensatz zum Monoposto finden im AMG Mercedes zwei Personen Platz. Die Schalensitze mit verstellbaren Rückenlehnen sind in das Monocoque integriert. Pedale und Lenkrad lassen sich justieren, so dass der Pilot eine optimale Fahrposition einnehmen kann. Der Mitteltunnel separiert Fahrer und Beifahrerbereich optisch voneinander. Er fügt sich formschlüssig in die Sitzskulptur ein und folgt mit seiner flach ansteigenden Kontur dem Prinzip des Minimalismus.

Das Cockpit des Mercedes AMG Project One, Foto: Mercedes-Benz
Das Cockpit des Mercedes AMG Project One, Foto: Mercedes-Benz

Das oben und unten horizontal abgeflachte Lenkrad mit integriertem Airbag bietet ebenso Motorsport-Funktionalität wie die beiden integrierten Controller, die sich mit unterschiedlichen Verstellfunktionen belegen lassen, wie zum Beispiel die Fahrprogramme und die Fahrwerkseinstellungen, oder die LED-Schaltanzeige im oberen Lenkradbereich.

Im Gegensatz zum Formel-1-Boliden kommt der Straßenbolide nicht auf Pirelli-Reifen daher. Die 19, respektive 20 Zoll großen Pneus kommen von Michelin und wurden speziell für den Project ONE entwickelt. Die Aluminium-Schmiederäder verfügen über eine Teilabdeckung aus Karbon, um die Aerodynamik zu verbessern.

"Motorsport ist für uns kein Selbstzweck. Unter maximalem Wettbewerb entwickeln wir Technologien, von denen später auch unsere Serienfahrzeuge profitieren", bilanziert Daimler Boss Dr. Dieter Zetsche. "Erfahrungen und Erfolge aus drei Konstrukteurs- und Fahrer-Weltmeisterschaften nutzen wir jetzt, um Formel 1-Technologie erstmals auf die Straße zu bringen: im Mercedes-AMG Project ONE."