Monza-Sieg, WM-Führung. Lewis Hamilton ist in der Formel 1 der Fahrer der Stunde. Doch in Sachen Team der Stunde macht jemand seinem Mercedes-Rennstall kräftig Konkurrenz: Red Bull Racing. In Monza trumpfte die österreichisch-britische Truppe gewaltig auf, schlug sogar den Home Heroes von Ferrari ein Schnippchen. Für das Podest reichte es zwar nicht, doch fehlten Daniel Ricciardo im Ziel nur vier Sekunden auf Sebastian Vettel.

Aus Ferrari-Sicht dennoch kein Erfolg. Vielmehr Grund zur Sorge, war Ricciardo doch gerade einmal von P16 gestartet, Vettel dagegen zumindest von P6. Red Bull hingegen kann auch ohne Podiumsehren feiern: Die Pace war mehr als nur vielversprechend. "Wir hatten das zweitstärkste Auto nach Mercedes. So weit hinten zu starten wie wir und nur vier Sekunden hinter Seb zu finishen, das war sehr ermutigende Performance", frohlockte Teamchef Christian Horner.

Red Bull ausgerechnet in Monza stark: Die Gründe

Immerhin war das alles in Monza geschehen, dem Temple of Speed. Einem Kurs, der dank Renault-Defizits für Red Bull auf dem Papier eigentlich ein Ort des Grauens darstellen sollte. Das zeigt jedenfalls der Blick in den Rückspiegel: In der Hybrid-Ära reichte es für RBR nie für ein besseres Resultat als P5. 2014 fehlte fast eine Minute auf Mercedes, 2015 wurde gar beide Red Bull überrundet, 2016 waren Ferrari und Mercedes unerreichbar.

Jetzt also P4 - das beste Resultat bislang in dieser Regel-Ära - von fast ganz hinten. Doch was ist das Geheimnis hinter dem Monza-Monster Red Bull? Motorsport-Magazin.com wirft einen Blick auf das Bullen-Wunder.

1. - Red Bulls Vorbereitung in Spa

Den wichtigsten Schlüssel zu Red Bulls starker Performance in Monza drehte der Rennstall bereits in Spa. Am Freitag in den Ardennen war Daniel Ricciardo im Training mit einem auffällig flachen Heckflügel unterwegs. "Wir konnten sehen, dass ein paar Konkurrenten wie Red Bull in Spa mit Low-Downforce-Flügeln experimentiert haben", beobachtete Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff. Auf den Vollgas-Passagen des ersten und letzten Streckenabschnitts bescherte der Flügel Ricciardo Sektor-Bestzeiten, im kurvenreichen Sektor zwei dagegen verlor er dramatisch. Einen Tag später war der Flügel plötzlich wieder verschwunden und sollte nie wieder auftauchen - zumindest nicht in den Ardennen.

In Monza aber tauchte der superflache Flügel wieder auf. Diesmal auch am RB13 von Max Verstappen. Und superflach heißt an dieser Stelle wirklich superflach, selbst für Monza-Verhältnisse. "Was sie hier gebracht haben, war auf Messers Schneide. Ja, wir hatten ein Monza-Paket, aber das war keine Low-Downforce-Konfiguration", berichtete Wolff. Während man bei Mercedes und Ferrari somit zumindest noch klar einen Anstellwinkel erkennen konnte, ließ der sich bei Red Bull nur noch erahnen. "Wir haben alles auf Low-Downforce, sprich das Auto ist auf Überholen getrimmt", bestätigte Motorsportberater Helmut Marko bei Motorsport-Magazin.com.

2. - Red Bulls Highspeed-Setup

Der Lohn dieses radikalen Setups: Der Flügel verlieh Flügel - extrem gute Topspeeds bei Red Bull. Im Rennen erzielten Verstappen und Ricciardo den dritt- und viertbesten Wert aller 20 Fahrer. "Es sieht von außen spooky aus, aber im Auto hat man trotzdem recht viel Grip", sagte Ricciardo. "Es sieht klein aus, ja. Aber da ist noch Grip in der Parabolica." Heißt: Der Red Bull erzielte nicht nur eine hohe Endgeschwindigkeit, sondern verlor auch beim Beschleunigen keine Welten. Ein ideales Rezept für Monza.

3. - Red Bulls verbessertes Chassis

Doch auch sonst war der Red Bull in Monza nahezu perfekt abgestimmt. "Das Chassis hat hier sehr gut funktioniert", sagte Christian Horner. "Das Auto hat sich stark verändert. Wir haben einen guten Kompromiss gefunden. Das Auto war extrem stark auf den Bremsen, vor allem bei Daniel, als er Räikkönen mit sehr viel Anlauf überholen konnte, hat man es gesehen. Wir haben hier eine gute Balance gefunden", berichtete Red Bulls Teamchef.

Einen Beleg dafür, dass der RB13 jedoch nicht nur auf Low-Downforce getrimmt war, sondern Red Bull mit dem Boliden auch grundsätzlich einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht hat, lieferte indessen das Qualifying. Einige Teams opferten für bessere Startpositionen zumindest ein Stückweit Topspeed am Rennsonntag, nicht Red Bull. Umso erstaunlicher, dass Ricciardo und Verstappen sich dennoch in der Regensession auf P2 & P3 qualifizierten bevor es wegen Gridstrafen nach hinten ging.

"Wir haben hauptsächlich in Sektor drei verloren und da sind die schnellen Kurven. Die Leistung unserer Piloten ist unglaublich, aber es spricht auch für das Chassis, dass wir mit so wenig Downforce auf Zwei und Drei fahren können", sagte Motorsportberater Marko zu Motorsport-Magazin.com.

4. - Red Bulls Renault-Power-Unit

Damit nicht genug. Ebenfalls für das starke Chassis Red Bulls in Monza spricht der Vergleich mit dem Renault-Werksteam, in Monza nur ein Schatten der jüngeren Erfolge von Spa und Silverstone. "Der Renault war auf einigen Strecken richtig schnell, hier waren sie aber hinter uns", beobachtete Haas-Teamchef Günther Steiner. Während Red Bull in Monza glänzte, ging Nico Hülkenberg völlig unter, erlebte mit P13 eine herbe Enttäuschung.

Red Bull also besser als zuvor, Renault schlechter. Heißt: Red Bull hat es in Sachen Chassis und Setup einfach viel besser gemacht als die Franzosen. Allerdings spielt hier wohl auch die Power Unit eine Rolle. Verstappen und Ricciardo erhielten in Monza eine ganze Reihe brandneuer Elemente, jeweils ICE, MGU-H und TC, bei Hülkenberg war es nur die MGU-H. Einen gewissen Beitrag wird die frische Power also ebenfalls geleistet haben.

Einen wirklich großen Anteil am Fortschritt misst Christian Horner dem allerdings nicht zu: "Mercedes war auf dieser Strecke in einer eigenen Liga. Wir müssen nicht diskutieren, wer die meiste Power hat. Es ist offensichtlich, wo uns noch Pace fehlt."

5. - Red Bulls Reifen-Strategie

Aus den Gridstrafen-bedingten schlechten Startplätzen machte Red Bull im Rennen eine Tugend. Nicht nur, dass man den RB13 dank Low-Downforce zum Überholmonster getrimmt hatte, noch dazu wählte Red Bull auch eine clevere Strategie: Sowohl Max Verstappen als auch Daniel Ricciardo starteten auf der soften Reifenmischung. Aufgrund der guten Haltbarkeit der Pirelli-Pneus in Monza wäre das in der Spitzengruppe sinnlos gewesen. Im Pulk aber war es die genau richtige Entscheidung.

Denn so verspielte Red Bull im Verkehr nicht den Vorteil des schnelleren Supersofts, konnte extrem lang fahren. Erst nach 37 Runden kam Daniel Ricciardo zum Reifenwechsel. Dank der allgemein starken Pace seines Red Bull gelang es komfortabel, durch einen somit 20 Runden starken Overcut die komplette Kampfgruppe Ocon/Stroll/Massa an der Box zu überholen. Somit lag Ricciardo bereits auf P5, unmittelbar hinter Kimi Räikkönen, der - mit älteren und härteren Reifen ausgerüstet - dann trotz Ferrari-Motorisierung ein leichtes Opfer für den Australier war. "Die Strategie mit den Reifen konnten wir umsetzen", resümierte Horner abgeklärt den klugen Schachzug seines Teams.

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Red Bull jetzt echter Gegner für Mercedes & Ferrari

Doch wie geht es jetzt weiter? Mausert sich Red Bull in der F1-Saison 2017 wider Erwarten doch noch zum Gegner für Ferrari und Mercedes? Toto Wolff zweifelt noch, sieht Red Bulls Stärke im Vergleich zu Ferrari mehr als Schwäche der Scuderia. "Für mich sah es so aus, als ob Ferrari irgendwie einen Schritt zurück gemacht hat. Ich denke, wir waren sehr solide aber sie haben nicht abgeliefert, so wie alle es erwartet hatten. Red Bull startete ja vom Ende des Feldes und wurde fast Dritter. Da stimmt etwas nicht", sagte der Motorsportchef in Monza.

Red Bull selbst jedoch hat in Monza kräftig Zuversicht getankt. "Wir sind jetzt optimistischer", sagte Helmut Marko zu Motorsport-Magazin.com. Christian Horner ergänzt auf Nachfrage unserer Redaktion zu den Gridstrafen in Italien: "Monza war der strategisch richtige Ort, damit wir für die kommenden rennen in einer besseren Situation sind. Da hoffen wir wettbewerbsfähig zu sein. Ob Siege drin sind, weiß ich nicht. Aber in Singapur können wir sicherlich näher an Mercedes und Ferrari rankommen."

Max Verstappen jedenfalls nimmt schon einmal das Podium ins Visier. "Dieses Rennen war in der Vergangenheit ein starkes für uns, also denke ich, dass wir dieses Jahr um ein Podium kämpfen können." Daniel Ricciardo geht das nicht weit genug. Der Australier fühlt sich von seinem Husarenritt in Monza sogar derart beflügelt, dass er mit dem RB13 jetzt auch auf anderen Strecken als nur engen Kursen Großes wittert: "Ich glaube, dass Singapur nicht unsere einzige Chance, aber unsere beste Chance auf einen Sieg in der zweiten Saisonhälfte sein wird."