Nach der großen Mercedes-Dominanz in Monza ist vor der noch größeren Angst-Strecke Singapur. Gerade hat Lewis Hamilton als erster Fahrer der Formel-1-Saison 2017 zwei Rennen hintereinander gewonnen, da droht auf dem engen Straßenkurs in Südostasien schon wieder der nächste Rückschlag im extrem engen WM-Duell gegen Sebastian Vettel.

Zwar führt Hamilton dank seines Coups im Wohnzimmer von Ferrari erstmals in diesem Jahr in der WM, doch beträgt der Vorsprung auf seinen Ferrari-Widersacher Vettel alles andere als komfortable drei Zähler. Gibt Ferrari auch in Singapur die Pace vor - schon auf den anderen sehr winkeligen Kursen von Ungarn und Monaco war die Scuderia eine Klasse für sich gewesen - dürfte den Silberpfeilen der nächste Ferrari-Doppelsieg blühen. Und damit der sichere Verlust der WM-Führung Hamiltons, findet Ferrari doch immer einen Weg, dass auch garantiert das richtige rote Auto gewinnt.

Mercedes mit Nachholbedarf auf winkeligen Kursen

Heißt für Mercedes: Irgendwie auch mal auf einem engen Kurs wie Singapur die Kurve bekommen, langer Radstand, Reifen-Rätsel und teilweise divenhaftes Verhalten des F1 W08 EQ Power+ hin oder her. Aber wie vorbereiten? Vielleicht hilft ja eine Testfahrt. Am Donnerstag und Freitag nach dem Italien GP in Monza testet Mercedes zwei Tage lang mit Pirelli in Paul Ricard.

Pirellis Test-Fahrplan für 2017

Datum Strecke Team Reifen
18. - 19. April Bahrain Ferrari (1 Tag) Trocken
16. - 17. Mai Barcelona Renault, Toro Rosso (je 2 Tage) Trocken
31. Mai - 1. Juni Paul Ricard Red Bull (2 Tage) Regen
29. - 30. Juni Paul Ricard Red Bull (2 Tage) Trocken
18. - 19- Juli Silverstone Williams, Haas (je 2 Tage) Trocken
19. - 20. Juli Magny-Cours McLaren (2 Tage) Regen
1. - 2. August Budepest Mercedes (1 Tag) Trocken
3. - 4. August Barcelona Ferrari (2 Tage) Trocken
7. - 8. September Paul Ricard Mercedes (2 Tage) Trocken
31. Oktober - 1. November Mexiko Sauber (2 Tage),
Force India (1 Tag)
Trocken
14. - 15. November Interlagos McLaren (2 Tage) Trocken

Dieser Test dient allerdings einzig dem italienischen Reifenfabrikanten zur Entwicklung der Pneus für die Formel-1-Saison 2018 - andere Testfahrten mit den aktuellen Boliden sind, abgesehen von den offiziellen Testfahrten und den stark regulierten Filmtagen, in der F1 ja auch weiterhin streng untersagt. Noch dazu ist bei dem Test mit Pirelli jede Art von Upgrade untersagt. Dennoch verspricht sich auch Mercedes von dem Test einen eigenen Erkenntnisgewinn - und zwar nicht nur Mercedes, sondern offensichtlich im Speziellen Lewis Hamilton.

Hamilton bietet Pirelli seine Test-Dienste selbst an

"Ich habe diese Woche noch ein paar Verpflichtungen. Dieses Jahr ist es anders als in der Vergangenheit", deutete der Brite nach seinem Sieg in Monza zunächst nur an. Dann ließ Hamilton die Katze aus dem Sack: "Diese Woche habe ich Montag frei und muss Dienstag, Mittwoch, Donnerstag arbeiten. Ich fahre einen Test, das ist bei mir sehr selten. Ich freue mich aber darauf. Ich habe mich angeboten - also freue ich mich irgendwie darauf."

Ein freiwilliger Test also seitens Lewis Hamilton - das grenzt fast schon an ein Wunder, gilt der Brite seit jeher nicht als der größte Liebhaber von Testfahrten. Ganz im Gegenteil: Bei den Wintertestfahrten 2015 brach Hamilton nach zwei Stunden den ersten Testtag ab - krank. Einen Reifentest für Pirelli Mitte Oktober 2016 in Barcelona sagte Hamilton kurzfristig sogar komplett ab. Wegen einer Fußverletzung, hieß es damals. Nur einen Monat später grassierte erneut die Test-Allergie des Lewis Hamilton: In Abu Dhabi brach der Brite nach einigen Runden einen weiteren Reifentest ab, Hamilton fühle sich nicht wohl, ließ Mercedes wissen. "Ich bin kein Tester", erinnerte Hamilton auch in Monza noch einmal selbst.

Erklärt: Die neuen F1-Reifen: (01:37 Min.)

Kuriert der enge WM-Kampf gegen Vettel Hamiltons Test-Allergie?

Doch warum bittet der Brite jetzt plötzlich sogar um eine Testfahrt, bietet sich sogar freiwillig an? Sieht sich Hamilton im heißen WM-Fight gegen Sebastian Vettel jetzt sogar gezwungen eine seine vielleicht größten Abneigungen abzulegen? Alles deutet darauf hin. Welchen Grund könnte es sonst dafür geben? Immerhin mutmaßten zu Saisonbeginn 2017 nicht gerade wenige Experten und F1-Beobachter, Ferraris sehr viel besseres Verständnis der neuen Pirelli rühre von Sebastian Vettels großem Engagement bei der Entwicklung der neuen Reifen.

Zum Vergleich: Insgesamt testete Hamilton im Zuge des 2016er Marathon-Programms Pirellis zur Entwicklung der neuen Generation breiterer Reifen ab 2017 so gut wie nie. Gerade einmal 50 Kilometer spulte der Brite ab, auch Rosberg hielt sich mit 209 Kilometern extrem zurück. Mercedes setzte fast ausschließlich auf Ersatzmann Pascal Wehrlein. Ganz anders Ferrari. Bei der Scuderia erledigten die Stammfahrer den Hauptjob: Sebastian Vettel, der sich mit 2.228 Kilometern mühelos zum Testkaiser Pirellis krönte und Kimi Räikkönen, der mit 1.054 Kilometern ebenfalls ein vielfaches Pensum der Mercedes-Stammpiloten abspulte.

Jedes Detail kann entscheiden

Mercedes rechtfertigte sich Mitte der laufenden Saison rückblickend damit, der intensive WM-Kampf zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg habe das Team dazu veranlasst, die beiden Kontrahenten zusätzlich nicht auch noch mit Reifentests für die Zukunft zu belasten. "Beide haben gesagt, dass sie durch Testfahrten mit den nächstjährigen Reifen zumindest in ihrer Konzentration auf den Titelkampf 2016 gestört werden würden. Daher war es verständlich", berichtete Toto Wolff.

Allerdings gestand der Motorsportchef Mercedes' auch, damit womöglich einen fatalen Fehler begangen zu haben. "Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich sie wohl etwas stärker dazu drängen, die neuen Reifen zu testen", ergänzte Wolff. Genau das scheint sich Lewis Hamilton nun selbst zu Herzen genommen zu haben - auch wenn es nicht mehr um wirklich neue Reifen geht, er wieder mitten in einem engen Titelkampf und der Erkenntnisgewinn für die noch laufende Saison zumindest nicht überragend ausfallen dürfte. Dennoch: In einem so engen WM-Kampf wie dem zwischen Sebastian Vettel und Lewis Hamilton 2017 kann am Ende selbst das kleinste Detail über Sieg und Niederlage entscheiden …