Die Geschichtsbücher der Formel 1 sind um einen epischen Moment reicher. In Monza sorgten Wetterkapriolen für ein Marathon-Qualifying mit jeder Menge Überraschungen. Einzig an der ultimativen Spitze blieb eine Sensation aus. Einmal mehr hieß der Mann des Tages Lewis Hamilton: Sechste Monza-Pole für den Briten, seine achte der Saison und insgesamt 69. der Karriere - die Entthronung des bisherigen Pole-Königs Michael Schumacher. Entsprechend braucht man gar nicht groß um den heißen Brei herum reden: Beste Voraussetzungen für den Briten beim Italien GP. Der Mercedes-Star ist ohne jeden Zweifel der absolute Top-Favorit auf den Rennsieg im Ferrari-Land.

Hamilton in Monza mit Youngster-Puffer auf Vettel

Denn: Schon direkt hinter Hamilton offenbart sich ein doppeltes Wunder zu seinem Vorteil. Von P2 und P3 starten die Rookies Lance Stroll und Esteban Ocon in den Italien GP. Erst auf den Plätzen folgen mit Hamiltons Mercedes-Kollege Valtteri Bottas und den Ferrari von Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel, die im Qualifying vollkommen untergingen, wirklich konkurrenzfähige Gegner. Ein ordentlicher Puffer also für den WM-Zeiten Hamilton auf seinen schärfsten Rivalen aus Deutschland.

Ein Puffer, der sogar noch deutlich größer hätte ausfallen können - wären da nicht die Motorenstrafen gegen Red Bull, im Qualifying Zweiter und Dritter, gewesen. „Echt unglücklich für diese Jungs, denn sie haben einen echt tollen Job gemacht. Es wäre toll gewesen, wenn sie da geblieben wären und sie als weiteren Puffer auf die Jungs dahinter zu haben. Aber es ist auch großartig, diese Youngster da zu sehen“, sagt Hamilton.

Trotz Renault: Red Bull in Monza Überholmaschine?

Doch ein Stückweit sollte der Mercedes-Pilot auch erleichtert sein über die Strafen gegen Daniel Ricciardo und Max Verstappen: Als Rennauto sollte der Red Bull nämlich einen kaum schwächeren Mercedes-Widersacher darstellen als der Ferrari, arbeitete Red Bull in den Trainings am Freitag doch ausschließlich an der Longrun-Pace. Das allerdings auch nur, weil eben klar war, wegen der Strafen in einem regulären Qualifying eigentlich ohnehin keinen Stich setzen zu können.

Weil das dank des Regens nun doch ganz anderes kam, noch dazu zahlreiche andere Piloten strafversetzt wurden, gestaltet sich die Ausgangslage für Red Bull mit P14 und P17 im Grid nun sogar noch recht versöhnlich. Zumal die Longrun-Arbeit am Freitag vielversprechende Resultate lieferte: Sowohl auf Soft als auch Supersoft spielten die Bullen in einer Liga mit Ferrari.

Longruns auf Supersoft-Reifen

FahrerDurchschnittliche RundenzeitAbstandReifenalterSession
Valtteri Bottas1:24,763 Minuten14FP2
Lewis Hamilton1:24,975 Minuten+ 0,212 Sekunden15FP2
Kimi Räikkönen1:25,681 Minuten+ 0,918 Sekunden22FP2
Max Verstappen1:25,894 Minuten+ 1,131 Sekunden17FP2
Daniel Ricciardo1:25,948 Minuten+ 1,186 Sekunden18FP1

Damit nicht genug: "Wir haben alles auf wenig Downforce eingestellt. Das Auto ist aufs Überholen getrimmt", berichtet Motorsportberater Helmut Marko. Trotz Renault-Nachteils gegenüber Ferrari und Mercedes könnte Red Bull somit auch auf der Geraden zumindest über gewisse Chancen verfügen. Doch taugt das angesichts der Startplätze noch zur (erweiterten) Favoritenrolle? Nein, meint Verstappen. "Realistisch betrachtet dürften die Plätze fünf und sechs für uns das Ziel sein“, sagt der Niederländer. „Aaaah, vielleicht können wir es mit Lewis im Kampf um den Sieg aufnehmen!“, wirft Ricciardo augenzwinkernd ein.

Strategie als Ferrari-Rettung? Wohl kaum

Erster Profiteur der ernst zu nehmenden Sieganwärter in Monza: Valtteri Bottas, mit P4 immerhin noch mit einem Startplatz in für ihn normalen Sphären. „Aufgrund der Strafen für die Red Bull-Fahrer starte ich morgen trotzdem von Platz vier. Das ist nicht schlecht. Zudem ist es sicher gut, vor den beiden Ferrari zu starten“, weiß Bottas. „Die wichtigste Erkenntnis des heutigen Nachmittags ist, dass wir das Rennen vor den Autos unseres direkten Konkurrenten beginnen werden - und es ist unser Ziel, dass dies auch bis zur Zielflagge so bleibt“, bestätigt Toto Wolff.

Ein durchaus gewichtiger Faktor. Nicht umsonst hatte Sebastian Vettel in dieser Saison bereits mehrfach den großen Vorteil einer besseren Startposition angesprochen. Selbst mit besserer Rennpace scheiterte Ferrari so allein aufgrund mangelnder Track Position bereits mehrfach an Mercedes, erst zuletzt in Spa. Insbesondere in Monza dürfte sich dieser Faktor einmal mehr dramatisch zugunsten der Silberpfeile auswirken, erwartet Pirelli doch nichts als Einstopper. Heißt: Strategisch bieten sich Ferrari so gut wie keine Möglichkeiten, Mercedes unter Druck zu setzen.

Doch setzt Sebastian Vettel bei seiner kleinen Aufholjagd von P6 ohnehin auf die wohl allen Rennfahrern sehr viel genehmere Variante. „Es ist ein langes Rennen. Wir müssen ein bisschen überholen. Aber das kannst du hier ja“, sagt Vettel. „Außerdem haben wir ein gutes Auto, also müssen wir uns keine Sorgen machen. Wir können morgen viel Boden gutmachen. Das Auto ist schnell - das wissen wir“, sagt Vettel kämpferisch. „Es sollte ein lustiges Rennen werden.“

Ferrari hofft auf erneute Auferstehung über Nacht

Mit Blick auf die Longruns vom Freitag spricht diesbezüglich jedoch nur wenig für Ferrari: Mercedes schockte mit um eine Sekunde schnelleren Durchschnittszeiten. Aber: Ähnliches haben wir in dieser Saison schon häufiger gesehen. Noch dazu sind wie üblich die Spritmengen unbekannt, zudem gelang Ferrari in der Regel eine dramatische Verbesserung im Lauf des Wochenendes.

Longruns auf Soft-Reifen

FahrerDurchschnittliche RundenzeitAbstandReifenalterSession
Valtteri Bottas1:24,668 Minuten11FP2
Daniel Ricciardo1:25,652 Minuten+ 0,984 Sekunden13FP2
Sebastian Vettel1:25,672 Minuten+ 1,004 Sekunden25FP2
Max Verstappen1:25,826 Minuten+ 1,157 Sekunden17FP2

Wohl auch deshalb regiert bei der Scuderia die Zuversicht - nicht nur auf Vettel-Seiten. „Wir wissen, dass wir im Trockenen natürlich viel besser sein sollten. Ich bin sicher, dass das Auto viel stärker sein und gut funktionieren wird. Es wird morgen ganz anders sein“, sagt Kimi Räikkönen. Ganz anders trifft es tatsächlich sehr gut, wird sich das Wetter aktuellen Prognosen zufolge um 180 Grad drehen: Statt Regen erwartet die Formel 1 am Sonntag strahlender Sonnenschein und spätsommerliche Temperaturen knapp unter 30 Grad.

„Es könnte in Sachen Temperaturen möglicherweise hart werden“, warnt Lewis Hamilton vor dem vielleicht größten - oder besser gesagt einzigen - Risikofaktor für seinen Sieg. Genau dieser Wetterumschwung lässt auch Toto Wolff zumindest nicht völlig überzeugt vom Mercedes-Sonntagscoup Schlafen gehen. „Die Wettervorhersage lässt warme und trockene Bedingungen erwarten. Somit erwartet uns keine Spazierfahrt“, sagt der Motorsportchef. Zumal Ferrari nie zu unterschätzen sei. „Ferrari wird wettbewerbsfähig sein, also müssen wir unsere Arbeit erledigen“, übt sich Wolff in Understatement.