Die Rollenverteilung bei Ferrari schien spätestens seit dem Großen Preis von Ungarn klar: Kimi Räikkönen macht für Sebastian Vettels WM-Kampf nach Möglichkeit den Weg frei. WM-Leader Vettel widersprach dem am Donnerstag in Monza jedoch. Laut ihm hat der Iceman bisher noch in keinem Rennen für seine Titelchancen zurückgesteckt.

"Ich bin etwas überrascht darüber, wie die Dinge dargestellt werden", will der viermalige Weltmeister auf den allgemeinen Tenor, Ferrari habe ihn längst zur Nummer eins auserkoren, nicht einstimmen. Die Scuderia ist seit jeher dafür bekannt, auf eine klare Rollenverteilung zu setzen und dementsprechend frühzeitig den Fahrer mit den besseren Chancen auf den Weltmeistertitel anzusetzen.

In Monaco und Budapest fuhr Vettel zwei nicht ganz unumstrittene Siege ein. Im Fürstentum stand die Vermutung im Raum, dass der rote Kommandostand ihn mit der besseren Strategie an Räikkönen vorbeilotste. In Ungarn war es beinahe offensichtlich, als Vettel trotz defekter Lenkung vom hinter ihm fahrenden und zweifelsohne schnelleren Finnen nicht attackiert wurde. Ein Abschirmen durch den Teamkollegen vor Erzrivale Lewis Hamilton sah Vettel nicht.

"Ich habe nach dem Ungarn GP gehört, dass er mich beschützt haben soll. Wenn ihr mit ihm redet, wird er euch eine sehr deutliche Antwort geben", will Vettel von Schützenhilfe Räikkönens nichts wissen. "Kimi und ich sind das ganze Jahr hart gegeneinander gefahren", beteuert er. Obwohl der Iceman im Funk reklamierte, aufgehalten zu werden und in die Hände der Silberpfeile zu fallen, glaubt Vettel, dass er sich hinter ihm nicht zurückhielt.

"Ich denke nicht, dass er sich zurückgehalten hat. Wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, mich zu überholen, hätte er es versucht und daran ist nichts verkehrt", so Vettel, der einen offenen Kampf gegen den Stallgefährten sieht. "Es wäre andersherum genauso gewesen. Wir fahren für das Team Rennen und geben beide unser Bestes." Eine Aussage die eher so klingt, als würde Vettel unter Toto Wolff und nicht unter Maurizio Arrivabene dienen. Denn bei Mercedes war von Teamorder für den Titelkampf bisher tatsächlich noch nichts zu sehen.

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Hamilton: Ferrari dank Stallregie ein erfolgreiches Team

"Ich weiß nicht, was die anderen Teams machen. Aber wir geben beide Vollgas und schauen dann, was passiert", fügt Vettel an. Sein WM-Rivale Lewis Hamilton sieht das etwas anders. In der ersten Saisonhälfte wurden bei Mercedes lediglich Plätze getauscht, um bessere Einzelresultate zu erzielen beziehungsweise um die Siegchancen gegen Ferrari zu erhöhen. Eine Bevorzugung eines Piloten zur Verbesserung dessen WM-Chancen gab es noch nicht.

Abgesehen davon kennt Hamilton das Gefühl, von einem Team als Nummer eins behandelt zu werden, überhaupt nicht. "Es wäre für mich eine sehr ungewöhnliche Sache", so der Brite, der sich in seinem Debüt-Jahr in der Königsklasse mit Fernando Alonso um die Vorherrschaft bei McLaren Mercedes duellierte und in den vergangenen Jahren mit Nico Rosberg im Clinch lag.

"Wir haben unsere Meinung darüber, wie Ferrari es in all den Jahren gemacht hat. Sie wurden dadurch zu einem der erfolgreichsten Teams", erinnert Hamilton an die klassische Rollenverteilung bei Ferrari, die stets einen der beiden Fahrer bevorteilte. Er gesteht aber auch, dass eine Strategie wie die der Scuderia auch ihm in der Vergangenheit hätte helfen können: "Wir haben deshalb Meisterschaften verloren."

Hamilton selbst beteuert allerdings, auf derartige Klauseln in seinen Verträgen nie Wert gelegt zu haben: "Wenn ich mich Teams angeschlossen habe, habe ich immer gesagt, dass ich den Unterschied selbst machen will. Aber dies ist auch ein Sport, in dem das Team eine entscheidende Rolle spielt. Du selbst kannst nur bis zu einem gewissen Grad einen Unterschied machen."

Hamilton: Vettel hatte es einfacher

Bei Red Bull musste sich Vettel gelegentlich mit dem aufmüpfigen Mark Webber auseinandersetzen, hatte zumeist jedoch die Oberhand. Erst in seinem letzten Jahr bei Red Bull, als er 2014 den jungen Daniel Ricciardo zur Seite gestellt bekam, musste er die erste und bis dato einzige teaminterne Niederlage seiner Karriere hinnehmen. Hamilton meint trotzdem: "Für Seb war es ein kleines Bisschen einfacher in den Kämpfen, die er hatte. Ich kann nicht sagen, wie sich das anfühlt."

In Spa wurde Mercedes-Aufsichtsrat Niki Lauda erstmals deutlich, wen er bei den Silberpfeilen als Speerspitze im WM-Kampf sieht. Für den Österreicher ist Hamilton der Favorit. Dementsprechend wollte er auch nicht ausschließen, dass Valtteri Bottas in der heißen Phase Schützenhilfe leisten muss. Für Monza wurde laut Hamilton noch keine derartige Vereinbarung getroffen: "Seit Spa hat sich nichts geändert. Ich habe nicht mit dem Team gesprochen, das ist auch nicht mein Job."

Wenn es eine Teamorder gibt, wird diese von Teamchef Toto Wolff ausgesprochen. "Du hoffst, dass das Team zu einem bestimmten Zeitpunkt eigene Entscheidungen trifft. Ich habe das Gefühl, dass ich die Unterstützung der Mannschaft habe", so der dreimalige Weltmeister, der seiner Philosophie treu bleiben und Vettel ohne Hilfe vom Kommandostand besiegen will: "Valtteri wird immer stärker und mein Ziel ist, auch immer stärker zu werden und vor ihm zu bleiben."