Das Thema Stallorder hat den Ungarn GP dominiert wie kein anderes. Und das völlig kurios: Ferrari nutzte Stallregie, obwohl keine Position verändert wurde - weil der klar schnellere Kimi Räikkönen trotz Risiken nicht den unter einem schiefen Lenkrad leidenden Sebastian Vettel überholen durfte. Mercedes dagegen nutzte keine Teamorder, obwohl die Silberpfeile ihren Piloten einen Positionswechsel diktierten.

Hintergrund: Lewis Hamilton war nur an Valtteri Bottas vorbeigeschleust worden, weil er über die besseren Angriffschancen auf Ferrari verfügte. Dennoch scheiterte der Brite, sodass er den Finnen noch in der letzten Kurve überholen ließ, Bottas so drei Punkte für P3 statt P4 schenkte. Anders ausgedrückt: Hamilton verzichtete zugunsten von Fairplay auf drei WM-Zähler. Drei in der Endabrechnung vielleicht entscheidende Zähler. In die Sommerpause geht Hamilton nun mit 14 statt 11 Punkten Rückstand auf Vettel - und von hinten ist auch noch Bottas wieder näher gerückt, auf 19 Zähler.

Hamilton: Ob mir das mal in den Hintern beißt ...

"Der Kopf sagt, dass jeder Punkt zählt. Aber mein Herz hat gesagt, dass es das Richtige war. Und ich will die Weltmeisterschaft auf die richtige Weise gewinnen", erklärt Hamilton seine Entscheidung, Platz zu machen. Längst nicht jeder hatte mit dieser Geste des dreifachen Champions gerechnet, doch Hamilton bewies großen Sportsgeist, wurde der Sieger der Herzen. Dabei wusste der Brite genau um die potentiellen Konsequenzen seines Handelns. "Ich weiß nicht, ob mir das mal in den Hintern beißt ...", so Hamilton vielsagend.

Doch hofft der Mercedes-Pilot noch vielmehr, dass er für seine gute Tat von höchster Stelle, einer höheren Macht, reich belohnt werden wird. "Ich habe zu Beginn des Jahres gesagt, dass ich es richtig machen will. Heute haben wir Einheit gezeigt und wenn du im Leben Gutes tust, kommt Gutes zurück. Hoffentlich zahlt sich das in Zukunft aus", sagt Karma-Hamilton. Direkt in Form von Punkten? "Ich glaube nicht, dass ich diese drei Punkte jemals zurückbekomme. Was passiert ist, ist passiert", sagt Hamilton. "Ferrari hat als Team viel weniger Punkte aufgegeben als wir."

Stichwort Ferrari. Wie sehr hat sich eigentlich Vettel über Hamiltons Aktion gefreut. Ein freiwilliger Punktverzicht des schärfsten Konkurrenten als mögliche WM-Entscheidung? "Weiß ich nicht", wiegelt Vettel ab. Noch dazu hält der Deutsche Hamiltons von vielen Seiten so hoch gelobte und bestaunte Aktion für nichts als Tagesgeschäft. "Ich glaube, es ist nicht das erste Mal, dass das jemand probiert hat. Wenn es klappt ist es toll. Wenn nicht, dann ist es glaube ich normal, dass man dann wieder Platz macht", meint Vettel.

Wolff: Wäre der Erste, der sich ins Knie schießt

Als völlig normal stuft auch Toto Wolff das Vorgehen in Ungarn ein - zumindest normal bei Mercedes. Man sei nur den eigenen Wertmaßstäben gefolgt. "Wir wollen als Team so arbeiten. Wir halten uns an das, was wir ankündigen, und dann nehmen wir die Konsequenzen - auch wenn das heißt, die WM zu verlieren - in Kauf", sagt der Motorsportchef. "Denn am Ende werden wir weit mehr Rennen und Titel mit diesem Ansatz gewinnen, als wenn wir uns für das Gegenteil entscheiden", meint Wolff. Noch dazu habe man mit genau diesem Ansatz in den vergangenen Jahren bereits sechs Titel erzielt, ergänzt der Österreicher.

Dennoch: Das Bewusstsein, in Ungarn durch Fairplay potentiell den Fahrertitel selbst verspielt zu haben, existiert diesen Aussagen zufolge ebenfalls bei den Silberpfeilen. Das verdeutlichen obendrein die TV-Bilder aus der Mercedes-Garage, gerade als Hamilton Bottas wieder hatte passieren lassen. Die zeigten einen sichtbar ärgerlichen Toto Wolff, der aus der Emotion heraus mal wieder den Tisch eines Belastungstests unterzog.

"Heute hat es Lewis drei Punkte gekostet. Und möglicherweise kostet genau das am Ende auch den Titel, das ist uns völlig bewusst", berichtet Wolff auch mit etwas Abstand am Abend nach dem Rennen. Es sei eine absolut riskante Entscheidung gewesen. "Vielleicht die schwierigste, die wir in den vergangenen fünf Jahren treffen mussten. Ich bin auch gerade nicht besonders glücklich", gestand der Mercedes-Teamchef.

Am Ende zählt eben der Erfolg noch immer mehr als jeder Wert oder Grundsatz. Und was das angeht weiß Wolff genau: "Es wäre naiv zu sagen, dass wir diese Entscheidung sicher nie bereuen. Wenn wir jetzt die WM mit zwei, drei Punkten Rückstand verlieren, werden alle sagen: Budapest ist der Grund. Und ich wäre der Erste, der sich ins Knie schießen würde."

Doch sahen die vergangenen Wochen eigentlich nicht danach aus, als müsse sich Mercedes um eine so knappe Niederlage Sorgen machen. Vier Rennen hintereinander war jeweils mindestens ein Silberpfeil unantastbar für Ferrari. Die Trendwende schien eingeleitet, Mercedes die Oberhand gewonnen zu haben. Doch dann der Ungarn GP und eine unglaubliche Performance von Ferrari. Diesmal waren die Mercedes-Fahrer die chancenlosen, wären ohne die Lenkungsprobleme Vettel weit abgeschlagen hinter der Ferrari-Doppelspitze ins Ziel gefahren.

Ausblick Mercedes vs. Ferrari: Schlüsselfaktor Streckenlayouts

Eine mögliche Erklärung: die Strecke. Schon in Monaco, ebenfalls extrem winkelig wie Ungarn, war Ferrari unschlagbar. Auf den schnellen Kursen samt langen Geraden setzte sich dagegen Mercedes durch. Mit Singapur steht nun jedoch nur mehr eine extrem enge Strecke im Restprogramm. Entsprechend blickt Hamilton der zweiten Saisonhälfte optimistisch entgegen - ob mit drei Punkten mehr oder weniger. "Wir haben alle Fähigkeiten, die WM zu gewinnen. Aber es braucht 100 Prozent Einsatz, um es zu schaffen", sagt der WM-Zweite. Er selbst und Mercedes müssten stärker aus der Sommerpause zurückkommen.

"Wir arbeiten hart, um das Auto zu verbessern - denn wenn uns keine Fortschritte gelingen wird es knifflig", bestätigt Valtteri Bottas. "Wir müssen besser werden, die sind schnell in den Kurven. Wir müssen an unserem Downforce-Paket arbeiten. Es kommen noch viele Strecken, die Downforce erfordern. Spa ist Effizienz, Monza ist Low-Downforce, aber Singapur braucht dann schon wieder Downforce", mahnt der Finne. "Aber die nächsten zwei Rennen sollten auf dem Papier im Vergleich zu Ferrari besser sein. Aber sie haben gute Fortschritte gemacht", warnt Bottas.

Damit ist sich der Finne fast völlig einig mit Vettel. "In meinen Augen haben wir das beste Auto. Ein Auto, das überall konkurrenzfähig ist. Wir hatten Kurse, auf denen es weniger konkurrenzfähig war, aber furchtbar war es nie. Und wir haben die beste Downforce, was für viele Jahre nicht der Fall gewesen ist. Am Ende können wir den Unterschied machen und haben das bisher auch getan", sagt der Ferrari-Pilot. Einziger Unterschied ist die Erwartungshaltung für Spa. Anders als Bottas sieht Vettel Ferrari in den Ardennen gut aufgestellt. "Als nächstes kommt der Belgien GP. Unser Auto war dort gut und ich denke, dass wir noch ein paar Verbesserungen bringen, also sollte alles in Ordnung sein."

Räikkönen und der bittere Doppelsieg (04:40 Min.)

Teamkollege Kimi Räikkönen, in der WM mit fast 90 Punkten Rückstand im Grunde schon sicher aus dem Rennen, blickt etwas konservativer in Richtung Belgien. "Wenn du nur nach dem gehst, was jetzt ist, dann würdest du sagen, dass es dort nicht so leicht für uns werden wird wie hier", sagt Räikkönen. "Aber natürlich versuchen wir uns zu verbessern; besonders im Qualifying. Mercedes hat da mehr Pferdestärken. Wir sehen dann in Spa, was geschieht."

Vettel: Mission Spitze erfüllt, jetzt nachlegen

Ähnlich unverkrampft blickt auch Vettel der zweiten Saisonhälfte entgegen. So kümmere er sich noch immer nicht um den WM-Stand. "Es ist ja ok. Es könnte schlechter aussehen", sagt Vettel nur. "Alles in allem war die Mission, zurück an die Spitze zu gelangen, deshalb hatten wir natürlich bisher ein großartiges Jahr", ergänzt der Ferrari-Pilot.

Vettel weiter: "Ich denke, das Wichtigste ist einfach, dass wir immer da gewesen sind, immer eine gute Pace hatten. Also denke ich nicht, dass es irgendetwas gibt, vor dem wir in den nächsten Rennen Angst haben sollten." Ohnehin sei jetzt erst einmal Sommerpause. "Wenn man so ein Rennen hat, das insgesamt positiv war, willst du eigentlich gleich das nächste Rennen fahren", sagt Vettel zwar. "Aber die Pause tut jetzt auch mal ganz gut. Wir haben alles gegeben was wir hatten und müssen die Batterien aufladen, um in der zweiten Saisonhälfte noch mehr zu geben!"