Sebastian Vettel und Ferrari gewannen den Ungarn GP auf dem Hungaroring, doch der moralische Sieger hieß Mercedes: Nachdem Valtteri Bottas Lewis Hamilton im Rennen vorbeilassen musste, gab Hamilton die Position in der letzten Kurve der letzten Runde an Bottas zurück. Während Ferrari an der Spitze ein großes Risiko einging, indem man Kimi Räikkönen nicht an Vettel vorbeilotste, obwohl der deutlich sichtbare Probleme hatte, setzte Mercedes nicht auf den WM-Favoriten Hamilton.

Doch von vorne: Die haarige Situation nahm ihren Lauf, als bei Mercedes der gesamte Kommandostand ausfiel. Auch die sogenannte 'Phantasy Island', Monitore und Kommunikation in der Garage, wurden plötzlich schwarz. Schuld daran war ein gebrochenes Glasfaserkabel. Mercedes hatte zwar alle Daten, aber nur in den Fabriken in Brackley und Brixworth.

Entsprechend ging es hin und her zwischen Strecke und Fabrik. Für Chef-Stratege James Vowles wurde es besonders stressig. "Teilweise musste er mit sechs bis sieben Leuten gleichzeitig kommunizieren", verriet Mercedes Motorsportchef Toto Wolff nach dem Rennen. Doch die Kommunikation mit den Fahrern konnte auch das nicht ersetzten.

In der Startrunde verlor Hamilton eine Position an Max Verstappen. Vorne an der Spitze konnten sich Vettel und Räikkönen von Bottas absetzen, hinter dem Mercedes-Piloten fuhren brav Verstappen und Hamilton her. Hamilton hatte nur beim Restart nach dem Safety-Car eine ernsthafte Chance, Verstappen zu überholen, später aber nicht mehr.

Verschenkte Mercedes Hamilton-Sieg mit falscher Strategie?

Nachdem sich die Ferrari-Piloten zunächst absetzen konnten, nahm das Drama ab Runde 25 seinen Lauf. Vettels Lenkrad stand plötzlich schief, sein Ferrari zog offenbar nach rechts. Der WM-Führende verlor Pace, Räikkönen und die dahinterfahrenden Piloten kamen näher.

Obwohl Räikkönen offensichtlich schneller gekonnt hätte, aber hinter Vettel hing, entschied sich Ferrari nicht dazu, Positionen zu tauschen. Mercedes setzte Ferrari unter Druck, indem man Bottas in Runde 30 zum Reifenwechsel holte. Nur eine Runde später kam auch Hamilton.

Am Mercedes-Kommandostand ging es hoch her, Foto: Sutton
Am Mercedes-Kommandostand ging es hoch her, Foto: Sutton

Ferrari zog nach und holte erst Vettel, eine Runde später Räikkönen. Entsprechend kamen die vier Piloten in der gleichen Reihenfolge wieder auf die Strecke - nur ohne Max Verstappen dazwischen, der seinen Stopp hinauszögerte, weil er ohnehin noch eine Strafe absitzen musste.

Dabei wäre Hamilton gerne noch länger draußen geblieben, seine Reifen waren noch in gutem Zustand. "Aber ohne Radio ist es schwierig", erklärte der Brite. "Denn die Box kennt meine wahre Pace nicht. Sie sehen nur die Zeiten, sie sehen nicht, wie ich mir das Rennen einteile, wie sehr ich pushe. Deshalb können sie den Boxenstopp nicht so gut timen." Manchmal funktionierte der Funk zwar in eine Richtung, aber nicht immer. "Das hat uns sehr hart getroffen", stimmt Wolff seinem Piloten zu.

"Wenn wir bei Lewis heute einen längeren ersten Stint gefahren wären, hätte das einen massiven Einfluss auf das Ergebnis haben können", glaubt Wolff. Allerdings ist fraglich, wie sehr Hamilton die Pace seiner Reifen hätte nutzen können, schließlich fuhr Verstappen vor ihm. Der Niederländer kam erst zehn Runden später zum Stopp. "Es gibt aber ohnehin kein hätte, wäre, wenn im Rennsport", gesteht Wolff.

Bottas kann Chance nicht nutzen

Auch nach dem Boxenstopp hatte Vettel offensichtlich Probleme, die Mercedes konnten die Pace mitgehen. Allerdings konnte Bottas Räikkönen nicht unter Druck setzen, während Hamilton hinter Bottas den Eindruck machte, schneller zu können. "Wir wussten aber nicht, ob Bottas seine Pace gemanagt hat, oder ob er nicht schneller konnte", erklärt Wolff.

Bottas bekam ein paar Runden Zeit, sich Räikkönen vorzuknöpfen, doch der Finne kam seinem Landsmann nicht wirklich nahe. In Runde 46 musste Bottas Hamilton dann vorbeilassen, weil der Brite offenbar bessere Chancen hatte, die Ferrari unter Druck zu setzen. Allerdings fand der Platzwechsel nur unter einer Bedingung statt: Wenn es Hamilton nicht schafft, mindestens einen Ferrari zu überholen, würde er Bottas die Position wieder zurückgeben.

Hamilton konnte deutlich mehr Druck auf Räikkönen ausüben, während Bottas anschließend abreißen lassen musste. "Unter normalen Bedingungen wäre die Geschwindigkeitsdifferenz zu Lewis nicht so groß geworfen", wirft der Finne ein. "Ich hatte bei den Überrundungen viel mehr Probleme. Sie sind vorne als Dreiergruppe gefahren und wurden von den Überrundeten als Gruppe vorbeigelassen, ich musste sie dann einzeln überrunden. Dabei habe ich viel Zeit und den Rhythmus verloren."

Währenddessen biss sich weiter vorne Hamilton an Räikkönen die Zähne aus. Laut Simulationen hätte Mercedes rund 1,5 Sekunden schneller sein müssen als Ferrari, um auf dem engen Hungaroring überholen zu können. Diese Pace hatte Mercedes aber nicht. Dazu konnte Räikkönen hinter Vettel seinen Flügel öffnen.

Mercedes in der Verstappen-Zwickmühle

Somit kam Mercedes in eine Zwickmühle: Weil Hamilton nicht an Räikkönen vorbeikam, musste er sein Versprechen einlösen und Position drei wieder an Bottas zurückgeben. Allerdings war Bottas inzwischen acht Sekunden hinter Hamilton. Und hinter Bottas kam wiederum Max Verstappen in Riesenschritten mit frischen Reifen angeflogen.

Max Verstappen wäre fast der lachende Dritte gewesen, Foto: Sutton
Max Verstappen wäre fast der lachende Dritte gewesen, Foto: Sutton

Während viele daran zweifelten, dass Hamilton die Position zurückgeben würde, ließ er sich in der letzten Runde zurückfallen und überließ Bottas Platz drei in der letzten Kurve. "Es war für mich die schwierigste Entscheidung der letzten fünf Jahre", gestand Toto Wolff. Mercedes diskutierte intern heftig, ob man das Risiko eingehen sollte, Positionen zu tauschen, obwohl Verstappen inzwischen direkt im Heck von Bottas war. "Wir wären als Idioten dagestanden, hätten wir den Platz an Max verloren." Am Ende überquerte Verstappen vier Zehntel nach Hamilton die Ziellinie.

"Ich musste mich wegen des großen Vorsprungs aufs Valtteri stark zurückfallen lassen, das war auch wegen der Überrundungen nicht so einfach. Die Überrundeten haben sich dabei zurückgerundet. Und auch wegen des Red Bulls war das Risiko hoch, aber es hat funktioniert", berichtete Hamilton.

Hamilton: Ich stehe zu meinem Wort

Ein wenig haderte Hamilton aber wohl schon mit der Entscheidung. "Es war dann mehr eine Entscheidung des Herzens als des Kopfes. Der Kopf sagt, dass jeder Punkt zählt, das Herz sagt, dass ich das richtige machen soll. Und ich will die Weltmeisterschaft auf die richtige Weise gewinnen. Es ist etwas anderes, wenn er nur zwei Sekunden weg ist, aber acht Sekunden... Aber ich bin ein Mann, der zu seinem Wort steht."

Im Team rechnet man Hamilton das hoch an. "Ich habe Respekt für Lewis", so Bottas. "Aber es war auch Teil des Deals." Offenbar hatte der Finne auch Angst, seine Podiumsplatzierung nicht zurückzubekommen, wie er Motorsport-Magazin.com verriet: "Zwei Runden vor Ende habe ich das Team gefragt. Natürlich wäre ich sauer gewesen [wenn er mir die Position nicht zurückgegeben hätte], ich habe ihm zuvor die Position gegeben."

Wolff: Mit unseren Werten gewinnen wir mehr

Hamilton hat durch den Platztausch nicht nur Bottas in der Weltmeisterschaft näher an sich selbst herangebracht, sondern auch drei zusätzliche Punkte auf Sebastian Vettel verloren. Vettel konnte seinen Vorsprung in Ungarn mit seinem Sieg von einem auf 14 Punkte vergrößern.

"Wenn wir wegen diesen drei Punkten den Titel am Ende nicht gewinnen, bin ich der erste, der sich ins Knie schießt", gesteht Wolff. "Es war eine extrem schwierige Entscheidung, es hat sich nicht gut angefühlt, aber mit unseren Werten haben wir in den vergangen drei Jahren sechs Titel gewonnen und wir werden mit diesen Werten noch mehr Titel gewinnen."

"Wir sind nicht hier, um Spaß zu haben", stellt der Mercedes Motorsportchef klar. "Wir sind hier, um unsere Marke zu promoten und um mehr Autos zu verkaufen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass sich extrem kaltblütige Entscheidungen auch negativ auf eine Marke auswirken. Es ist manchmal aber verdammt hart, bei den eigenen Werten zu bleiben."