Das größte Thema vor dem Ungarn GP ist noch immer die umstrittene Entscheidung, 2018 den Cockpit-Schutz Halo in der Formel 1 einzuführen. Die FIA hat sich deshalb am Donnerstag in Budapest der Sache angenommen und noch einmal im Detail erklärt, warum in der kommenden Saison mit Halo gefahren wird.

Rennleiter Charlie Whiting und dessen Stellvertreter Laurent Mekies, der 2014 als Sicherheitsdelegierter zur FIA kam, zeigten der versammelten Presse mit Videos, Fotos und Details zur Risikoabschätzung, warum der ungeliebte Halo die beste Lösung ist.

"Eine magische Formel haben wir dazu nicht gefunden", stellte Mekies schnell klar. Doch die FIA ging bei der Risikoeinschätzung extrem analytisch vor. Dazu wurden Unfälle zunächst in drei Kategorien eingeteilt: Auto gegen Auto, Auto gegen Streckenumfeld und Auto gegen ein externes Objekt.

Alle Analysen sprechen eindeutig für Halo

Von allen Kategorien wurden mehrere Unfälle aus der Historie analysiert. Dabei wurden nicht nur die Unfälle selbst betrachtet, sondern auch, was passiert wäre, wenn der Unfall nur minimal anders verlaufen wäre. Also wenn der Aufprall nur wenige Zentimeter vom eigentlichen Aufprall passiert wäre. Für jeden einzelnen Unfall wurde anschließend bewertet, ob Halo dabei geholfen hätte, es egal gewesen wäre oder ob Halo sogar nachteilig gewesen wäre.

Das Ergebnis dieser Überprüfung ist eindeutig: In keinem einzigen Fall wäre Halo hinderlich gewesen, in überwältigender Mehrheit hätte Halo einen besseren Schutz bedeutet. Der Unfall von Jules Bianchi war eines der wenigen Beispiele, bei dem Halo nichts geändert hätte: Bianchi hätte auch mit dem Cockpit-Schutz keine Chance gehabt.

Doch selbst bei den meisten Unfällen Auto gegen Auto hätte Halo einen zusätzlichen Schutz versprochen, so die Analysen. Der Aufsatz hält das fünfzehnfache Gewicht eines Fahrzeugs aus, somit würde er verhindern, dass ein anderes Auto - genannt das Bullet-Car - den Kopf des Fahrers trifft.

Besonderer Fokus lag dabei auf dem Fall des herumfliegenden Rades. Und genau dort liegt das Problem: Shield und Aeroscreen konnten diesen Test nicht bestehen. "Sie sind strukturell noch nicht stark genug", erklärt Mekies. "Das bedeutet aber nicht, dass sie das nicht auch in Zukunft sind." Würde Aeroscreen diesen Test bestehen, wäre es die optimale Lösung für die FIA. "Weil es ein Halo ist, nur mit einer Scheibe und einer unsichtbaren Struktur."

Dass Halo bei herumfliegenden Rädern schützen würde, ist klar. "Dafür wurde es gemacht", erklärt Mekies. Kritik richtete sich gegen den Zusatz-Schutz, weil kleinere Gegenstände möglicherweise ungünstig abgelenkt werden könnten - beispielsweise auf den Körper des Fahrers, der deutlich schlechter geschützt ist als der Kopf.

Doch auch dieses Argument kann die FIA entkräften: Dazu simulierten die Experten Millionen verschiedene Szenarien. Unterschiedliche Gegenstände trafen an unterschiedlichen Stellen auf den Cockpit-Raum. "Das Ergebnis ist, dass man insgesamt die Sicherheit erhöht, indem man etwas vor den Fahrer baut", so Mekies.

Aussteigen mit Halo kein Problem - im Gegenteil

Und auch eine weitere Kritik, die Fahrer hätten mit Halo größere Probleme aus dem Fahrzeug auszusteigen, können die Analysen widerlegen. "Die 2016 getesteten Halo-Versionen waren größtenteils keine strukturellen Teile, sondern nur Dummies", erklärt Whiting. "Daran konnte man sich nicht herausziehen. Es dauert nur geringfügig länger, deshalb werden wir die Zeit von fünf Sekunden leicht anpassen, die ein Fahrer hat, um aus dem Auto herauszukommen."

Bei einem Überschlag hilft Halo sogar, weil es dafür sorgt, dass die Cockpit-Öffnung weiter weg vom Boden ist. Somit hat der Pilot mehr Platz, um aus dem Cockpit zu steigen. "Wir haben uns alle möglichen Lösungen angesehen, wie man Halo in diesem Fall vom Cockpit bekommen könnte, damit der Fahrer schneller aussteigen könnte. Auch eine, bei der man das Halo wegsprengen könnte. Aber das braucht es alles nicht, weil es einfach kein Problem ist", stellt Mekies klar.

Auch die Bergung eines Fahrers, sollte der sich nicht selbst befreien können, stellt kein Problem dar. Von oben betrachtet verkleinert Halo die Cockpit-Öffnung kaum. Und was, wenn sich Halo so verbiegt, dass der Fahrer gefangen ist? "Dann sollten wir erst einmal froh sein, dass ein Halo auf dem Auto war", meint Mekies. "Man will sich nicht vorstellen, was sonst getroffen worden wäre." Aber auch für diesen Fall gibt es eine Lösung: Die FIA hat ein Gerät entwickelt, mit dem sich Halo in Sekundenschnelle durchtrennen lässt. Dieses Gerät ist kompakt genug, um im Medical Car Platz zu haben.

Whiting: Optik wird besser werden

Auch in anderen Serien soll Halo in den nächsten Jahren kommen. Das allerdings ist nicht ganz so einfach, weil Halo das stärkste Teil am gesamten Auto sein wird. Dazu muss es auch ausreichend integriert werden, die Formel-1-Teams bekommen die nötigen Daten in den nächsten Tagen. Nachwuchsserien können Halo somit nur integrieren, wenn neue Fahrzeuggenerationen anstehen.

Bei der Optik macht Charlie Whiting den Fans noch Mut: "Ich bin mir sicher, dass es nicht so schlecht aussehen wird, wie viele glauben und wie das, was wir bislang gesehen haben." Die Teams haben nämlich - obwohl Halo von einem Einheitshersteller kommen wird - gewissen Freiraum. 20 Millimeter rundherum dürfen sie nicht strukturelle Elemente anbringen. Dadurch sollen die Teams die aerodynamischen Auswirkungen des Bügels abfangen können. Halo wird somit zum Aero-Spielfeld. "Aber selbst, als Williams Halo in Wagenfarbe lackiert hat, sah es schon besser aus", meint Whiting.

Fahrer uneins: Vettel/Alonso für, Verstappen/Hülkenberg gegen Halo

Mit Spannung erwartet wurden in Ungarn auch die ersten Reaktionen der Fahrer auf die finale Bekanntgabe, das Halo ab 2018 in der F1 Einzug halten wird. Die Meinungen fallen geteilt aus. "Ich bin dagegen. Ich denke, dass es nicht das ist, worum es in der F1 gehen sollte. Ich stimme nicht zu, dass die Sicherheit immer an erster Stelle stehen muss", sagt Kevin Magnussen. "Ich mag es nicht. Die Halteseile der Reifen sind stark, sodass du nicht allzu schnell ein Rad verlierst. Wenn Teile rumfliegen wird es nicht schützen", ergänzt Max Verstappen.

Auch Nico Hülkenberg zeigt sich alles andere als angetan: "Ich werde weiterhin Rennen fahren, werden nicht aufhören. Aber ich war nie ein großer Unterstützer von Halo und bin es noch immer nicht. Ich bin nicht sicher, ob das nötig ist." Landsmann Sebastian Vettel dagegen gibt sich nach seinem mehr als durchwachsenen Shield-Test - mit Schwindelgefühl - erleichtert. "Ich war kein großer Freund von Shield. Halo beinträchtigt zumindest nicht die Sicht. Ich kann verstehen, dass manche Leute sagen, das gehöre nicht auf ein Formel-1-Auto", sagt der Ferrari-Pilot.

"Auf der anderen Seite: Zeiten ändern sich. Das Halo, das wir vergangenes Jahr gesehen haben ist vielleicht nicht das, was wir nächstes Jahr und im Jahr danach sehen werden." Mit Fernando Alonso reiht sich ein weiterer Weltmeister als Fürsprecher des Systems ein. "Dieses Teil kann dabei helfen vielen fatalen Unfällen wie wir sie in den letzten 15 bis 20 Jahren hatten vorzubeugen. Das Aussteigen wird den FIA-Analysen zufolge nicht beeinträchtigt, also sollte es dasselbe sein", sagt der Spanier.

Erster Test mit Vettel - Wie gut ist Shield? (03:49 Min.)

Halo im Check: Wie schwer, wie stark?

Rund neun Kilogramm wird die fertige Version von Halo wohl wiegen. Auch die Chassis müssen verstärkt werden. Deshalb werden auch die Gewichtslimits weiter angehoben. Das geschah zwar schon zu dieser Saison aus diesem Grund - weil Halo eigentlich schon 2017 kommen sollte - aber die Teams haben das zusätzliche Gewicht schon anderweitig investiert.

Der mittlere Steg des Halo soll zugunsten der ohnehin schon recht unproblematischen Sicht noch etwas dünner gestaltete werden. Ziel sind 16 statt 20 Millimeter. Doch schon bei 20 Millimeter ist die Sicht besser als bei aktuellen LMP1-Autos.

Weitere Tests dürfen die Teams in Eigenregie noch in dieser Saison durchführen. Entweder in den Freitagstrainings oder bei den Testfahrten - nur bei Reifentests darf Halo nicht getestet werden.