Sebastian Vettel droht nach dem Eklat von Baku, seinem seitlichen Rammstoß gegen Mercedes-Rivale Lewis Hamilton beim Aserbaidschan GP der Formel 1 - einem offenbar absichtlichen Revanche-Foul -, weiterer Ärger. Schon über die Stop&Go-Strafe von zehn Sekunden noch während des Rennens hatte sich der Ferrari-Pilot nicht nur gewundert, sondern hörbar aufgeregt. Doch schon bald könnte es für Rambo Vettel eine weitere böse Überraschung setzen, noch viel dicker kommen. Gleich auf zwei Ebenen bahnt sich mögliches Ungemach an.

Vettel-Gefahr 1: Die F1-Sünderkartei

Zunächst ist da das Strafpunktekonto, die Sünderkartei der Formel 1. Über sämtliche Vergehen der F1-Fahrer wird in der Königsklasse akribisch Buch geführt. Denn: Für besonders schlimme Zwischenfälle setzt es nicht nur Durchfahrts-, Zeit- und Grid-Strafen, sondern noch dazu die sogenannten Strafpunkte. Ein Prinzip ganz ähnlich dem System im normalen Straßenverkehr.

Statt Führerscheinverlust erwartet einen F1-Fahrer bei prall gefülltem Konto jedoch nicht gleich der scheinbar analoge Verlust der Superlizenz, dennoch eine saftige Strafe: Hat ein Fahrer innerhalb eines Jahres zwölf Punkte gesammelt, muss er beim nächsten Rennen einmal aussetzen. Doch was bedeutet das nun für Sebastian Vettel? Kurz gesagt: höchste Gefährdungstufe!

Für seine Aktion gegen Lewis Hamilton in Baku kassierte der Deutsche drei Punkte, übernahm damit die Spitze in der Sünderkartei der F1 von Jolyon Palmer und Carlos Sainz. Insgesamt neun Strafzähler hat Vettel inzwischen angehäuft: Neben den drei neuen aus Aserbaidschan jeweils zwei aus Silverstone, Malaysia und Mexiko im Vorjahr. Somit darf sich Vettel beim kommenden Österreich GP nichts mehr erlauben.Sonst hagelt es tatsächlich eine Rennsperre für den Großbritannien GP - noch ehe die ersten Strafpunkte der Vorsaison wieder verfallen sind.

Lewis Hamilton steht indessen bei gerade einmal zwei Punkten, muss sich keine Sorgen machen. Auch in Sachen Verwarnungen hat der Brite eine weiße Weste - Vettel nicht, kommt auf eine. Sammelt ein Fahrer deren drei, wird er um zehn Plätze in der Startaufstellung nach hinten versetzt.

Vettel-Gefahr 2: Neuer FIA-Ärger für Wiederholungstat?

Mit seiner Stop&Go-Strafe in Baku schlitterte Vettel so knapp wie nur möglich an der einzig denkbaren noch härteren Sanktion vorbei: der schwarzen Flagge, einer Disqualifikation. Dennoch zeigte sich Vettel nach seinem Manöver gegen Lewis Hamilton alles andere als erleichtert, nicht einmal einsichtig. Er empfinde die Strafe als hart.

"Wir fuhren nebeneinander und hatten einen kleinen Kontakt. Aber ich bin nur daneben gefahren, um meine Hand zu heben. Ich habe ihm ja keinen Finger gezeigt. Ich wollte ihm so sagen, dass es nicht okay gewesen ist. Sprechen konnte ich ja nicht mit ihm", schilderte Vettel.

Noch dazu orakelte der Ferrari-Pilot, die Rennleitung habe nur für zusätzliche Würze sorgen wollen, ihn nur bestraft, um ihn nach Hamiltons Sicherheitspitstop (Cockpitschutz) auf der Strecke wieder direkt mit seinem WM-Rivalen zusammen zu bringen. Vettel: "Wenn, dann hätten wir beide eine Strafe bekommen sollen. Aber ich kann natürlich sehen, dass das Rennen so vielleicht noch ein bisschen spannender wird ..."

Schon allein das könnte in Sachen Regularien erneut brenzlig werden für den Deutschen. Schadet eine solche Theorie womöglich dem Ansehen der FIA? Falls ja, wäre das ein Verstoß gegen Ziffer 12.1.1.f des internationalen Sportgesetzbuchs der FIA, die "jede Aussage, Tat oder Schrift, die dem Ansehen der FIA, ihren Gremien, Mitgliedsverbänden oder Funktionären schadet" als Regelbruch ansieht.

Vorgeschichte: Vettels Ausraster in Mexiko 2016

Erneut? Erst im Vorjahr war Sebastian Vettel mit diesem Paragraphen in Berührung gekommen. Damals hatte der Ferrari-Pilot beim Mexiko GP Rennleiter Charlie Whiting per Boxenfunk massiv verunglimpft. "Wisst ihr was? Ich habe eine Nachricht an Charlie [Whiting]: fuck off! Ehrlich, fuck off!", hatte Vettel gepoltert, nachdem er mit einer zunächst ausgebliebenen Sanktion gegen Max Verstappen so gar nicht einverstanden gewesen war. Den Niederländer beschimpfte Vettel nicht minder drastisch.

Daraufhin leitete die FIA eine Untersuchung gegen Vettel ein, um einen Bruch der genannten Ziffer, eine Beschädigung des Ansehens der FIA bzw. des Sports, zu prüfen. Vettel ging jedoch gescholten, aber straffrei hervor. FIA-Präsident Jean Todt entschied dagegen, die Sache vor das Internationale Sportgericht zu bringen. Denn: Vettel habe sich entschuldigt - per Brief, sowohl an Todt als auch Whiting, und versichert, Verstappen um Verzeihung zu bitten. "Aufgrund seiner aufrichtigen Entschuldigung und seines großen Engagements, hat der FIA-Präsident entschieden, ausnahmsweise keine disziplinarischen Maßnahmen gegen Herrn Vettel einzuleiten", ließ die FIA 2016 wissen.

Spannend wird es vor dem Hintergrund der aktuellen Vorfälle allerdings im Nachsatz: "Bei ähnlichen Zwischenfällen wie in Mexiko werden zukünftig disziplinarische Maßnahmen ergriffen und der Fall vor das internationale Sportgericht der FIA gebracht", ergänzte die FIA. Fraglich, ob genau das nun der Fall ist. Zumal Vettel neben oben angeführte Aussage auch mit einer Tat - seinem Rammstoß gegen Hamilton - das Ansehen der FIA potentiell beschädigt haben könnte.

Der WM-Kampf zwischen Vettel und Hamilton erreicht ein neues Level, Foto: Motorsport-Magazin.com
Der WM-Kampf zwischen Vettel und Hamilton erreicht ein neues Level, Foto: Motorsport-Magazin.com

Hamilton: Vorbild-Vorwurf mit Hintergedanken?

Immerhin brüstet sich der Motorsport-Weltverband seit Jahren mit Initiativen zur Verkehrssicherheit. Ein viermaliger Weltmeister außer Kontrolle in der wichtigsten, prestigeträchtigsten und größten Rennserie überhaupt passt dazu wohl kaum - um nicht zu sagen, gar nicht. Nicht ohne Hintergedanken deshalb vielleicht auch Lewis Hamiltons Vorwurf an Sebastian Vettel nach dem Rennen.

In seiner Medienrunde sagte der Brite: "Viele Kinder schauen uns im Fernsehen zu und sehen einen vielfachen Weltmeister, von dem man denken sollte, dass er sich besser benehmen kann. Ich hoffe nicht, dass die Kids jetzt denken, dass man so fahren sollte." Denn: "Das ist ein gefährliches Fahrverhalten und dafür nur eine 10-Sekunden-Strafe zu bekommen ... Naja, ich sage einfach nichts mehr", sagte Hamilton, war damit aber doch nicht ganz fertig.

"Jeder hat eindeutig gesehen, was passiert ist. Die ganzen Jungs in den anderen Serien schauen zu uns herauf, als Weltmeister gehen wir als Vorbilder voraus - und dieses Verhalten erwartet man nicht von einem mehrmaligen Champion", polterte der Mercedes-Fahrer im offiziellen Team-PR gleich weiter.

Vettel - mit diesen Anschuldigungen konfrontiert - konterte nach reiflicher Überlegung: "Formel 1 ist etwas für Erwachsene. Wir sind Männer hier, wir sind nicht im Kindergarten." Spätestens mit dieser Aussage wird es dann langsam unheimlich in Sachen Mexiko-Parallelen. Auch damals hatte Vettel sich zu gleichen Vorwürfen rechtfertigen müssen. Er denke nicht an die Kids vor dem TV. "Nein, ich fahre mein Rennen", sagte Vettel. Und Nachwuchsfahrer? "Nein, sie fahren auch einfach ihre Rennen."

Bleibt aus Vettel-Sicht nur zu hoffen, dass es damit genug der Parallelen ist. Folgt erneut eine Untersuchung könnte es für den Wiederholungstäter sonst sehr ungemütlich werden. Auch das Sportgericht kann eine Rennsperre verhängen - ganz ohne Strafpunkte.