Das epische Duell zwischen Sebastian Vettel und Lewis Hamilton hat eine neue Dimension erreicht. War die Rivalität bislang von großem gegenseitigen Respekt geprägt, könnte dieser nach dem Rammstoß-Skandal von Baku arg ins Wanken geraten. "Vielleicht haben wir heute die Grenzen des Respekts erlebt", unkte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff nach dem Aserbaidschan Grand Prix.

Während sich der Silberpfeil-Boss nach dem Chaos-Rennen jedoch mit Anschuldigungen eher zurückhielt und zumeist diplomatisch antwortete, fuhr Hamilton andere Geschütze auf. Er warf seinem Unfallgegner Vettel sogar vor, ein schlechtes Vorbild für die Jugend zu sein. Auch von Respektlosigkeit sprach der dreifache Weltmeister ganz unverblümt.

Vettel: Formel 1 ist für Erwachsene

"Viele Kinder schauen uns im Fernsehen zu und sehen einen vielfachen Weltmeister, von dem man denken sollte, dass er sich besser benehmen kann", sagte Hamilton. "Ich hoffe nicht, dass die Kids jetzt denken, dass man so fahren sollte. Das ist keine Antwort auf irgendeine Situation oder Problem."

Vettel wurde direkt mit Hamiltons Vorwürfen als schlechtes Vorbild konfrontiert. Lange überlegte der Ferrari-Star, wie er darauf antworten solle. "Formel 1 ist was für Erwachsene", fiel Vettel nur dazu ein, dann besann er sich wieder darauf zu behaupten, Hamilton habe ihm eines Bremstests unterzogen. Diese Behauptung stellte sich als falsch heraus, wie die Rennleitung später bestätigte. Hamilton verhielt sich beim Re-Start nach der zweiten Safety-Car-Phase absolut regelkonform, wie die Telemetrie-Daten belegten.

Dann zeigt sich das wahre Gesicht

Hamilton befand sich am Sonntagnachmittag in Baku in einer guten Position - trotz des verlorenen Sieges. Er konnte Vettels Verhalten offen und ausgiebig kritisieren, ohne dass dieser eine passende Antwort parat gehabt hätte. Ein psychologischer Vorteil, den sich der Brite zunutze machte und nur zu gern die Vorbildfunktion-Karte spielte.

Hamilton war sicher: Vettels Kurzschlussreaktion sei eine Folge des Drucks gewesen, den er und Mercedes in den vergangenen Wochen auf WM-Gegner Ferrari aufbauen konnten. "Wir wissen, dass sich in schwierigen Zeiten das wahre Gesicht zeigt, und wir haben in den vergangenen Wochen viel Druck ausgeübt", sagte Vettel. "Ich persönlich möchte meine Leistung auf der Strecke für mich sprechen lassen. Ich will diese Weltmeisterschaft auf die richtige Art und Weise gewinnen."

Vettel will Hamilton anrufen

Was bedeutet der Baku-Skandal nun für den weiteren Verlauf des epischen Duells? Können sich Vettel und Hamilton beim nächsten Rennen in Österreich wieder die Hand geben, oder ist das Tischtuch nun erst einmal zerschnitten? Vettel war in Baku sehr auf seine Wortwahl bedacht, äußerte sich nur knapp über den weiteren Austausch mit Hamilton.

"Ich habe keine Problem mit ihm", sagte Vettel in seiner Medienrunde. "Ich respektiere ihn sehr als Fahrer. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um zu sprechen, wo ihr noch alle da seid. Ich denke, das mache ich mit ihm alleine. Wir werden das klären und weitermachen." Anrufen wolle er Hamilton, sagte er, abseits des Medienrummels an der Rennstrecke.

Hamilton: Der hat meine Nummer gar nicht

Auch hier kachelte Hamilton gegen seinen WM-Gegner, sagte klipp und klar: "Der hat meine Nummer gar nicht." An einem klärenden Gespräch unter vier Augen schien Hamilton gar nicht interessiert. "Nein, ich lasse auf der Strecke Taten sprechen, das ist das Wichtigste für mich. Das größte Ding für mich war, dass ich das Rennen wegen des Cockpit-Kopfschutz-Problems verloren habe. Ich denke nur daran, meinen Kopf frei zu kriegen. Ich will die nächsten zwölf Rennen alle gewinnen!"

In Baku verlor Hamilton nach dem sicher geglaubten Sieg unterm Strich sogar Punkte auf Vettel. Dank Hamiltons Problem und zusätzlichem Boxenstopp wog die Strafe gegen Vettel gar nicht so schwer. Er wurde letztendlich Vierter, Hamilton folgte direkt dahinter. Dafür sei der psychologische Vorteil nun auf seiner Seite, glaubte Hamilton. Es zeige sich schon, dass Mercedes jetzt richtig Druck auf Ferrari macht.

Hamilton: Wir wissen, wie Vettel sein kann

Hamilton über Vettel: "Das ist doch seit einiger Zeit offensichtlich. Schaut euch mal das vergangene Jahr an und die Dinge, die er am Funk gesagt hat. Wir wissen, wie er sein kann. Ich hätte ehrlich gesagt niemals gedacht, dass das heute passieren wird. Aber ich denke, dass wir das als Team positiv für uns sehen können. Er steht unter Druck, das ist nicht schlecht. Das zeigt, dass sich der Druck selbst bei den Besten bemerkbar machen kann."

Auch Toto Wolff meinte, dass Vettel nun einmal ein emotionaler Mensch sei. Die Konsequenz daraus habe man in Baku sehen können. Respekt zwischen Mercedes und Ferrari herrsche nach wie vor, versicherte der Österreicher.

Unter den Fahrern könnte es aber anders aussehen: "Ich denke, dass der Respekt grundsätzlich da ist. Was heute passiert ist, hat aber sicherlich nicht geholfen, diese Beziehung voranzutreiben. Zu einem bestimmten Zeitpunkt können die besten Fahrer, die um die Weltmeisterschaft kämpfen, keine Freunde sein."