Es war die große Szene in Baku beim Großen Preis von Aserbaidschan: Zwischen Sebastian Vettel und Lewis Hamilton kam es zum bösen Eklat und zur Kollision. Der Mercedes-Pilot führte das Rennen vor dem Re-Start in Folge einer Safety-Car-Phase in Runde 20 an. Beim Ausgang nach Kurve 15 verringerte Hamilton deutlich die Geschwindigkeit. So sehr, dass ihn Vettel mit seinem Ferrari am Heck traf.

Vettel verlor kurzzeitig seine Nerven, fuhr direkt neben ihn und zog plötzlich nach rechts - in den Mercedes von Hamilton rein. Eine mehr als heikle Szene, die sich die Rennleitung genauer anschaute und eine Untersuchung einleitete. Das Ergebnis: Vettel wurde wegen gefährlichen Fahrens mit einer 10-Sekunden-Boxenstopp-Strafe belegt. Noch dazu hagelte es drei Strafpunkte auf die Superlizenz. Noch drei mehr und Vettel blüht eine Rennsperre.

Vettel versteht Strafe nicht

Vettel konnte die Bestrafung nicht nachvollziehen. "Erklärt mir, wo ich gefährlich gefahren sein soll", funkte der vierfache Weltmeister noch während des Rennens an den Ferrari-Kommandostand.

"Ich begreife einfach nicht, warum ich eine Zehn-Sekunden-Strafe bekommen habe", war Vettels erste, ungläubige Reaktion kurz nach dem Rennen. "Zehn Sekunden Strafe! Ich kann kann mich nicht erinnern, dass jemand eine 10-Sekunden-Strafe bekommen hat."

Bei der ersten Kollision zerstörte sich Vettel Teile seines Frontflügels und regte sich über Gegner Hamilton auf. "Er hat meine Bremsen getestet", war Vettel sicher, dass Hamilton absichtlich am Ausgang der Kurve gebremst habe.

Lauda/Marko: Das war ein Revanche-Foul

"Es gab zwei Vorfälle", sagte Niki Lauda am RTL-Mikro während des Rennens. "Erstens hat Lewis abgebremst. Das war meiner Meinung nach in Ordnung, weil er die Geschwindigkeit bestimmt. Dann, zweitens, fährt ihm Sebastian ins Auto. Das schauen sich die Stewards an, das geht nicht. Das war ein Revanche-Foul meiner Meinung nach. Der Respekt bleibt. Lewis war bei langsamer Geschwindigkeit, Sebastian hat sich vertan und ist ihm reingefahren."

Auch Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko geht von einer Vettel-Rache aus. "Der hat den Vettel richtig überrascht und provoziert. Das war hinter dem Safety Car, das war reine Provokation. Der Vettel hat sich dann revanchiert. Der andere hat ihn auflaufen lassen", sagte Marko bei Sky. "Gott sei Dank ausgleichende Gerechtigkeit: Mercedes hat sich entschieden, den Kopfschutz nicht richtig zu machen." Verstehen könne er seinen ehemaligen Fahrer jedoch. "Ein Rennfahrer muss ja Emotionen haben. Zwischen den WM-Anwärtern sind die Gemüter aufgeheizt. Das sind menschliche Emotionen", sagte Marko.

Vettel gibt das Unschuldslamm, aber ...

Vettel selbst gab nach Rennende das Unschuldslamm. "Es ist doch nichts passiert oder? Er (Hamilton) hat doch auch meine Bremsen getestet. Also - was erwartet ihr? Ich bin sicher, dass Hamilton es nicht absichtlich gemacht hat, aber natürlich war es kein korrektes Manöver", sagte Vettel bei Sky.

Doch damit liegt Vettel grundfalsch. Laut Analysen der FIA verhielt sich Hamilton bei dem fraglichen Re-Start völlig korrekt. Die Untersuchung noch während des Chaos-Rennens ergab, dass Hamilton dort weder bremste noch komplett vom Gas gegangen war, sodass der Brite auch nicht bestraft wurde.

Doch Vettel sieht das nicht ein: "Er ist auf die Bremse gestiegen. Ich konnte nirgendwo hin und bin ihm in die Kiste. Das war unnötig, denn er hatte ein bisschen Schaden und ich auch. Wenn man dafür bestraft wird, dann sollte er auch bestraft werden", sagte Vettel. Offenbar geht der Deutsche also davon aus, die Strafe für sein Auffahren von hinten, nicht den seitlichen Rammstoß bekommen zu haben.

Vettel mehrdeutig zu Letzterem: "Groß dementieren oder rütteln braucht man da nicht mehr. Es war klar, dass ich nicht zufrieden war mit der Art und Weise, wie er gefahren ist. Er hat sowas ähnliches schon in China gemacht bei einem Restart vor ein paar Jahren. Dann bin ich neben ihn gefahren und habe das auch gezeigt. Ich habe die Hand gehoben und ihm gezeigt, dass ich nicht zufrieden damit war."

Die darauffolgende Berührung sei keine Absicht gewesen. "Nein", versichert Vettel bei RTL. "Ich habe ihm gesagt, sowas macht man nicht. Wir sind Männer hier, wir sind nicht im Kindergarten. Wir fuhren nebeneinander und hatten einen kleinen Kontakt. Aber ich bin nur daneben gefahren, um meine Hand zu heben. Ich habe ihm ja keinen Finger gezeigt. Ich wollte ihm so sagen, dass es nicht okay gewesen ist. Sprechen konnte ich ja nicht mit ihm."

Die Strafe empfinde er als zu hart, betonte Vettel nochmals. "Wenn, dann hätten wir beide eine Strafe bekommen sollen. Aber ich kann natürlich sehen, dass das Rennen so vielleicht noch ein bisschen spannender wird ..."

Hamilton: Gefährlich! Dafür nur 10 Sekunden?

Und die Einschätzung von Crash-Partner Lewis Hamilton? "Diese Dinge passieren, das ist mir eigentlich egal. Ich möchte nichts dazu sagen, da gibt es nichts, was ich sagen kann. Ich denke einfach, so sollte sich ein Fahrer nicht verhalten", sagte der Brite bei Sky, wiederholte zudem sinngemäß seinen Funkspruch aus dem Rennen, als er die Sanktion gegen Vettel für viel zu gering eingestuft hatte. Hamilton: "Das ist ein gefährliches Fahrverhalten und dafür eine 10-Sekunden-Strafe zu bekommen ... Na ja, ich sage einfach nichts mehr."

Später dann lederte der Brite allerdings doch noch heftig in Richtung Vettel, warf dem Deutschen vor, ein schlechtest Vorbild zu sein. Hamilton im offiziellen Mercedes-PR: "Jeder hat eindeutig gesehen, was passiert ist. Die ganzen Jungs in den anderen Serien schauen zu uns herauf, als Weltmeister gehen wir als Vorbilder voraus - und dieses Verhalten erwartet man nicht von einem mehrmaligen Champion."

Hamilton: Das wahre Gesicht zeigt sich in schweren Zeiten

Hamilton weiter: "Aber wir wissen, dass sich in schwierigen Zeiten das wahre Gesicht zeigt, und wir haben in den vergangenen Wochen viel Druck ausgeübt. Ich persönlich möchte meine Leistung auf der Strecke für mich sprechen lassen. Ich will diese Weltmeisterschaft auf die richtige Art und Weise gewinnen. Nach diesem Wochenende glaube ich mehr denn je, dass uns das gelingen kann."

Toto Wolff hält sich indessen mit Anschuldigungen zurück. "Da kochen die Emotionen hoch. Der Eine sitzt im Auto glaubt und dass der ihn gebraketestet hat. Die Strafe ist, wie sie ist. Das können wir nicht rückgängig machen", sagt der Mercedes-Motorsportchef.

Vettel fiel wegen seiner Bestrafung ins Mittelfeld zurück. Auch Hamilton kam nicht schadlos durch den chaotischen Aserbaidschan Grand Prix. In Führung liegend musste er ungeplant die Mercedes-Box ansteuern, nachdem sich der Cockpitschutz an seinem Auto gelöst hatte und der Brite den Schaden nicht selbst beheben konnte.

Am Ende kämpfte sich Vettel bis auf den vierten Platz zurück beim Wahnsinns-Rennen, das Daniel Ricciardo vor Valtteri Bottas und Lance Stroll gewann. Lewis Hamilton überquerte die Ziellinie als Fünfter.