Sechs Rennen der F1-Saison 2017 sind gefahren und erstmals beträgt der Vorsprung an der Spitze der Fahrerwertung einen ganzen Sieg. Exakt 25 Zähler liegt Monaco-Triumphator Sebastian Vettel jetzt vor Lewis Hamilton. Die WM-Führung wird der Ferrari-Pilot in Kanada somit zwar nicht verlieren können, doch brennen vor dem siebten Saisonlauf in Montréal noch jede Menge anderer Fragen unter den Nägeln.

Führen wir die nächste Stallregie-Debatte? Löst Mercedes ein lilanes Rätsel? Wie läuft die F1-Rückkehr des tragischen Indy-Helden Alonso? Schafft Hamilton endlich den Senna-Rekord im Qualifying? Und was erwartet uns an der Motoren-Front? Motorsport-Magazin.com mit den Brennpunkten vor Kanada.

Brennpunkt #1: Ferrari nach dem Teamorder-Wirrwarr

Vettel-Sieg durch Ferrari-Teamorder? (05:02 Min.)

Eigentlich hätte bei Ferrari nach dem roten Doppelsieg in Monaco ungetrübter Jubel herrschen müssen. Doch ganz so war es nicht. Warum? Das ließ sich am besten vom versteinerten Gesichtsausdruck Kimi Räikkönens auf dem Podium ablesen. Hatte Ferrari den Polesetter mit einer geschickt kaschierten Teamorder hinter WM-Speerspitze Vettel befördert? Die Experten-Meinungen gehen auseinander, die Rennanalysen hingegen legen es nahe.

Verboten ist Stallregie in der Formel 1 seit Alonso/Massa in Hockenheim 2010 jedenfalls nicht. Es lässt sich nicht in jedem Fall zweifelsfrei nachweisen, ob eine Teamorder eingesetzt wurde. Als Regelbruch gilt hingegen qua International Sporting Code "jegliche betrügerische Handlung oder jeglicher Akt, der den Interessen eines Wettbewerbs oder den Interessen des Motorsports im Allgemeinen schädlich ist."

Würde eine eindeutige Teamorder-Ansage à la Spielberg 2001 darunter fallen? Womöglich. Werden wir es erleben? Eher nicht - alles andere als gut fürs Racer-Image. Doch richten sich in Kanada alle Augen umso mehr ganz genau auf die Strategien der Spitzenteams: Finnische Steigbügelhalter in Sicht?

Brennpunkt #2: Findet Mercedes des Rätsel-Reifens Lösung?

Der ultraweiche Reifen sorgt für Sorgenfalten bei Hamilton, Foto: Sutton
Der ultraweiche Reifen sorgt für Sorgenfalten bei Hamilton, Foto: Sutton

Rein sportlich liefert Ferrari derweil eine Sahne-Saison, glänzt durch Konstanz. Ganz anderes Mercedes. Die Dominatoren der Vorjahre haben sichtlich zu kämpfen, doch nicht mit roher Pace. Die stimmt grundlegend eigentlich schon, muss aber besser - konstanter - abgerufen werden. So erlebte Hamilton bereits zwei Mal sein lila Wunder im Qualifying: Sowohl in Russland als auch Monaco kam der Brite mit dem Ultrasoft weit weniger gut zurecht als Teamkollege Bottas. Im Rennen wirkte der Hamilton-Silberpfeil nach Wechsel auf Supersoft dann wie ausgewechselt, war plötzlich sogar das schnellste Auto im Feld.

Auch in Spanien funktionierte der Mercedes mit den härteren Reifen dramatisch besser. "Es ist nur der Ultrasoft, der Probleme macht", berichtet Hamilton. In Kanada bleibt Pirelli allerdings bei den weichsten Mischungen im Sortiment. Löst Mercedes endlich das Mysterium? Hamilton gibt sich skeptisch und hoffnungsvoll zugleich: "Es wird schwer mit den Reifen. Ich hoffe sehr, dass wir das in den Griff kriegen. Wenn wir den Ultrasoft verstehen, sind wir in einer viel besseren Position, um anzugreifen." Dringend nötig wäre es, soll sich Vettel in der WM kein richtig komfortables Polster erarbeiten.

Brennpunkt #3: Pole Positions - Hamilton auf Senna-Jagd

In Kanada könnte Pole-Ass Senna von Hamilton eingeholt werden, Foto: Sutton
In Kanada könnte Pole-Ass Senna von Hamilton eingeholt werden, Foto: Sutton

Nicht nur mit Blick auf die WM wäre eine Lösung des Ultrasoft-Rätsels für Hamilton schon in Kanada wünschenswert. Immerhin steht der Brite kurz davor, sich den Pole-Rekord der Formel 1 zu schnappen. Nur drei Pole Positions fehlen Hamilton noch, um den Schumacher-Rekord zu egalisieren. Den legendären Qualifying-Guru Ayrton Senna könnte der Mercedes-Pilot aber schon in Kanada einholen. Statistisch stehen die Chancen gut: Fünf Mal stand Hamilton in Kanada bereits auf Startplatz eins.

Brennpunkt #4: Wie viel Honda-Frust für F1-Rückkehrer Alonso?

Alonso tragischer Held, Sato Sieger - Die Highlights vom Indy 500 2017 (03:34 Min.)

Fernando Alonso steigt nach seiner starken, aber ungekrönten Vorstellung beim Indy 500 in den USA in Kanada wieder in seinen F1-McLaren. Eher ein Dürfen oder Müssen? Zunächst vermutlich Letzteres. Neuer Honda-Frust scheint so gut wie programmiert. Zuletzt erwischte es Jenson Button sofort bei seinem einmaligen Comeback mit einer saftigen Motorenstrafe in Monaco.

Entsprechend erwartet schon Mclarens Executive Director Zak Brown selbst eine gewisse Verbitterung seines Top-Stars bei der Rückkehr. "Ich bin sicher, dass es neue Frustrationen geben wird", sagt der Amerikaner. Der ersten Funk-Reaktion Alonsos zurück im F1-Boliden fiebert die Szene umso mehr entgegen.

Brennpunkt #5: Motoren im Fokus - Updates bei Renault & Honda?

Sehen wir in Kanada Motoren-Upgrades?, Foto: Mercedes/Honda/Renault
Sehen wir in Kanada Motoren-Upgrades?, Foto: Mercedes/Honda/Renault

Kanada GP? War da nicht was? Ja, da war was! Ursprünglich hatte Renault eine verbesserte Power Unit schon in Spanien - parallel zum B-Spec-Chassis Red Bulls - bringen wollen. Doch aus der Doppeloffensive wurde nichts. Bereits früh verschob Renault auf Kanada. Doch auch dieser Plan liegt wieder in der Schublade. Erst zu einem noch undefinierten Zeitpunkt nach Kanada, aber noch vor der Sommerpause soll das Upgrade kommen. Red Bull muss in Montréal also weiter ohne Extra-Power um den Anschluss kämpfen.

Bei Honda hingegen könnte es etwas anders laufen. Retten die Japaner Alonso vor dem ganz großen Frust (siehe Brennpunkt #4) mit einem rundum verbesserten Paket? Sicher sei das noch nicht, so Motorenchef Yusuke Hasegawa. Auszuschließen jedoch auch nicht. "Es ist sehr eng, in Kanada ein großes Update einzuführen", sagt der Japaner. "Aber wir haben schon etwas Performance gefunden." Wenn das jedoch nur sehr wenig Fortschritt sei lohne ein Upgrade in Kanada noch nicht. Entscheiden werde sich das allerdings erst am Donnerstag unmittelbar vor dem Rennwochenende. Wir dürfen also gespannt bleiben, mit welcher Spezifikation McLaren auf der Île Notre Dame angasen wird.

Auch Ferrari steht in Sachen Power Unit im Fokus. Nicht unbedingt wegen eines Updates, aber wegen des Turboladers. Sebastian Vettel fährt bereits mit Nummer vier - mehr sind im gesamten Jahr nicht erlaubt. Muss Ferrari Nummer fünf einbauen, droht bereits in Kanada eine Strafe. Doch versichert die Scuderia: Die drei zuvor benutzten Turbos sind nicht kaputt, können wiederverwendet werden. Nur eine Nebelkerze?

Brennpunkt #6: Palmer unter Zugzwang - Renault fordert Punkte

Muss sich Jolyon Palmer jetzt Sorgen um sein Cockpit machen?, Foto: Sutton
Muss sich Jolyon Palmer jetzt Sorgen um sein Cockpit machen?, Foto: Sutton

Jolyon Palmer gerät wegen seiner klaren Unterlegenheit gegenüber Renault-Teamkollege Nico Hülkenberg zunehmend in die Kritik. Sportchef Cyril Abiteboul forderte im AFP-Interview nach dem Monaco GP, Palmer müsse nun endlich ebenfalls seinen Beitrag zum WM-Punktekonto der Franzosen leisten. Bislang zeichnet allein Hülkenberg für die 14 Zähler Renaults verantwortlich. Findet Palmer nicht besser früh als spät gleich mehrere Zehntel (im Quali-Schnitt über eine Sekunde langsamer als Hülkenberg) muss sich der Brite womöglich schon während der laufenden Saison Gedanken um sein Cockpit machen.

Wissenswertes über den Kanada GP (01:06 Min.)