Trotz Platz zwei in Russland hat Sebastian Vettel seine WM-Führung in der Formel-1-Weltmeisterschaft 2017 ordentlich ausgebaut. Sein wohl größter Titelrivale, Lewis Hamilton, wurde nur Vierter - um sechs Punkte vergrößerte Vettel somit seinen Vorsprung auf den Mercedes-Top-Star. Doch war das wirklich ein Erfolg für den Ferrari-Mann?

"Nein, eigentlich hätte ein Ferrari gewinnen sollen. Das war das Ziel und mir ist dann eigentlich wurscht, welcher", stellt Vettel auf die Frage klar, ob mit Valtteri Bottas denn immerhin der richtige Silberpfeil gewonnen habe. Ihm sei aber sehr wohl klar, worauf die Frage ziele. Dass gemeinhin ganz klar Hamilton, nicht Bottas, als der große Kontrahent des Deutschen gesehen wird, weiß schließlich auch Vettel ganz genau.

Auch selbst scheint er es so zu sehen. "Schade war es jetzt vielleicht nicht", sagt Vettel, schiebt dann aber schnell hinterher: "Aber das wird sich erst noch zeigen ..." Außerdem sei Bottas in Russland besser gewesen als alle, habe Lewis Hamilton um Längen geschlagen. "Er war das ganze Wochenende viel schneller als Lewis, sein Teamkollege ist Vierter geworden und wir wissen, dass der keine Pappnase ist. Das muss man respektieren. Er war ganz klar der Mann des Rennens. Das muss man anerkennen, auch wenn es einem selbst vielleicht stinkt", sagt Vettel.

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Starker Bottas am Ende sogar gut für Vettel?

Sätze, die Bottas vielleicht sogar Mut machen sollen, weiter nachzulegen? Ein starker Finne bei Mercedes neben dem sowieso überragenden Rennfahrer Hamilton - das scheint zunächst wie ein Horror-Szenario für Vettel und Ferrari. Doch muss es das nicht sein. Ein Zweikampf auf Augenhöhe bei den Silberpfeilen könnte Vettel sogar perfekt in die Karten spielen, würden sich Bottas und Hamilton so doch gegenseitig die Punkte wegnehmen. Am besten noch ein teaminterner Unfriede à la Hamilton/Rosberg on top und Vettel könnte gefühlt fast schon den WM-Champagner kalt stellen.

Öffentlich dekliniert Vettel solche Gedankenspiele natürlich nicht durch. Im Gegenteil. "Im Moment machen wir einfach volle Attacke und das ist zu diesem Zeitpunkt genau das Richtige. Wenn man jetzt schon zu viel nachdenkt, steht man sich, glaube ich, selbst im Weg", sagt der WM-Leader. "Wir sind Zweiter geworden und auf die WM-Punkte schaue ich nicht. Wenn wir am Ende des Jahres in den Genuss kommen, darauf schauen zu dürfen, dann sind das tolle Neuigkeiten. Aber gerade heißt es einfach nur Vollgas, Attacke und jedes Rennen einzeln angehen, versuchen das Maximum herauszuholen."

Bislang sei Ferrari das mehr oder weniger gelungen. "Wir hatten einen sehr guten Start. Aber es wäre falsch, hier zu sitzen und zu sagen, dass wir genau das erwartet haben", ergänzt Vettel. Nur Understatement oder ehrliche Überraschung? Jacques Villeneuve vermutet Letzteres. "Ich gebe zu, überrascht zu sein. So habe ich dieses Ferrari nicht erwartet. Noch dazu denke ich, dass sie es selbst nicht erwartet hätten - so solide und schnell -, nicht einmal Mercedes", sagt der Kanadier im Blog von Leo Turrini.

Weil Konkurrenz aufgetaucht ist: Mercedes passt sich an

"Aus meiner Sicht ist Rot leicht konkurrenzfähiger als der Silberpfeil, aber da ist kein nennenswerter Unterschied und wird es auch nicht werden", ergänzt Villeneuve. "Mein Titel-Favorit ist Vettel. Ferrari macht einen großartigen Job und Seb kann mit dem Druck umgehen." Eine Einschätzung, die Mercedes offenbar teilt. Die rote Gefahr ist den Silbernen bewusster denn je - trotz Bottas-Sieges in Russland.

So hinterfragen die Silberpfeile wegen Ferraris Stärke inzwischen auch bisherige Erfolgsrezepte. "Dieses Duell zwischen zwei Teams ist eine ganz andere Situation als in den vergangenen drei Jahren. Man muss sich an die Herausforderung anpassen. Genau das machen wir gerade. Wir sind sowohl Jäger als auch Gejagter", bestätigt Toto Wolff.

Konkret geht es dem Mercedes-Teamchef hier um das heikle Thema Teamorder - allerdings ausdrücklich nicht im Stil einer Nummer-eins-, Nummer-zwei-Regelung. Stattdessen weicht Mercedes seinen Ansatz, beide Piloten immer frei gegeneinander fahren zu lassen etwas auf - in gewissen Rennsituation dürfen sich Bottas und Hamilton nicht gegenseitig aufhalten, etwa sollte Ferrari davon profitieren, der Rennsieg in Gefahr geraten. Genauso sieht es Niki Lauda.

Würdigen sich Bottas und Hamilton irgendwann keines Blickes mehr?, Foto: Sutton
Würdigen sich Bottas und Hamilton irgendwann keines Blickes mehr?, Foto: Sutton

Bottas und Hamilton: Noch Teamkollegen, bald Stallrivalen?

Das Problem dabei: Die Piloten müssen mitspielen. Noch funktioniert das angesichts der frühen Phase in der Saison gut - Bottas etwa machte bereits einmal brav Platz für den schnelleren Hamilton. Ganz anders könnte es jedoch aussehen, geht es Richtung Saisonende und noch für beide Mercedes-Pioten um den Titel. Neuer Fahrer-Zoff wäre fast schon programmiert. Werden Hamilton und Bottas wie schon Hamilton und Rosberg von Teamkollegen zu Stallrivalen?

Die Mercedes-Führung sieht geringes Konfliktpotential. "Die Beziehung zwischen beiden ist intakt, Lewis war einer der ersten Gratulanten. Und ich denke, das zeigt den Respekt, den sie untereinander haben", versichert Toto Wolff "Es gibt keine Verbitterung wie im vergangenen Jahr. Lewis ist Profi, der andere auch. Da sehe ich keine Probleme. Sie respektieren sich, und das ist das Wichtigste", bestätigt Lauda. Zudem müsse Bottas nach dem - zwar schwierigsten - ersten Sieg der Karriere noch beweisen, nachhaltig auf Hamilton-Niveau agieren zu können.

Garantieren können jedoch weder Wolff noch Lauda für Friede. Freude, Eierkuchen. "Nichtsdestotrotz sind beide Wettkämpfer, die Rennen gewinnen wollen und um die WM kämpfen", mahnt Wolff. Zumal Bottas nach und nach zulege. "Wir hatten erwartet, dass sich Valtteri mit jedem Rennen weiterentwickeln und seine Performance steigern würde. Das hat er bewiesen. Ich glaube aber nicht, dass es einen Einfluss auf die Beziehung der beiden haben wird wie zwischen Nico und Lewis letztes Jahr. Das ist eine komplett andere Beziehung."

Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel lassen Ferrari ruhig schlafen, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel lassen Ferrari ruhig schlafen, Foto: Sutton

Konfliktpotential auch bei Ferrari? Nicht mit Kimi Räikkönen

Genauso verschieden die Fahrer-Beziehung bei Ferrari. Konflikte zwischen Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel gelten als nahezu ausgeschlossen. Zwar ist von Vettel genau wie von Hamilton bekannt, dass er im WM-Kampf auch teamintern zu allen Mittel greift (Multi-21-Affäre mit Mark Webber ...), doch hat er mit dem Iceman einen Teamkollegen an der Seite, bei dem der Spitzname Programm ist. Auf irgendwelchen Ärger mit dem Teamkollegen lässt sich der Weltmeister von 2007 nicht ein - auch nicht im WM-Kampf.

In dieser Hinsicht also ein klarer Vorteil für Vettel, aber nur in dieser. Der andere Aspekt - gegenseitiges Punktewegnehmen - gilt auch bei Ferrari. Seit Bahrain - spätestens Russland - kommt Räikkönen deutlich besser mit seinem Ferrari zurecht, der Trend weist stark nach oben. Gut möglich, das der dieser Finne seinem Stallgefährten im Saisonverlauf noch wichtiger Punkte klaut oder sich sogar zum klaren WM-Anwärter mausert. Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene selbst bezeichnete Räikkönen erst jüngst als Mann der zweiten Saisonhälfte.

Noch dazu gibt es auch bei Ferrari - eigenem Bekunden zufolge - keine Nummer-eins- und Nummer-zwei-Regelung. "Wir sind die zwei Jahre bisher immer geradeaus Rennen gefahren. Manchmal war es eng, manchmal auch zu eng wie in China vergangenes Jahr von meiner Seite aus. So etwas ist nie ideal, aber wir kämpfen unter uns Teamkollegen wie mit jedem anderen", berichtet Vettel. Ein ähnliches Verfahren wie aktuell Mercedes wählt jedoch auch Ferrari, wie Vettel indirekt bestätigt: "Mehr als alles wissen wir, dass wir für Ferrari fahren ..."