Wie oft wurde Kimi Räikkönen eigentlich schon abgeschrieben? Wie oft wurden dem Iceman Motivationsprobleme unterstellt - nur, weil Worte knapp und Jubel gering ausfallen? Kurz gesagt: verdammt oft. "Die Leute haben schon immer gesagt, ich sei nicht motiviert. Aber wenn es so wäre, hätte ich Besseres zu tun, als hier zu sein", kontert der Ferrari-Pilot Letzteres.

Zum ersten Punkt indessen hat Räikkönen auch eine klare Antwort parat. "Ich erwarte von mir ja selbst gute Resultate. Wenn ich das nicht schaffe, dann bin ich nicht zufrieden mit mir. Und wenn andere dann auch nicht zufrieden sind, dann ist das okay, denn ich bin es ja auch nicht", stellt der Finne klar. "Das ist also keine große Sache für mich."

Kimi Räikkönen im Aufwind

Eine noch bessere Antwort gibt Räikkönen jedoch traditionell auf der Strecke, straft übereifrige Kritiker und frühzeitige Abschreiber mit Leistung Lügen. So verbesserte sich der Iceman nach einer schwachen Saison 2014 über 2015 bis 2016 sukzessive, fuhr spätestens ab Hälfte zwei der vergangenen Saison absolut auf Augenhöhe mit Teamkollege Sebastian Vettel. Doch dann ein vermeintlich schwacher Saisonstart 2017. Während Vettel zwei der drei ersten Rennen gewinnt, steht Räikkönen nicht einmal auf dem Podium. Selbst auf seiner Leibstrecke Bahrain reicht es nicht für einen Pokal - aber: Räikkönen stellt endlich Verbesserungen in Sachen Balance fest - sein durch mehrere Umstände großes Laster der ersten Grands Prix.

Dass er damit richtig liegt, zeigt sich nur zwei Wochen später. In Russland ist Räikkönen final voll bei der Musik, holt eine Trainingsbestzeit, fährt im Qualifying auf Platz zwei - nur 0,059 Sekunden hinter Polesetter Vettel. Er hätte ihn sogar schlagen können, meint Räikkönen: "Ich hatte alles in petto, um an der Spitze zu sein!" Doch durch Verkehr sei er nicht in der Lage gewesen seine Reifen ideal aufzuwärmen.

Am Rennsonntag kommt Räikkönen elf Sekunden hinter Vettel ins Ziel - deutlich weniger als zuletzt. Die Augenhöhe ist wieder da - oder zumindest greifbar. "Ich hatte einen harten Start in die Saison. Weit entfernt davon, ideal zu sein. Es fühlt sich gut an, wieder auf dem Podium zu stehen, aber es muss noch besser sein. Ich will mehr, ich will vorne sein. Schade, dass nur der dritte Platz herausgesprungen ist", sagt Räikkönen. "Verglichen mit den ersten drei Rennen war es insgesamt aber ein positiveres Wochenende - ein guter Schritt nach vorne für mich. Ich war zufrieden mit dem Auto. Als ich pushen musste konnte ich die nötige Rundenzeit herausquetschen. Ich bin zufrieden, wie die Dinge gelaufen sind."

DHL Fastest Lap Award: Russland GP: (02:00 Min.)

Vettel voll überzeugt von Räikkönen: Einfach Rennpech

Denn genau das war zuvor noch nie der Fall gewesen. Seit Australien hatte der Iceman Balance-Probleme mit sich herumgeschleppt, sie durch ausgefallene Trainings in China (Regenchaos) und Bahrain (Defekt) nur im Schneckentempo ausräumen können - noch dazu die eine oder andere bestenfalls suboptimale Ferrari-Strategie (China, Bahrain).

Genau aus diesen Gründen ist einer stets unbeirrt überzeugt gewesen von Kimi Räikkönen: Teamkollege und Kimi-Kumpel Sebastian Vettel. "Er hatte vielleicht nicht die Rennen, die er verdient hatte. In Bahrain haben ihn die erste Runde und der Start viel gekostet - sonst hätte er auf dem Podium sein können. Da bin ich sicher", erklärt Vettel den bis Russland ersichtlichen Performance-Unterschied bei Ferrari - 34 Punkte vor, 37 nach Russland fehlen dem Finnen auf den Deutschen.

Vettel weiter: "Ich sehe ja ganz genau, was passiert und die Dinge sind bis jetzt einfach nicht 100 Prozent in seine Richtung gelaufen. Aber ich denke, es gibt im ganzen Paddock keinen einzigen Zweifel, dass er einer der talentiertesten Fahrer ist, den wir haben. Kein anderer könnte in die WRC gehen, performen, zurückkommen und dann wieder voll auf Pace sein. Es gibt keinen, der seine Skills und sein Talent anzweifelt."

Jacques Villeneuve kennt Kimi Räikkönen noch selbst als Gegner auf der Strecke, Foto: Sutton
Jacques Villeneuve kennt Kimi Räikkönen noch selbst als Gegner auf der Strecke, Foto: Sutton

Villeneuve versteht Räikkönen-Kritiker nicht

Doch müsse eben auch das Rennglück mitspielen. "Wie schon gesagt gibt es eben eine Menge Dinge, die auch in deine Richtung laufen müssen. Das habe ich selbst auch erlebt, da muss man nur ins vergangene Jahr schauen, als ich auch ein paar Rennen hatte, wo es nicht in meine Richtung lief. Es geht hoch und runter, aber normalerweise gleicht sich das im Lauf der Saison irgendwann aus", macht Vettel Räikkönen Mut.

Doch Zweifler gibt es entgegen Vettels Bekunden nach wie vor. Ein Faktum, das Jacques Villeneuve fast schon am gesunden Menschenverstand jener Kritiker zweifeln lässt. "Räikkönen ist hervorragend, sehr viel mehr als eine Nummer zwei. Es überrascht mich, dass manch einer das nicht sehen will. Der Unterschied zwischen ihm und Vettel beträgt höchstens eine Zehntelsekunde pro Runde", stellt Jacques Villeneuve bei dem italienischen Ferrari-Blogger Leo Turini klar.

Noch dazu sei Räikkönen der perfekte Teamkollege. Ein besseren könne Ferrari nicht finden. "Er ist einer, der dich antreibt, weil er sofort vor dir ist wenn du nicht stark fährst. Einer, der nie Spannungen innerhalb der Scuderia hervorruft", ergänzt der Weltmeister von 1997 mit Blick auf die so wichtige Harmonie in einem F1-Teams, wie das Beispiel McLaren aus Räikkönens WM-Jahr 2007 mustergültig beweist.

Oberlehrer Vettel und Räikkönen: (02:34 Min.)

Vettel & Räikkönen: Gibt keine Nummer 1 & 2 bei Ferrari

Keine Spannungen im Team - schwingt da nicht doch eine klare Zuteilung in Nummer eins und Nummer zwei mit? "Nein", sagt Vettel. "Wir sind die zwei Jahre bisher immer geradeaus Rennen gefahren. Manchmal war es eng, manchmal auch zu eng wie in China vergangenes Jahr von meiner Seite aus. So etwas ist nie ideal, aber wir kämpfen unter uns Teamkollegen wie mit jedem anderen", beschreibt der Deutsche die Lage bei der Scuderia. "Aber mehr als alles wissen wir, dass wir für Ferrari fahren."

Kimi Räikkönen ergänzt: "Erst wenn es am Saisonende darum geht, dass einer von uns keine Chance hat, rein rechnerisch, werden gewisse Dinge natürlich von selbst geschehen, aber abgesehen davon passiert da nichts." Da habe sich seit Saisonstart und trotz der inzwischen klar ersichtlichen, realen WM-Chance nichts geändert.

Maurizio Arrivabene baut voll auf Kimi Räikkönen, Foto: Sutton
Maurizio Arrivabene baut voll auf Kimi Räikkönen, Foto: Sutton

Arrivabene: Räikkönen im Saisonverlauf immer stärker

Denn: Mit 37 Punkten Rückstand auf Vettel und bei gerade einmal exakt einem absolvierten Saisonfünftel kann genauso gut Kimi Räikkönen im weiteren Verlauf noch einmal zur besser positionierten Ferrari-Speerspitze werden. Laufen nur zwei Mal die genannten "Dinge" gegen Vettel und für Räikkönen, schon sieht alles anders aus. Zumal Räikkönen generell eher Mann der zweiten Saisonhälfte ist, wie Maurizio Arrivabene bei Sky zu Bedenken gibt: "Kimi ist kein langsamer Fahrer! Vielleicht braucht er zu Saisonbeginn etwas Zeit, den richtigen Weg zu finden, aber wenn Kimi ihn findet, ist er sehr schnell!"

In Russland habe er genau damit begonnen. "Kimi war sehr gut, er ist ein außergewöhnliches Rennen gefahren - starke Performance", sagt Arrivabene. "Wir haben zwei starke Fahrer mit Kimi und Seb." Nicht nur der Teamchef lobt Routinier Räikkönen. Auch die Ingenieure von Ferrari sind überzeugt von ihrem bislang letzten Weltmeister. Luigi Fraboni etwa outet sich gar als regelrechter Räikkönen-Anhänger. "Ich bin ein großer Kimi-Fan. Wir wissen, dass Kimi ein guter Fahrer ist und sind sicher, dass Kimi in der Lage sein wird eine großartige Saison wie im vergangenen Jahr zu fahren", sagt Fraboni im finnischen 'MTV-Sport'.

Kimi Räikkönen hat Durst auf Siegerchampus, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen hat Durst auf Siegerchampus, Foto: Sutton

Mercedes' Wolff staunt über Kimis 'atemberaubende Pace'

Selbst die schärfste Konkurrenz ist spätestens seit Russland gewarnt. "Wir haben am Ende nur noch auf ein Safety Car gehofft, das unsere einzige Chance auf Rang drei mit ihm (Hamilton, d. Red.) gewesen wäre, weil Kimi Räikkönens Pace einfach sehr schnell war sofort als er Reifen gewechselt hatte, es war atemberaubend", staunt Toto Wolf. Schon zuvor hatte der Mercedes-Teamchef gemahnt: "Schreib' niemals einen Kimi Räikkönen ab."

Keine schlechte Idee, ist der angebliche "Mr. Motivationsproblem" durch Aufwärtstrend und Podiumserfolg in Russland jetzt erst richtig angefixt. "Ich denke, wir - Ferrari - können immer Erster und Zweiter sein wenn wir alles perfekt hinbekommen. Hoffentlich steht Ferrari nächstes Mal wieder ganz vorne. Wir werden versuchen uns weiter zu verbessern und ich bin sicher, dass wir dann da hinkommen", pocht Räikkönen auf Fortschritt. "Aber die kleinsten Details müssen für den ersten Platz eben ganz genau stimmen", stellt Räikkönen klar, der sogar noch mehr als nur einen Sieg auf der Agenda stehen hat. "Solche kleinen Details können dann auch einen großen Unterschied in der Endabrechnung machen - die ersten vier Autos liegen eng beieinander", sagt Räikkönen - WM-Ambition angemeldet.