Preisfrage an die - für gewöhnlich bestens informierten - Formel 1-Insiderkreise: Welcher Formel 1-Pilot hat mehr Rennen gewonnen als sieben verschiedene Weltmeister, wird an Pole Positions derzeit nur von Michael Schumacher überboten und war in den letzten Jahren an fünf WM-Titeln seines Teams entscheidend beteiligt? So nebenbei stand er 59 Mal auf dem Siegerpodest, zuletzt auf dem Nürburgring am Sonntag.

Trotzdem fürchte ich, dass Rubens Barrichello höchstens als Fußnote in die Geschichte eingehen wird, wenn das Schicksal nicht bald einmal Erbarmen mit ihm hat. Seine Chancen, die Nummer 1-Rolle im Ferrari-Imperium zu spielen sind etwa so groß wie die von Prinz Charles, irgendwann den britischen Thron zu besteigen. Die Queen respektive der allmächtige König der Formel 1 werfen lange Schatten, aus denen es kein Heraustreten gibt. Und die nächste Generation an Thronfolgern scharrt bereits in den Startlöchern. Die Uhr tickt für Massa, genauso wie für Prinz William.

Der Prinz von Wales und die "Nummer 1b" von Ferrari kennen einander meines Wissens nach nicht näher, und doch ähneln die Schicksale der beiden frappant.

Ohne mit einer Wimper zu zucken stand Rubens in der Eifel auf dem Siegertreppchen, während Fernando Alonso und Nick Heidfeld neben ihm wahre Freudentänze aufführten. Dabei hätte der Brasilianer allen Grund gehabt, der Formel 1-Welt frech ins Gesicht zu grinsen: Als einziger Ferrari-Pilot heuer zum zweiten Mal auf dem Treppchen, noch dazu hatte er Michael Schumacher im direkten Duell, dank besserer Strategie und einer fehlerlosen Leistung um zwei Plätze abgehängt.

So als hätte Prinz Charles eigenmächtig eine britische Kokosnussinsel im Südpazifik in die Unabhängigkeit entlassen, ohne Ihre königliche Hoheit vorher zu fragen...

Und all das nach so einer Woche! Denn für den besten Brasilianer seit Ayrton Senna hagelte es in den letzten Tagen täglich teaminterne Ohrfeigen. Rubens hat einen Kardinalfehler begangen, der gegen jede Etikette ist. Man kritisiert Michael Schumacher als Teamkollege nicht, und schon gar nicht kündigt man ihm öffentlich die Freundschaft. Und überhaupt – was denkt sich einer, der so dreist ist, zu behaupten, dass es dem Ferrari im Moment nicht nur an den Reifen, sondern AN ALLEM fehlt...?

Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für Rubinho brechen. Der Mann ist gut – sogar außergewöhnlich gut. Er hat nur viel zu lange den Mund gehalten. Oder hat irgendwer in den letzten 14 Jahren mal erlebt, dass Michael Schumacher von seinem Teamkollegen überholt, ja gar im Rennen besiegt wurde? (Von dunklen Flecken der Geschichte wie Malaysia 1999 mal abgesehen, Herr Irvine...!)

Und auch wenn sich die Herren Fittipaldi und Piquet nicht zu blöd waren, sich im brasilianischen Fernsehen in Werbespots über ihren Landsmann öffentlich lustig zu machen, man fährt nicht in einer Saison 13 Mal aufs Podium, man hält sich nicht über 200 Rennen durchgehend in der Formel 1 und man stellt nicht einen Jordan oder Stewart auf die Pole Position (die damals übrigens noch ehrlich erfahren werden musste, und nicht mit wenig Sprit erkauft werden konnte), wenn man nicht aus besonderem Holz geschnitzt ist.

Der Abstand zwischen Michael und Rubens ist über die Jahre dramatisch geschrumpft, und wenn Michael nicht wäre, dann hätte Rubens bereits mehrere WM-Titel errungen. Das sind nicht meine Ansichten, sondern die von Ross Brawn...

Und viele würden sich kaputt lachen, wenn gerade der Brasilianer heuer den erlösenden ersten Sieg für Ferrari holen sollte.

Bei der Scuderia dürfte die Zeit der Streicheleinheiten wohl vorbei sein. Wer die Etikette am Hof nicht einhält, der wird mit Missachtung bestraft. Das Schicksal eines Thronfolgers. Auch die Queen wollte ja partout nicht an der Hochzeit des Jahres auf Schloss Windsor teilnehmen.

Rubens Barrichello hat bei guter Führung noch ein paar Jahre in der Formel 1. Im Gegensatz zu Charles kann er selbst bestimmen, wann er den goldenen (in diesem Fall roten) Käfig verlässt. Wenn er vorhat, dass man sich in fünf Jahren noch an ihn erinnert, dann würde ich ihm raten, diesen Schritt rasch zu tun...